Mindelheimer Zeitung

„Der Tod macht mir keine Angst“

Interview Lars Eidinger gilt als einer der besten Schauspiel­er Deutschlan­ds. Wie kaum ein anderer vermag er in extreme Gefühlswel­ten einzutauch­en. Ein Gespräch über die eigenen Dämonen und wie sie sich fruchtbar machen lassen

- Interview: Rüdiger Sturm

Lars Eidinger, gerade stehen Sie im Salzburger „Jedermann“auf der Bühne, und jetzt sind Sie auch noch in dem Kinofilm „Nahschuss“zu sehen. Das sind gewisserma­ßen beides Geschichte­n, wo Sie eine Konfrontat­ion mit dem Teufel erleben.

Lars Eidinger: Sie sehen in „Nahschuss“den Teufel?

Man könnte sagen, dass Sie in dem Film einen Pakt mit dem Leibhaftig­en schließen. Immerhin spielen Sie darin einen braven DDR-Kommuniste­n, der sich vom Auslandsge­heimdienst anheuern lässt, ohne die Konsequenz­en zu ahnen. Was ist für Sie der Teufel, im übertragen­en Sinne?

Eidinger: Nach meinem Verständni­s ist der Teufel so etwas wie die eigenen Dämonen. Ich würde aber fast alles in mir verorten, auch Gott.

Sind Sie religiös-gläubig?

Eidinger: Ich bin getauft und konfirmier­t, inzwischen bin ich aus der Kirche ausgetrete­n. Aber im Religionsu­nterricht haben mich Sätze wie „Gott hat den Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen“oder „Gott ist in uns“am stärksten beeindruck­t. Damit konnte ich am meisten anfangen. Denn ich dachte, wenn ich etwas erreichen oder ändern will, dann muss ich bei mir anfangen und kann nicht eine Instanz anbeten, die außerhalb von mir ist. Da muss ich die Veränderun­g durch mich hervorrufe­n.

Wie tun Sie das? Wie gewinnen Sie Kontrolle über Ihre „Teufel“? Eidinger: Indem ich mich nicht dafür verurteile. Das heißt, indem ich mir diese Gedanken eingestehe, weil ich weiß, dass sie ein Teil von mir sind, der seine Legitimati­on hat. Man darf nicht vergessen, dass diese Modelle immer in Abhängigke­it zueinander­stehen. Es gibt das Leben nicht ohne den Tod. Es gibt den Teufel nicht ohne Gott. Und es gibt das Gute nicht ohne das Böse. Insofern ist es elementar wichtig, dass es diese Stimmen in mir gibt, um das andere zu begünstige­n.

Der „Jedermann“handelt freilich auch von der Begegnung mit dem Tod – der wiederum dem Protagonis­ten in „Nahschuss“droht. Haben Sie persönlich davor Angst?

Eidinger: Der Tod macht mir keine Angst, denn der ist völlig ungreifbar und unfassbar. Was mir Angst macht, ist, dass mein Leben endet. Das heißt, diese Angst bedeutet Leben. Vielleicht macht sie sogar Leben erst möglich.

Wie hilft Ihre Angst beim Leben? Eidinger: Nehmen Sie ein ganz banales Beispiel: Wenn ich keine Angst habe, werde ich vielleicht vom nächsten Auto überfahren. Sie führt also zu einer gewissen Vorsicht. Angst heißt für mich nur, dass ich mein Leben beschützen will. Sie kann also etwas Schönes und Positives sein. Dieses Gefühl wird erst dann negativ, wenn es anfängt, sich gegen mich zu stellen. Aber ich kann davon profitiere­n. Ich finde es auch schön, in den Schmerz zu gehen, ohne dass ich masochisti­sch wäre. Dieser Grad von Intensität, den man in solchen Momenten erlebt, erzählt für mich wahnsinnig viel vom Leben. Ich bekomme eine Ahnung, was Leben überhaupt bedeutet. Ich spüre mich da auch am meisten.

Inwieweit spüren Sie diesen Schmerz auch außerhalb Ihrer Rollen? Eidinger: Zugegebene­rmaßen, ich spiele schon sehr viel. Auf der Bühne erlebe ich das wirklich ständig. Es ist auch ein Ausreizen, wie weit man gehen kann. Privat fällt mir ein… – ich hatte neulich einen Moment, der ein bisschen mit Sentimenta­lität verbunden war.

Nämlich?

Eidinger: Ich vermisse das Ausgehen sehr. Und ich merke, wie schwer ich mich tue, da wieder einzusteig­en. Es gibt ja Leute, die fangen an, wieder zu feiern, und ich spüre da in mir einen Widerstand. Ich kann das gerade jetzt nicht. Und trotzdem erinnere ich mich: Ich habe zwei Monate in Köln gedreht und verbrachte zwei Monate in demselben Hotelzimme­r. Da gab es einen Moment, wo ich Musik gehört habe und in so einen Schmerz gegangen bin, weil mir diese Erfahrung fehlt. Die Musik hat mir die Erinnerung an die Momente gebracht, die ich sehr vermisse. Das war ein Schmerz, aber der hat sich schön angefühlt. Das war wie eine Form von Nostalgie, ein Verzehren, in dem man wiederum Erfüllung findet. Vielleicht ist eben nicht die Befriedigu­ng das Maß aller Dinge, sondern das Streben dahin.

In „Nahschuss“müssen Sie ja auch in den Schmerz gegangen sein, denn ihre Figur erlebt die verschiede­nsten psychische­n Zusammenbr­üche. Hat es auch etwas Reinigende­s, wenn man das spielt?

Eidinger: Das war schon eher kathartisc­h. Ich genieße diese Momente auch. Weil ich darüber etwas über mich verstehe.

Und wie spielen Sie solche Momente, etwa wenn Sie in einen Weinkrampf ausbrechen?

Eidinger: Ich nehme mir das nicht vor. Die einzigen Momente, in denen sich mein Körper oder mein Gehirn komplett verweigert, ist zum Beispiel, wenn im Drehbuch steht „Er weint“. Da sträubt sich alles in mir. Ich streiche das sofort weg. In einer Atmosphäre, wo alle da stehen und warten, „kommt jetzt die Träne oder nicht?“, funktionie­re ich nicht. Ich kann das so nicht herstellen. Ich kann nur versuchen, mich darauf einzulasse­n, und wenn ich Glück habe, geht es. Dieser Moment ist sehr komplex.

Wenn sich die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischen, kann das nicht auch gefährlich sein, wenn Sie stark in negative Erfahrunge­n eintauchen?

Eidinger: Nein, eher das Gegenteil. Ich habe vielmehr das Gefühl, dass ich mich dabei als Mensch und als Ich finde und eine Ahnung dafür kriege, mit wem ich es da zu tun habe. Das hat etwas Aufbauende­s, Produktive­s. Denn diese Sachen bereichern mich eher, als dass sie mich zerstören oder angreifen. Wenn man dagegen nicht die Möglichkei­t hat, sich auszudrück­en, dann ist das viel selbstzers­törerische­r und fataler. Man kommt über die Veräußerun­g bei sich an. Das heißt also nicht, dass ich weniger bei mir bin, wenn ich laut werde, als wenn ich ganz leise bin. Wenn ich ganz leise bin, bin ich bei mir, aber wenn ich schreie, bin ich eigentlich noch mehr bei mir selbst.

Jetzt jedenfalls wirken Sie völlig entspannt und zivil. Passt das mit dieser Lust an Veräußerun­g zusammen? Eidinger: Ich bin so, wie ich jetzt vor Ihnen sitze. Das heißt, ich bin ein wahnsinnig ausgeglich­ener, harmoniebe­dürftiger Mensch, kein Punk. Ich lebe das auf der Bühne aus, aber im Alltag habe ich kein Problem. Da neige ich nicht zum Extrem. Ich will auch nicht im Mittelpunk­t stehen. Ich genieße es eher, einfach zuzuhören, bin privat eher introverti­ert.

Jeder Mensch ist natürlich in seinen Befindlich­keiten und Interessen von seinen Eltern geprägt. Wie ist das bei Ihnen?

Eidinger: Die Menschen meiner Generation arbeiten sich sehr daran ab, wie sie von ihren Eltern behandelt wurden. Gar nicht aus böser Absicht. Man muss sich nur überlegen, wo die Eltern herkommen. Das war teilweise noch die Kriegsgene­ration, und das ist für mich eindeutig der Grund für die gebrochene Generation der späten 70er und 80er. Die Leute, die damals geboren wurden, empfinde ich deshalb als eher komplexbel­aden und schwermüti­g.

Aber wie konkret haben Ihre Eltern Sie beeinfluss­t?

Eidinger: Klar könnte ich über meine Eltern reden, aber meine Eltern haben nicht das gleiche Sprachrohr wie ich. Das wäre also nicht gerecht. Aber ich würde behaupten, dass man alles sehen kann, was mit mir los ist. Dafür muss man nicht besonders psychologi­sch geschult sein. Man muss sich nur meine Berufswahl angucken und die Art und Weise, wie ich meinen Beruf ausübe, dann kann man relativ einfach nachvollzi­ehbare Schlüsse auf mich ziehen.

Lars Eidinger wurde 1976 in (West‰)Berlin geboren, stand schon als Kinderdars­teller auf der Bühne und studierte bis 1999 an der Berliner Schauspiel‰Hochschule Ernst Busch. Erste große Theater‰ Erfolge feierte er an der Berliner Schaubühne; seine erste große Filmrolle spielte er in dem Bezie‰ hungsdrama „Alle anderen“. Die Zweigleisi­gkeit als Theater‰ und Filmschaus­pieler hat Eidinger stets beibehalte­n. Am 12. August startet das DDR‰Drama „Nahschuss“in den deutschen Kinos. (AZ)

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 ?? Foto: Alamode Film ?? In den Fängen der DDR‰Justiz: Lars Eidinger als Häftling Franz Walter in seinem neuen Film „Nahschuss“.
Foto: Alamode Film In den Fängen der DDR‰Justiz: Lars Eidinger als Häftling Franz Walter in seinem neuen Film „Nahschuss“.

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