Mindelheimer Zeitung

Ein Hotel mit Vorbildcha­rakter

Sommerseri­e Auf dem Arbeitsmar­kt tun sich viele Menschen mit Beeinträch­tigung oft noch sehr schwer. Zwei Betroffene erzählen. Mithilfe eines Augsburger Vereins haben sie eine Stelle gefunden / Folge zwei

- VON DANIELA HUNGBAUR

Mutige Macher, Menschen, die viel Zeit, Energie und Herzblut in aufwendige Projekte stecken, können die Welt verändern. Im Kleinen und im Großen. In unserer neuen Sommerseri­e „Ideen für ein besseres Bayern“wollen wir solche Menschen und Projekte vorstellen. Um Inklusion, dieses viel beschworen­e Miteinande­r von behinderte­n und nicht behinderte­n Menschen, geht es in der zweiten Folge. Im Mittelpunk­t steht ein Augsburger Hotel.

Augsburg Wer ist hier jetzt eigentlich beeinträch­tigt? Manchmal kommt diese Frage tatsächlic­h. Doch stellen werden sie sich viele Gäste im Augsburger Hotel „einsmehr“. Oft natürlich nur im Stillen. Etwa wenn sie Martina Deml an der Bar beobachten. Diese aufgeschlo­ssene junge Frau, die einen so lebensfroh­en Eindruck macht. Oder wenn Benjamin Mannsbart mit ein paar frisch zubereitet­en Köstlichke­iten stolz lächelnd aus der Küche kommt. Oder hat die Dame an der Rezeption ein Handicap? Karin Lange weiß, was sich in vielen Köpfen abspielt, wenn das Wort Behinderun­g zu hören ist: Es erscheinen Bilder von Menschen, die schon von außen sichtbar krank und hilflos sind, sagt sie. Menschen, die nicht arbeiten können. Gerade gegen diese Vorurteile kämpft die Vorsitzend­e des Vereins „einsmehr“an. Sie will gemeinsam mit den anderen Eltern, die sich in dem Verein zusammenge­tan haben, endlich die Hürden abbauen, die es Menschen mit Handicap so schwer machen, eine Chance auf ein selbstbest­immtes Leben zu erhalten, die ihnen auch den Zugang zum sogenannte­n ersten Arbeitsmar­kt erschweren.

Denn diese Chance werde einem verwehrt, sagt Benjamin Mannsbart. Der 35-Jährige arbeitet im Hotel „einsmehr“als Koch. Zuvor war er in der Küche einer Förderwerk­stätte. Und das wäre er seines Erachtens bis an sein Berufslebe­nsende auch geblieben, weil für Menschen wie ihn, für Menschen mit einer leichten Einschränk­ung, der sogenannte erste Arbeitsmar­kt verschloss­en bleibe. „Uns traut man einfach viel zu wenig zu. Wir werden oft nur auf unsere Schwächen reduziert“, sagt Mannsbart und erntet ein Nicken von seiner Kollegin Martina Deml. Auch die 24-Jährige ist überzeugt davon, dass in Menschen mit einer körperlich­en oder geistigen Beeinträch­tigung Kompetenze­n schlummern, die einfach nicht gesehen werden. Wer einmal in einer Förderwerk­stätte ist, das habe sie selbst erfahren, komme da schlecht wieder raus. Umso mehr freut sie sich, jetzt im „einsmehr“ Ausbildung zur Hotelfachf­rau beginnen zu können. Wer Martina Deml sieht, fragt sich in der Tat, wo die Einschränk­ung denn nun bei ihr liegt? Dabei ist ihr Schicksal wahrlich ein besonders hartes. Sie leidet am Loeys-Dietz-Syndrom, einer sehr seltenen Erbkrankhe­it, die, wie sie sich selbst ausdrückt, ihren Körper extrem schnell altern lässt: „Ich habe heute mit 24 Jahren den Körper einer 75-Jährigen mit den entspreche­nden Gebrechen.“Aufgrund ihrer Erkrankung fällt sie öfter von einer Sekunde auf die andere in Ohnmacht, „doch ich habe mir antrainier­t, immer auf die linke, stabile Seite zu fallen“, erzählt sie. Wer hört, dass sie den Körper einer alten Frau hat, fragt sich unweigerli­ch, wie lange dann ihre Lebenserwa­rtung ist. Martina Deml scheint die erschrocke­ne Frage nur allzu gut zu kennen und sagt: „Meine Lebenserwa­rtung ist dementspre­chend niedrig, sie liegt bei etwa 30 Jahren.“Warum aber will jemand, der schätzungs­weise nur noch einige Jahre zu leben hat, unbedingt arbeiten? „Ich habe mir die Frage auch gestellt“, sagt sie und lächelt. „Doch ich gehe einfach sehr gerne arbeiten, mir macht die Arbeit wirklich Spaß und ich finde Menschen so interessan­t.“

Doch eine andere Frage drängt sich auf: Warum stellt ein Hoteldirek­tor eine junge Dame ein, die auch mal mit einem Tablett Gläser in Ohnmacht zu fallen droht? Raul

Huerga Kanzler blickt einen ruhig an und sagt beinahe lakonisch: „Ein anderer kann auch stolpern und den Gläserinha­lt über die Gäste kippen.“Nun sind das Ehepaar Raul und Sandra Huerga Kanzler keine weltfremde­n Idealisten. Beide bringen sehr viel Erfahrung aus der Hotelbranc­he mit. Das Hotel „einsmehr“muss sich auf dem freien Markt bewähren. Nur die Anschubfin­anzierung fällt bei einem Inklusions­betrieb wie dem „einsmehr“, bei dem etwa die Hälfte der 21 Mitarbeite­r ein Handicap hat, üppiger aus. Neben dem Bezirk Schwaben und der Stadt Augsburg haben vor allem die Aktion Mensch und das Inklusions­amt beim Start im November 2020 kräftig mitgeholfe­n.

Allerdings war der Beginn dank Corona auch schwierige­r als gedacht. Sind es doch vor allem geeine schäftlich­e Gründe, die Menschen im „einsmehr“übernachte­n lassen. Aber auch Angehörige vom visa-vis gelegenen Universitä­tsklinikum wählen gerne das Hotel, erzählt Sandra Huerga Kanzler beim Rundgang durch die Zimmer, bei deren Ausstattun­g vor allem auf Nachhaltig­keit und Regionalit­ät gesetzt wurde. Denn die stellvertr­etende Direktorin ist überzeugt davon, nachhaltig und sozial sind in der Hotelbranc­he keine kurzlebige­n Trends, sondern die Zukunft. Sozial vor allem deshalb, weil die Branche händeringe­nd Mitarbeite­r sucht.

Dass in Zukunft auch mehr Menschen mit Behinderun­g in der Hotelbranc­he eine Chance haben, daran will Karin Lange mit den Eltern im Verein „einsmehr“arbeiten: Denn auch wenn der Name des Vereins auf das eine Chromosom mehr hinweist, das Menschen aufweisen, die das Down-Syndrom haben, so setzt sich der Verein generell für Inklusion ein. Nötig ist nach Einschätzu­ng von Karin Lange viel mehr Aufklärung. Vor allem auch in Unternehme­n. Denn viele Betriebe zahlen ihrer Beobachtun­g nach einfach die Ausgleichs­abgabe, ohne weiter zu überlegen, warum sie einem behinderte­n Menschen nicht wenigstens eine Chance geben. „Das Thema haben viele einfach nicht im Blick.“Hinzu kämen die vielen Vorurteile. Viele Betriebe fürchten ihres Erachtens einen extremen

Mehraufwan­d, wenn sie Menschen mit Handicap einstellen, und glauben, die Mitarbeite­r nicht mehr loszubekom­men, falls es nicht klappt.

Karin Lange will aber nicht nur Unternehme­n aufklären. Die 49-Jährige geht auch regelmäßig an Schulen. „Ein Kind mit Down-Syndrom, so meinen ganz viele schon in der neunten Klasse, bedeute definitiv das Ende“, hat sie erfahren. Daher erzählt sie vor den Klassen von ihren eigenen Söhnen, wovon einer das Down-Syndrom hat. „Nikolas fährt Ski, Inlineskat­er, geht auf Geburtstag­spartys, fährt in Urlaub – wo bitte ist da also das Ende?“, fragt sie dann die Schülerinn­en und Schüler.

Jochen Mack, der Geschäftsf­ührer des Hotels „einsmehr“, hat ebenfalls einen Sohn mit DownSyndro­m. Macks Mission ist klar: „Menschen mit Beeinträch­tigungen brauchen einen Platz mitten in unserer Gesellscha­ft.“So wichtig seiner Meinung nach Förderstät­ten für Menschen mit schweren Beeinträch­tigungen sind, allein der Weg von der sonderpäda­gogischen Schule in die Werkstatt sei zu wenig. „Wir müssen mehr Möglichkei­ten schaffen.“Auch mehr Möglichkei­ten der Begegnung. Wie andere Inklusions­hotels in Deutschlan­d soll das „einsmehr“weit in die Region ausstrahle­n. Denn Mack sagt: „Inklusion wird bei uns zwar großgeschr­ieben, aber nicht groß gelebt.“

 ?? Fotos: Ulrich Wagner ?? Benjamin Mannsbart und Martina Deml freuen sich, im Augsburger Hotel „einsmehr“Arbeit gefunden zu haben. Endlich, so sagen sie, wird ihnen auch etwas zugetraut. Etwa die Hälfte der Mitarbeite­r des Hotels lebt mit einer Beeinträch­tigung.
Fotos: Ulrich Wagner Benjamin Mannsbart und Martina Deml freuen sich, im Augsburger Hotel „einsmehr“Arbeit gefunden zu haben. Endlich, so sagen sie, wird ihnen auch etwas zugetraut. Etwa die Hälfte der Mitarbeite­r des Hotels lebt mit einer Beeinträch­tigung.
 ??  ?? Jochen Mack und Karin Lange sind stolz auf das Hotel „einsmehr“in Augsburg.
Jochen Mack und Karin Lange sind stolz auf das Hotel „einsmehr“in Augsburg.

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