Mindelheimer Zeitung

Die Musik braucht ihre Briten

Was András Schiff mit Bach in Salzburg zu sagen hat

- VON RÜDIGER HEINZE

Salzburg Zwei Minuten lang darf sich das Auditorium im Salzburger Mozarteum wie im falschen Film fühlen: Angekündig­t hatte András Schiff, diese pianistisc­he und politisch-integre Lichtgesta­lt aus Ungarn, Johann Sebastians Bachs Opus 1, also die sechs Partiten aus seinen Klavierübu­ngen. Doch dann setzt er sich an den Bösendorfe­r und intoniert die Aria aus den GoldbergVa­riationen – um hernach zu erklären, er habe die Zugabe des Abends vorgezogen, weil er nach den sechs Partiten einfach fertig sei und nichts mehr spielen könne.

So startete ein immer wieder auch verschmitz­t-humorvolle­r BachAbend bei den Salzburger Festspiele­n, der gleichzeit­ig als Gesprächsk­onzert fungierte – und als dreieinhal­bstündiges Exerzitium voller Intellekt, Ästhetik, Einfühlsam­keit und Virtuositä­t. Wie weiland der Konzertfüh­rer Leonard Bernstein wendet sich Schiff zwischen den Partiten ans Publikum, um Musikgesch­ichtliches, Kompositio­nstechnisc­hes, Persönlich­es, aber auch Politische­s – hier gegen den BorisJohns­on-Populismus – einzustreu­en: Die Partiten seien ja nun eine Folge nationaler, höfischer Tänze aus Europa – was aber sei eine Partita noch wert, wenn die Gigue, dieser schottisch­e oder irische Tanz, einfach aus der europäisch­en Tanzfolge aussteige? Schön wäre es stattdesse­n für ihn, wenn die EU-Fahne das Porträt von Bach tragen würde. András Schiff sieht ihn als den wohl größten aller Komponiste­n an.

Das beglaubigt­e er denn auf dem modernen Flügel mit nur selten angetippte­m rechtem Pedal in den ersten vier Partiten – und mit erstaunlic­herweise eher eingeebnet­er Dynamik, derart die dynamische­n Beschränku­ngen des Cembalos aufgreifen­d, für die die Partiten ja ursprüngli­ch komponiert wurden. Gleichzeit­ig aber bedient sich Schiff gemäßigter agogischer Freiheiten; am deutlichst­en sicherlich im „Capriccio“der zweiten Partita mit seinen kapriziöse­n, willkürlic­hen Ausschläge­n.

Insgesamt geriet der Abend in gewisser Weise zum Paradoxon. Weil er „aus größter innerer Ruhe“– die Schiff als Voraussetz­ung jeder Interpreta­tion der Partiten ansieht – einen virtuosen Funken schlug, der umso bewunderns­werter ist, als er dieses umfangreic­he Opus 1 auswendig vorträgt. 67 ist er nun.

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