„Wir wollen Klimaschutz jetzt“
Interview Richard Mergner, der Vorsitzende des Bund Naturschutz in Bayern, geht mit der Regierungserklärung von Ministerpräsident Markus Söder hart ins Gericht. Die Staatsregierung habe viele Möglichkeiten, schnell zu handeln
Herr Mergner, als Chef des Bund Naturschutz in Bayern müssten Sie doch eigentlich hellauf begeistert sein über Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder. Er hat sich in seiner Regierungserklärung zum Klimaschutz sogar das alte grüne Motto „Global denken – lokal handeln“zu eigen gemacht.
Richard Mergner: Diese Regierungserklärung hatte einen guten Anfang in der Analyse. Wir sind uns über die Dramatik der Klimakrise offenbar einig. Was dann aber hinterher kam, ist absolut enttäuschend. Denken und reden reicht nicht, man muss eben auch handeln. Söder verkündet viel, aber es fehlt ein Umsetzungsprogramm. Vor allem aber fehlt bisher jede Aussage zur Reform des bayerischen Klimaschutzgesetzes. Das aktuelle Gesetz ist laut dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig. Wir wissen nicht, wann Söder einen neuen Gesetzentwurf aus der Schublade holt und wann dieser Entwurf in der Zivilgesellschaft und von den Verbänden diskutiert werden kann. Das kritisieren wir als Bund Naturschutz. Wir wollen Taten sehen. Wir wollen Klimaschutz jetzt.
Wir haben Anfang dieser Woche mit Umweltminister Thorsten Glauber von den Freien Wählern gesprochen. Auch er konnte oder wollte nicht sagen, wann der Gesetzentwurf vorgestellt wird. Mergner: Das erste bayerische Klimaschutzgesetz war grottenschlecht und absolut inakzeptabel. Wir haben es schon bei der Verabschiedung vergangenes Jahr massiv kritisiert und sehen uns jetzt durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Soweit ich weiß, hat der Umweltminister seine Hausaufgaben mittlerweile gemacht. Glaubers neuer Entwurf liegt bei Söder im Geheimfach in der Staatskanzlei. Es ist offenkundig, dass er vor der Bundestagswahl nicht das Licht der Öffentlichkeit erblicken soll.
Das ist ein harter Vorwurf. Mergner: Was heißt hier hart? Söder selbst hat in seiner Regierungserklärung gesagt, dass Klimaschutz alle angeht, dass es ein Gemeinschaftsprojekt ist. Wenn das so ist, dann sollte die Staatsregierung mit gutem Beispiel vorangehen und ihre Überlegungen und Absichten zur Diskussion stellen. Das wäre guter demokratischer Stil.
Umweltminister Glauber könnte seinen Entwurf doch auch selbst vorstellen. Mergner: Ich habe den Eindruck, der Umweltminister tut sich nicht nur mit Söder schwer, sondern auch mit seinem eigenen Parteichef Hubert Aiwanger. Der stellvertretende Ministerpräsident ist als Wirtschaftsminister für Energie zuständig und lehnt zum Beispiel eine Solarpflicht auf Neubauten oder ein Tempolimit auf Autobahnen ab. Er stößt mit der CSU ins selbe Horn: Alles soll freiwillig gehen, es sollen keine klaren, verpflichtenden Regeln gelten.
Tempolimit? Die CSU sagt, diese Forderung sei eine olle Kamelle. Mergner: Das sehe ich anders. Der Individualverkehr ist gerade in Bayern einer der größten Verursacher bei der Freisetzung von Treibhausgasen. Auch in Deutschland insgesamt hat der Verkehr einen erheblichen Anteil. Verantwortlich dafür sind unter anderem die vier Bundesverkehrsminister, die zuletzt in Berlin das Sagen hatten. Sie kamen allesamt aus der CSU. Fest steht: Ein Tempolimit könnte einige Millionen Tonnen an Treibhausgasen einsparen und würde nebenbei auch noch die Verkehrssicherheit erhöhen. Das reicht aber noch lange nicht. Wir fordern zusätzlich einen Stopp beim Neubau von Fernstraßen und Autobahnen. Das eingesparte Geld könnte dazu genutzt werden, Bus und Bahn gerade im ländlichen Raum attraktiver zu machen. Da fehlt es an überdachten Haltestellen. Da fährt in vielen Gemeinden ab Samstagmittag kein Bus mehr. Das sind die zentralen Aufgaben, die bewältigt werden müssen, um die Menschen in die Lage zu versetzen, klimabewusst mobil zu sein. Und wenn wir dann noch die 30 Milliarden Euro Subventionen fürs Flugbenzin und die Steuerprivilegien für Dienstund Geschäftswagen streichen, hätten wir die Chance für eine echte, klimabewusste Mobilitätswende.
Ihre Forderungen betreffen hauptsächlich die Bundespolitik. Was kann die Staatsregierung in Bayern tun? Mergner: In der Verkehrspolitik kann Bayern sehr wohl vieles bewegen. Es liegt zum Beispiel in der Macht der Staatsregierung, jedes einzelne Straßenbauprojekt in Bayern unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes auf den Prüfstand zu stellen. Außerdem darf man nicht vergessen, dass das Bundesverkehrsministerium seit elf Jahren in CSUHand ist und dort ein erheblicher Einfluss besteht. Abgesehen davon sollte sich die Staatsregierung aber zuallererst von dieser unsinnigen 10H-Abstandsregel für Windräder verabschieden. Soweit ich weiß, hat Umweltminister Glauber das auch vorgeschlagen. Ein dritter Punkt wären Regelungen zu klimabewusstem Bauen einschließlich der Verpflichtung, bei Neu- und Umbauten eine Photovoltaikanlage zu installieren. Das könnte in der bayerischen
Bauordnung geregelt werden. Und bei ihren eigenen staatlichen Gebäuden könnte die Staatsregierung ohnehin sofort handeln.
Es gibt gegen all das, was Sie fordern, das pauschale Gegenargument, dass Bayern allein das Weltklima nicht retten kann, solange große Länder wie China oder Russland nicht mitmachen. Was erwidern Sie bei diesem Gegenargument?
Mergner: Richtig ist daran, dass wir in Bayern und Deutschland nur einen kleinen Anteil an den weltweiten Treibhausgas-Emmissionen haben. Aber wir haben eine Verantwortung, die sich aus der Vergangenheit ergibt. Wir haben mit unserer Wirtschaftsweise, die uns den heutigen materiellen Wohlstand bescherte, massiv dazu beigetragen, dass die Atmosphäre zu einer Müllkippe für Treibhausgase wurde. Wenn wir es mit unserer Technologie und unserem Know-how jetzt schaffen, uns aus erneuerbaren Energien zu versorgen, dann kann das eine ungeheuere Signalwirkung in die ganze Welt haben. Andere Länder wie Dänemark, die Niederlande oder Österreich sind uns da voraus. Ein technikorientiertes Land wie Bayern sollte Vorreiter sein, dann können andere davon profitieren. Und nur nebenbei: Wer die Technik entwickelt, der verdient damit auch frisches Geld.
Auf seiner Website fordert der Bund Naturschutz, die Bundestagswahl müsse eine Klimawahl werden. In welcher Weise mischen Sie sich in den Wahlkampf ein?
Mergner: Der Bund Naturschutz ist selbstverständlich überparteilich, aber dennoch hochpolitisch. Wir wissen, es geht um das Überleben des Planeten und um die zukünftige Lebensqualität in Bayern, Deutschland und Europa. Wer angesichts des Weltklimaberichts, angesichts der verheerenden Starkregenereignisse in Deutschland und angesichts der katastrophalen Waldbrände in vielen Teilen der Welt nicht konsequenten Klimaschutz einfordert, dem ist nicht mehr zu helfen. Deshalb stellen wir die Wahlprogramme auf den Prüfstand und benennen, wer in der Vergangenheit für welche Politik die Verantwortung zu tragen hat. Die Verantwortung für die Blockaden in der Verkehrspolitik oder beim Ausbau einer klimaneutralen, dezentralen Energieversorgung tragen leider CSU/CDU und FDP, in Teilen auch die SPD.
Richard Mergner, Jahrgang 1961, Diplom Geograph, hat Regional planung und Wirtschaftsgeographie in Freiburg und Bayreuth studiert. Seit April 2018 ist er Vorsitzender des BUND Naturschutzes.