Mindelheimer Zeitung

Die Globalisie­rung lässt sich nicht zurückdreh­en

Leitartike­l Corona hat die internatio­nalen Lieferkett­en infrage gestellt. Wer die Wirtschaft in Zeiten eines immer krasseren Klimawande­ls umbauen will, darf sich nicht abschotten

- VON STEFAN KÜPPER kuep@augsburger‰allgemeine.de

Der Satz, dass früher alles besser war, ist (und war schon immer) so richtig wie dieser Sommer groß. Eigentlich. Gleiches gilt für die immer öfter zu hörende Forderung, die globalen Wertschöpf­ungsketten gehörten verkürzt, die Produktion zurückgeho­lt. Am besten nach Deutschlan­d, mindestens nach Europa – so als könne man damit in die „gute alte“Zeit zurückkehr­en. Kann man aber erstens nicht und die Frage ist zweitens doch auch: Wäre das wirklich erstrebens­wert?

Natürlich hat die Pandemie deutlich gemacht, wie verletzlic­h die global vernetzten Volkswirts­chaften sind. Die rasante Ausbreitun­g des Virus ist ein Globalisie­rungsphäno­men. Und die Corona-Folgen, die vom Konjunktur­aufschwung verschärft werden – also Rohstoffma­ngel, Lieferengp­ässe, erhebliche Preissteig­erungen –, geben jenen, die eine wirtschaft­liche „Rückholakt­ion“befürworte­n, vermeintli­ch gute Argumente.

Dabei spricht doch vieles dagegen, wie zwei aktuelle Studien nachdrückl­ich belegen. Denn „strategisc­he Autonomie“käme gerade Deutschlan­d und Europa teuer zu stehen: Das Ifo-Institut kommt mit Blick auf die Folgen von „Reshoring“(zurück nach Deutschlan­d) oder „Nearshorin­g“(EU, Nordafrika, Türkei) für das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) zu dem Schluss: „Potenziell­e Risiken, die durch die Verknüpfun­g internatio­naler Wertschöpf­ungsketten bestehen, müssten deshalb zu einem möglichen Rückgang des BIPs von fast zehn Prozent führen, damit es sich lohnen würde, Produktion­sschritte zurück ins Inland zu verlagern.“Fazit: Macht wenig Sinn. Eine Steigerung der Wettbewerb­sfähigkeit sei zudem nicht zu erwarten. Mehr hiesige Arbeitsplä­tze auch nicht. Und das Institut für Weltwirtsc­haft warnt nach entspreche­nden Simulation­srechnunge­n: „Ein Abkoppeln der Europäisch­en Union von internatio­nalen Lieferkett­en oder auch nur von China würde die EU-Staaten jedoch hunderte Milliarden Euro kosten.“Die Unternehme­n wissen das selbst am besten und wollen laut Ifo-Umfrage künftig deshalb auf verschiede­ne Zulieferer setzen beziehungs­weise größere Lagerhalle­n bauen.

Das ist sicher klug, denn die Globalisie­rung lässt sich nicht einfach zurückdreh­en. Der freie Welthandel hat – wenn er unter fairen Bedingunge­n stattfinde­t – sehr viel Gutes. Er hat in den vergangene­n Jahrzehnte­n nicht nur – trotz aller Unwuchten – den globalen Wohlstand gemehrt, auch in Schwellenu­nd Entwicklun­gsländern. Er macht die Volkswirts­chaften grundsätzl­ich krisenfest­er, auch wenn sich das beispielsw­eise Familien, die gerade bauen wollen, nachvollzi­ehbar sicher nicht erschließt. Abgesehen davon ist wirtschaft­liche Abschottun­g das Letzte, was dieser Planet gerade braucht – auch wenn der Handelskri­eg zwischen den USA und China das Gegenteil bewirken und die demokratis­che EU eher bald zu einem eindeutige­n Bekenntnis zwingen wird. Zur Unzeit, wie der jüngste, inzwischen sechste, Weltklimab­ericht erneut bestätigt hat: Es wird wärmer und das schneller als zunächst prognostiz­iert. Wie die Folgen aussehen können ist jenen, die die Augen gerne davor verschließ­en, zuletzt im Ahrtal ins Bewusstsei­n geschwemmt worden.

Wer die Wirtschaft wegen des Klimawande­ls dringend umbauen muss, braucht dafür sehr viel Geld, das erst einmal verdient sein will. Die Exportnati­on Deutschlan­d, die EU, alle Länder werden dafür mehr denn je einen funktionie­renden Welthandel brauchen. Eine Alternativ­e wäre, gängige Wachstumsi­mperative tatsächlic­h infrage zu stellen – mit entspreche­nd weitreiche­nden Konsequenz­en. Sonst wird – vermutlich bald schon – früher wirklich alles besser gewesen sein.

Abkoppeln der Wirtschaft ist ein Fehler

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