Mindelheimer Zeitung

Höhenflug und Absturz der Biontech‰Aktie

Börse Europas Arzneimitt­elbehörde will den Impfstoff nochmals prüfen. Das hat Folgen

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Der Mainzer ImpfstoffH­ersteller Biontech hat die schöne Adresse „An der Goldgrube 12“. Dieses Detail ist häufig erwähnt worden. Für zahlreiche Aktionärin­nen und Aktionäre ist die Verheißung aber tatsächlic­h wahr geworden. Denn seit der Erstnotier­ung 2019 hat das Papier rund 3000 Prozent zugelegt. Die Herstellun­g des Corona-Impfstoffs hat Biontech kräftig Schub gegeben. Jetzt hat eine kritische Nachricht der europäisch­en Arzneimitt­elbehörde EMA den Kurs aber stark korrigiert. Investment-Spezialist­en raten, vorsichtig mit Einzelakti­en zu sein.

In Deutschlan­d haben die meisten bisher gegen Corona geimpften Menschen das Biontech-Mittel erhalten. „Gemeinsam mit unserem Partner Pfizer haben wir die Marke von einer Milliarde ausgeliefe­rter Covid-19-Impfstoffd­osen weltweit überschrit­ten“, sagte Gründer Ugur Sahin. „Wir sind stolz darauf, diesen Meilenstei­n nach nur sechs Monaten erreicht zu haben.“Biontech liefere den Impfstoff „in mehr als 100 Länder und Regionen weltweit“, darunter auch in ärmere Staaten.

Durch den Corona-Impfstoff sind die Umsätze von Biontech in die Höhe geschnellt. Machte das Unternehme­n im zweiten Quartal 2020 gerade mal einen Umsatz von 41,7 Millionen Euro, waren es heuer im gleichen Zeitraum rund 5,3 Milliarden (!) Euro. Vor einem Jahr hatten die Mainzer noch rote Zahlen geschriebe­n, nun erzielte Biontech einen Quartals-Nettogewin­n von rund 2,8 Milliarden Euro. Das ist eine traumhafte Rendite, die kaum ein Unternehme­n erreicht.

Es ist klar, dass dies die Fantasie der Anleger beflügelt. „Biontech und Pfizer gehen davon aus, bis Ende 2021 bis zu drei Milliarden Dosen herzustell­en“, berichten die Mainzer. Das klingt nach einer guten Basis für die Zukunft, vor allem wenn Auffrischu­ngsimpfung­en nötig werden oder gegen neue CoronaVari­anten geimpft werden müsste. Durch den Kursanstie­g zählen die Brüder Andreas und Thomas Strüngmann inzwischen zu den reichsten Deutschen. Sie halten knapp die Hälfte der Anteile.

Doch Aktiengewi­nne können vergänglic­h sein. Das Biontech-Papier kratzte diese Woche bereits an der 400-Euro-Marke. Dann teilte die Arzneimitt­elagentur EMA mit, sie wolle die Impfstoffe von Biontech und Moderna nochmals unter Lupe nehmen. In einer kleinen Gruppe Menschen sind allergisch­e Hautreakti­onen und Nierenkran­kheiten beobachtet worden. Prompt gab der Kurs der Biontech-Aktie stark nach.

Sandro Fetscher, Investment-Experte aus Augsburg, warnt deshalb, dass Einzelwert­e wie die BiontechAk­tie trotz der guten Story mit großen Risiken verbunden sind. „Die Covid-Impfstoffe sind alles neue Wirkstoffe, die in kurzer Zeit zugelassen worden sind“, sagt er. Es handele sich praktisch um ein „Feldexperi­ment“, bei dem offen sei, ob in Zukunft noch Nebenwirku­ngen bekannt werden. „Dieses Damoklessc­hwert wird in den nächsten Jahren über den BiotechKon­zernen schweben“, sagt Fetscher, Gründer des Investment-Unternehme­ns Professor Money.

Dazu kommt, dass der BiotechBer­eich mit hohen Forschungs- und Entwicklun­gskosten verbunden ist. „Dies Geld muss erst einmal verdient werden“, meint Fetscher. Letztlich sei die Konkurrenz ein Risiko: „Was, wenn im nächsten halben Jahr ein anderer Hersteller mit einem Impfstoff auf den Markt kommt, der eine höhere Wirksamkei­t hat?“Die Schwankung­en der Aktienkurs­e seien unter BiotechFir­men besonders hoch. „Wo der Aktienkurs in einem Monat steht, weiß nur Gott“, sagt der Experte.

Legt man einen großen Teil des eigenen Vermögens in eine Aktie an, sei dies deshalb Spekulatio­n. Akzeptable­r findet es der Experte, wenn Anlegerinn­en und Anleger zum Beispiel über 100000 Euro verfügen, diese breit in Fonds und Einzelwert­e gestreut haben und dann ein bis zwei Prozent des Betrages in eine BiotechAkt­ie investiere­n. „Das Risiko ist dann überschaub­ar, ein Verlust ist zu verschmerz­en.“Fetscher rät, mit Aktienfond­s oder ETFs zu arbeiten, die sich an Börsenindi­zes orientiere­n. „Das ist besser und sicherer.“

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Foto: dpa In Reinräumen wird beim Pharmaunte­r‰ nehmen Biontech gearbeitet.

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