Mindelheimer Zeitung

Immer mehr neue Mauern

Gedenktag Ein Allgäuer Architekt spricht über hohe Mauern, über Menschen, die sich hinter Folien einigeln, und darüber, warum er dennoch voller Hoffnung auf die Jugend von heute blickt

- Interview: M. Lippl

Die Berliner Mauer ist längst Geschichte, doch in so manchem Neubaugebi­et wachsen derzeit immer neue Mauern aus dem Boden. Mehr darüber auf

Vor 60 Jahren begann mitten in Berlin der Mauerbau. Herr Schröck, Sie sind Architekt und Geschäftsf­ührer des Architektu­rforums Allgäu: Warum errichten Menschen Mauern – um ihren eigenen Garten, um ihre Siedlung, um ihr Land?

Franz Georg Schröck: Gute Frage. Da ist sicher der Wunsch, sich selbst abzuschott­en gegenüber den Mitmensche­n und der Umwelt.

Haben Sie den Eindruck, dass heute wieder mehr Mauern gebaut werden? Schröck: Was das häusliche Umfeld anbelangt, würde ich sagen: ja. Das hat in den vergangene­n Jahren sicherlich zugenommen. Grundsätzl­ich muss man sagen, dass jeder Hausbewohn­er und jede Hausgemein­schaft das Bedürfnis nach Privatheit und Intimität hat. Und dass das immer schon eine Berücksich­tigung gefunden hat, sei es zum Beispiel über eingezogen­e Loggien oder über Lauben. Diese Rückzugsmö­glichkeit, dieses Halböffent­liche, gab es schon immer. Das ist ja legitim und nachvollzi­ehbar, aber dieses Komplett-sich-Einigeln hat immer mehr zugenommen, aus welchen Gründen auch immer.

Welche „Mauern“sind dabei besonders im Trend?

Schröck: Man hat den Eindruck, dass Gabionen und Thujahecke­n, die blickdicht sein sollen, stark in Mode sind. Immer häufiger gibt es auch Metallgitt­erzäune, die mit Folien zugehängt werden, teilweise bedruckt. In jüngster Zeit gibt es sogar Gabionenau­fdrucke, was die Sache immer abenteuerl­icher erscheinen lässt. Und es stellt sich die Frage, wie es um die Haltbarkei­t und Entsorgung von solchen Folien steht.

Welche Folgen hat dieses „Abkapseln“von der Außenwelt?

Schröck: Bauen ist seit jeher Ausdruck der gesellscha­ftlichen Verhältnis­se und der Lebensumst­ände. In den Zwanziger Jahren herrschte Wohnungskn­appheit, überall wurde viel gebaut. In Frankfurt entstanden damals Siedlungen, in denen vorgeschri­eben war, dass Hecken nicht höher als 80, 90 Zentimeter sein dürfen, um zu verhindern, dass sich jemand komplett abkapselt. Die sozialen Kontakte, das Sehen und Gesehenwer­den, haben noch eine Rolle gespielt. Heute wollen viele gar nicht mehr in Erscheinun­g treten: Sie fahren mit dem Auto in die Doppel-, Dreifach- oder gleich Tiefgarage und dann sieht man sie nicht mehr. Da findet kein soziales Leben mehr statt.

Wie könnte man die Menschen wieder mehr dafür sensibilis­ieren?

Schröck: Es gab in den 80er Jahren eine Fernsehrei­he von Dieter Wieland namens „Topographi­e“. Da hat er geworben für verträglic­he Gartengest­altung, Zäune und Dinge, die rund ums Haus passieren. Damals ist das sehr interessie­rt wahrgenomm­en worden. Man dachte, das geht in die Breite – aber eigentlich ist es im Sande verlaufen. Heute ist es schlimmer als zuvor. Ich weiß nicht, woran das liegt. Kinder und Jugendlich­e wachsen nicht mehr mit dieser Sensibilit­ät auf. Früher hat man mehr mit sinnlichen Materialie­n gearbeitet, man hat die Haptik kennengele­rnt von Holz oder anderen natürliche­n Baustoffen. Heute wischt jeder auf dem Handy herum, die virtuelle Welt wird immer wichtiger und die reale unwichtige­r. Hinzu kommt das riesige Angebot in den Baumärkten. Es werden die wildesten Dinge kombiniert, weil sie vielleicht auch günstig sind.

Was empfehlen Sie denn als günstigen Sichtschut­z? Thujen sind es ja offenbar nicht ...

Schröck: Es gibt Laubhecken, die natürlich nicht rund ums Jahr diese letzte Blickdicht­heit leisten, aber doch einen guten Sichtschut­z bieten. Thuja empfehle ich nicht, die ist ja nicht heimisch. Ich bin kein Landschaft­sarchitekt und kein Botaniker, aber Buchenheck­en oder Ligusterhe­cken sind auch schön.

Was ist für Sie am schlimmste­n? Schröck: Sobald man anfängt, mit nicht-natürliche­n Materialie­n zu arbeiten, die auch in unserer Kulturland­schaft nie gebräuchli­ch waren. Gabionen oder Flussbaust­eine hat man früher nie benutzt, das waren Elemente im Gewässerba­u, und jetzt stellt man sie in den Garten. Früher hat man es ja auch geschafft, ein Haus in die Landschaft einzubette­n. Da muss man sich eben Gedanken machen: Wie? Mithilfe von Flussbaust­einen ein künstliche­s Plateau zu schaffen und ein Haus draufzuset­zen, ist am einfachste­n, aber es ist eben dem natürliche­n Gelände wenig zuträglich. Wenn man das Haus richtig in die Landschaft einbettet, wird es spannender, auch von innen. In alten Dörfern standen Häuser oft an der Grundstück­sgrenze, da hat die Fassade zu den Passanten gesprochen. Heute steht das Haus mitten im Grundstück und da stehen Zäune mit Folien, die zu den Passanten … nein, die sprechen nicht, die erzählen nichts mehr! Und dann fährt man sehnsüchti­g nach Italien und bewundert dort alte Dörfer und Städte.

Apropos Italien: Ist der Wunsch, hinter hohen Mauern zu leben, im Ausland auch so groß wie bei uns?

Schröck: Wir schauen als Architektu­rforum Allgäu oft über die Landesgren­ze in den Bregenzerw­ald. Da gibt’s das in dem Ausmaß nicht. Definitiv nicht.

Haben hohe, blickdicht­e Mauern auch Auswirkung­en auf die Natur? Schröck: Ja, die Tiere haben ihre Wege und wenn man sich eigenen Hofraum schafft, der oftmals dann zu sehr versiegelt und kurz geschoren wird, ist das nicht unbedingt zuträglich für die biologisch­e Vielfalt. Es gibt viele Leute vom Bund Naturschut­z, die sagen: Die privaten Gartenfläc­hen, die immer mehr klinisch sauber daherkomme­n, würden in Summe einen großen Einfluss auf die Umwelt haben. Wenn man auf eine natürliche Gartengest­altung setzt und nicht für diese Abschottun­g sorgt, könnte das ein Beitrag für den

Klimaschut­z sein, der in der Summe ins Gewicht fällt.

Heißt das, Sie würden ein Verbot von sogenannte­n „Steingärte­n“befürworte­n, wie es zum Beispiel in BadenWürtt­emberg der Fall ist?

Schröck: Das Architektu­rforum Allgäu ist der Meinung: Verbote bringen gar nichts. Die Leute sollten das aus Überzeugun­g und Einsicht machen, alles andere ist Zwang.

Was denken Sie: Wo geht es hin? Schröck: Das ist schwierig zu sagen. Ich bin aber ganz hoffnungsf­roh, wenn man sich die junge Generation anschaut – Stichwort Fridays for future –, die wieder sensibel wird für die Dinge, die uns umgeben. Was muss sein, was muss nicht sein, wie findet ein soziales Miteinande­r statt? Sie haben die Zeichen der Zeit schon erkannt. In Corona-Zeiten war man mehr zuhause, anderersei­ts hat man den öffentlich­en Raum – etwa Spielplätz­e oder Parks – ein Stück weit wiederentd­eckt. Wenn man rausdurfte, hat die Lebensqual­ität im öffentlich­en Raum eine neue Wertigkeit bekommen.

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Fotos: Franz Georg Schröck Vor 60 Jahren begann die DDR mit dem Bau der Mauer, die seit 1989 schon wieder Geschichte ist. Heute werden Mauern vor allem um Gärten gezogen – und es werden immer mehr, kritisiert Franz Georg Schröck vom Allgäuer Architektu­rforum.
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Gabionen, wie man die mit Steine gefüllten Drahtkörbe nennt, und Thujahecke­n ge‰ hören vielfach zum Ortsbild, ...
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... noch „abenteuerl­icher“findet der Allgäuer Architekt aber Folien mit Gabionen‰Op‰ tik. Für ihn stellt sich auch die Frage von Haltbarkei­t und Entsorgung.
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Franz G. Schröck

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