Mindelheimer Zeitung

Vom Leben ausgeschlo­ssen?

Pandemie Wer von der Grundsiche­rung lebt oder nur wenig Rente hat, wird sich kostenpfli­chtige Corona-Tests nur selten leisten können. Die Linke fordert einen Ausgleich für soziale Härten. Was die Regierung dazu sagt

- VON PHILIPP WEHRMANN

Augsburg Ab Mitte Oktober zahlt der Staat nicht mehr die Coronatest­s für jeden. Schon in wenigen Wochen gelten weitreiche­nde Testpflich­ten: Wer im Innenraum eines Restaurant­s essen, ein Fitnessstu­dio besuchen oder einen frischen Haarschnit­t will, der muss künftig geimpft, genesen oder negativ getestet sein. Weil sich jeder kostenlos impfen lassen kann, sei es „nicht angezeigt“, dass die Allgemeinh­eit die Kosten für die Tests Ungeimpfte­r zahle, begründen das Kanzlerin Angela Merkel sowie die Ministerpr­äsidentinn­en und Ministerpr­äsidenten in ihrem Beschluss. Medienberi­chten zufolge haben die Tests die öffentlich­e Hand bislang 3,7 Milliarden Euro gekostet. Wer sich nicht impfen lassen will, muss für Tests zahlen, es bleibe eine freie Entscheidu­ng. Wie frei aber entscheide­n diejenigen, die das Geld für mehrere Tests im Monat nicht haben? Haben sie am Ende die Wahl zwischen einer Impfung auf der einen Seite und dem Ausschluss vom gesellscha­ftlichen Leben auf der anderen?

Wer länger arbeitslos ist, zu wenig Rente erhält oder vom Lohn seiner Arbeit nicht leben kann, kann Grundsiche­rung beantragen. Je nach Lebenslage erhält der- oder diejenige unterschie­dlich viel Geld: Alleinsteh­ende und Alleinerzi­ehende erhalten mit 446 Euro den höchsten Betrag unter den Erwachsene­n, Volljährig­e unter 25 Jahren, die bei ihren Eltern leben, mit 357 Euro den niedrigste­n. Kindern stehen je nach Alter 283 bis 373 Euro zu.

Für Freizeit, Unterhaltu­ng und Kultur sind bei einem Alleinerzi­ehenden nach den Vorgaben 43,52 Euro vorgesehen. Ein Corona-Test wurde bislang vom Staat mit 11,50 Euro vergütet. Wie teuer er künftig sein wird, ist ungewiss. In den meisten europäisch­en Ländern kosten Antigen-Tests, sofern sie nicht kostenlos sind, 15 bis 50 Euro. Würden die Tests auch in Deutschlan­d 15 Euro kosten, wäre das Freizeitbu­dget schon mit drei Tests im Monat aufgebrauc­ht – für den Eintritt ins Kino oder andere Aktivitäte­n bliebe da nichts übrig. Auch mit dem Budget für Gesundheit­spflege kommen Grundsiche­rungsempfä­nger nicht weit. Dafür sind nur 17,02 Euro monatlich vorgesehen.

Damit wird deutlich: Wer wenig Geld hat, den werden die neuen Testpflich­ten – verbunden mit dem Ende der kostenlose­n Tests – besonders unter Druck setzen, sich impfen zu lassen. Ist das gerecht? Sollte eine so tief greifende, gesundheit­liche Entscheidu­ng vom eigenen Geldbeutel abhängen?

Nein, meint Gesine Lötzsch, stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende der Links-Fraktion im Bundestag. „Wer jetzt die Gesellscha­ft in Geimpfte und Ungeimpfte spaltet, gefährdet den sozialen Frieden in unserem Land.“Die Pandemie sei eine Naturkatas­trophe, die die Gesellscha­ft solidarisc­h finanziere­n müsse, wenn sie nicht auseinande­rbrechen solle, sagt die Opposition­spolitiker­n unserer Redaktion. „Die Bundesregi­erung hat mit ihrer Corona-Politik unsere Gesellscha­ft weiter gespalten“, fügt sie hinzu. „Die Einführung der Kostenpfli­cht für Corona-Tests ist die Fortführun­g der Zwei-Klassen-Medizin mit anderen Mitteln.“

Die Bundesregi­erung plant indes keinen Ausgleich sozialer Härten für das Ende der kostenlose­n CoronaTest­s. „Es bleibt weiterhin uneingesch­ränkt der individuel­len Entscheidu­ng überlassen, ob Erwachsene sich gegen das Sars-CoV-2-Virus kostenfrei impfen lassen oder nicht“, sagte eine Sprecherin des Bundesmini­steriums für Arbeit und

Soziales auf Anfrage. Dies gelte auch für erwachsene Grundsiche­rungsempfä­nger. „Für die gesellscha­ftliche Teilhabe ist es gut, dass es kostenlose Impfangebo­te gibt.“Die Sprecherin des von Hubertus Heil (SPD) geführten Hauses verweist auf Ausnahmere­gelungen etwa für Personen, die nicht geimpft werden können. Sie erhalten weiterhin kostenlose Tests. Das Ministeriu­m behalte „Menschen in schwierige­n sozialen Lagen weiterhin fest im Blick und prüft, ob weiterer Anpassungs­bedarf besteht“.

Lötzsch kritisiert, die Regierung müsse vor der Wahl offenlegen, wer für die Pandemie bezahlen soll. Die Linke fordere eine moderate Vermögensa­bgabe. „Doch es deutet sich an, dass die Bundesregi­erung die kleinen Leute zur Kasse bitten will.“Das sei sozial ungerecht und gesundheit­spolitisch gefährlich. Drohungen würden nicht weiterhelf­en, sondern ein einfacher Zugang zum Impfstoff. „Meine Erfahrung ist, dass viele Menschen die Pop-upImpfzent­ren vor Ort nutzen“, betont die promoviert­e Philologin. Ärmere Menschen würden nach dem Ende der kostenlose­n Tests weniger testen lassen, die Zahl der unentdeckt­en Corona-Fälle wird zunehmen, prognostiz­iert sie. „Damit schaden wir uns allen.“

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Foto: dpa Ungeimpfte, die sich keinen Corona‰Test leisten können, werden vom Besuch im Res‰ taurant oder sogar beim Friseur ausgeschlo­ssen, kritisiert die Linke.

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