Die Globalisierung lässt sich nicht zurückdrehen
Leitartikel Corona hat die internationalen Lieferketten infrage gestellt. Wer die Wirtschaft in Zeiten eines immer krasseren Klimawandels umbauen will, darf sich nicht abschotten
Der Satz, dass früher alles besser war, ist (und war schon immer) so richtig wie dieser Sommer groß. Eigentlich. Gleiches gilt für die immer öfter zu hörende Forderung, die globalen Wertschöpfungsketten gehörten verkürzt, die Produktion zurückgeholt. Am besten nach Deutschland, mindestens nach Europa – so als könne man damit in die „gute alte“Zeit zurückkehren. Kann man aber erstens nicht und die Frage ist zweitens doch auch: Wäre das wirklich erstrebenswert?
Natürlich hat die Pandemie deutlich gemacht, wie verletzlich die global vernetzten Volkswirtschaften sind. Die rasante Ausbreitung des Virus ist ein Globalisierungsphänomen. Und die Corona-Folgen, die vom Konjunkturaufschwung verschärft werden – also Rohstoffmangel, Lieferengpässe, erhebliche Preissteigerungen –, geben jenen, die eine wirtschaftliche „Rückholaktion“befürworten, vermeintlich gute Argumente.
Dabei spricht doch vieles dagegen, wie zwei aktuelle Studien nachdrücklich belegen. Denn „strategische Autonomie“käme gerade Deutschland und Europa teuer zu stehen: Das Ifo-Institut kommt mit Blick auf die Folgen von „Reshoring“(zurück nach Deutschland) oder „Nearshoring“(EU, Nordafrika, Türkei) für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu dem Schluss: „Potenzielle Risiken, die durch die Verknüpfung internationaler Wertschöpfungsketten bestehen, müssten deshalb zu einem möglichen Rückgang des BIPs von fast zehn Prozent führen, damit es sich lohnen würde, Produktionsschritte zurück ins Inland zu verlagern.“Fazit: Macht wenig Sinn. Eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit sei zudem nicht zu erwarten. Mehr hiesige Arbeitsplätze auch nicht. Und das Institut für Weltwirtschaft warnt nach entsprechenden Simulationsrechnungen: „Ein Abkoppeln der Europäischen Union von internationalen Lieferketten oder auch nur von China würde die EU-Staaten jedoch hunderte Milliarden Euro kosten.“Die Unternehmen wissen das selbst am besten und wollen laut Ifo-Umfrage künftig deshalb auf verschiedene Zulieferer setzen beziehungsweise größere Lagerhallen bauen.
Das ist sicher klug, denn die Globalisierung lässt sich nicht einfach zurückdrehen. Der freie Welthandel hat – wenn er unter fairen Bedingungen stattfindet – sehr viel Gutes. Er hat in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur – trotz aller Unwuchten – den globalen Wohlstand gemehrt, auch in Schwellenund Entwicklungsländern. Er macht die Volkswirtschaften grundsätzlich krisenfester, auch wenn sich das beispielsweise Familien, die gerade bauen wollen, nachvollziehbar sicher nicht erschließt. Abgesehen davon ist wirtschaftliche Abschottung das Letzte, was dieser Planet gerade braucht – auch wenn der Handelskrieg zwischen den USA und China das Gegenteil bewirken und die demokratische EU eher bald zu einem eindeutigen Bekenntnis zwingen wird. Zur Unzeit, wie der jüngste, inzwischen sechste, Weltklimabericht erneut bestätigt hat: Es wird wärmer und das schneller als zunächst prognostiziert. Wie die Folgen aussehen können ist jenen, die die Augen gerne davor verschließen, zuletzt im Ahrtal ins Bewusstsein geschwemmt worden.
Wer die Wirtschaft wegen des Klimawandels dringend umbauen muss, braucht dafür sehr viel Geld, das erst einmal verdient sein will. Die Exportnation Deutschland, die EU, alle Länder werden dafür mehr denn je einen funktionierenden Welthandel brauchen. Eine Alternative wäre, gängige Wachstumsimperative tatsächlich infrage zu stellen – mit entsprechend weitreichenden Konsequenzen. Sonst wird – vermutlich bald schon – früher wirklich alles besser gewesen sein.
Abkoppeln der Wirtschaft ist ein Fehler