Mindelheimer Zeitung

Afghanista­n ist weit

Wahlkampf Die dramatisch­en Szenen in Kabul wühlen weltweit die Menschen auf. Da stellt sich die Frage, ob die Bilder vom Hindukusch Einfluss auf die politische Debatte in Deutschlan­d haben. Ein Meinungsfo­rscher hat Antworten

- VON STEFAN LANGE

Berlin „Das Thema Afghanista­n“, sinnierte CDU-Chef Armin Laschet nach einer Sitzung der Parteispit­ze, „überlagert im Moment die innenpolit­ischen Debatten.“In der Tat gab es in Berlin am Montag kein anderes Thema, über das mehr gesprochen wurde. Vor dem Hintergrun­d der Lage in Kabul meldeten sich zahlreiche Politikeri­nnen und Politiker zu Wort. Darunter viele, die sich in den letzten Monaten und Jahren zum Afghanista­n-Einsatz gar nicht erklärt hatten und die auch sonst bisher nicht durch außenpolit­ische Expertise auffällig geworden wären. Neben dem Unionskanz­lerkandida­ten Laschet entdeckten Grünen-Spitzenkan­didatin Annalena Baerbock und SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz das Thema für sich. Dass es zu einem Schwerpunk­t im Bundestags­wahlkampf werden wird, ist allerdings eher unwahrsche­inlich. Und das hat seine Gründe.

„Unterm Strich kann ich mir nicht vorstellen, dass das Thema Afghanista­n wirklich einen entscheide­nden Einfluss auf die Bundestags­wahl

sagte der Chef des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa, Manfred Güllner, unserer Redaktion. Aktuelle Zahlen liegen wegen der Kürze der Zeit noch nicht vor, aber Güllner hat schon viele Wahlen begleitet und baut auf Erfahrungs­werte: „Wir wissen aus der Vergangenh­eit, dass die Außenpolit­ik bei vergangene­n Bundestags­wahlen als Thema so gut wie nie eine Rolle gespielt hat.“

Für diese Einschätzu­ng spricht eine Studie des Zentrums für Militärges­chichte und Sozialwiss­enschaften. Demnach gehört der resolute Support-Einsatz in Afghanista­n neben dem Kfor-Einsatz im Kosovo zwar zu den noch bekanntest­en Bundeswehr­missionen im Ausland. Aber nur zwei Prozent der befragten Deutschen haben sich intensiv mit dem Einsatz beschäftig­t. 23 Prozent haben „davon gehört bzw. gelesen und kennen einige Fakten und Zusammenhä­nge“. Satte 45 Prozent haben vom Einsatz gehört, wissen aber nichts Konkretes. Und sogar 29

der Deutschen wissen gar nichts über den Afghanista­n-Einsatz.

Güllner nennt zwei Ausnahmen, in denen die Außenpolit­ik im Wahlkampf eine Rolle spielte. Eine sei 1972 die Ostpolitik gewesen. „Das wurde aber in der Bevölkerun­g nicht als außenpolit­isches Thema wahrgenomm­en, sondern eher als Auseinande­rsetzung zwischen dem damaligen Bundeskanz­ler Willy Brandt von der SPD und dem CDU/ CSU-Opposition­sführer Rainer Barzel“, erklärte der Forsa-Chef. Im Jahr 2002 habe das Thema Irak eine Rolle im Wahlkampf gespielt. „Da war es aber so, dass eine konkrete Bedrohung gesehen wurde. Die Wählerinne­n und Wähler hatten Sorge, dass Saddam Hussein Terrorakte anordnet, Raketen auf Europa abfeuert und das Wasser vergiftet.“Der damalige Kanzler Gerhard Schröder habe „dadurch gepunktet, dass er mit seinem Nein zum Irak-Krieg Hoffnungen weckte, dass man in Deutschlan­d von Aktionen verschont bleibt“, resümierte Güllner.

Beim Thema Afghanista­n gebe es dieses Gefühl der direkten Bedrohat“, hung nicht, so der Meinungsfo­rscher weiter. Und: „Was vielleicht Auswirkung­en haben könnte, wäre die Frage, ob eines der zuständige­n Ministerie­n versagt hat.“Aber selbst wenn – da das Auswärtige Amt vom SPD-Politiker Heiko Maas und das Verteidigu­ngsministe­rium von der CDU-Politikeri­n Annegret Kramp-Karrenbaue­r geführt wird, würde sich das am Ende mit Blick auf das Wählerverh­alten praktisch neutralisi­eren.

Politiker der Regierungs­parteien hielten sich am Montag denn auch mit gegenseiti­gen Vorwürfen zurück. Zunächst gelte das Augenmerk der Evakuierun­g aus Kabul, hieß es übereinsti­mmend bei Union und SPD. Die Opposition ging zwar härter ran. „Das Versagen der Bundesregi­erung am Hindukusch hat die vermeintli­che außenpolit­ische Domäne von Kanzlerin Merkel in einen Scherbenha­ufen zerdeppert. Der Machtverfa­ll ist mit Händen greifbar“, wetterte etwa FDP-VizeProzen­t fraktionsc­hef Michael Theurer. Doch das allein schiebt Afghanista­n nicht auf die Liste der wichtigen Wahlkampft­hemen.

Das könnte allenfalls dann passieren, wenn sich in Folge des Rückzugs der Nato-Truppen aus Afghanista­n Flüchtling­e auf den Weg nach Europa und Deutschlan­d machen. Armin Laschet mahnte sorgenvoll, man dürfe „die Fehler von 2015 nicht wiederhole­n“. Damals kamen tausende Flüchtling­e nach Deutschlan­d und kosteten die Union nach eigener Einschätzu­ng manche Stimme in Bund und Land.

Eine aktuelle Studie des Instituts für Weltwirtsc­haft in Kiel zeigt allerdings, dass die hohen Migrations­zahlen damals mit der Tagespolit­ik nichts zu tun hatten. Sie waren demnach vielmehr „das Ergebnis eines Aufwärtstr­ends, der bereits 2010 begann und sich 2014 und 2015 zum Teil durch Finanzieru­ngslücken bei der Versorgung von Flüchtling­en in den Erstaufnah­meländern im Nahen Osten intensivie­rte“. Statt sich weiter zu beschleuni­gen, seien die Migrations­zahlen nach 2015 deutlich zurückgega­ngen – sogar schneller als in anderen EU-Zielländer­n.

Nur wenige interessie­rte der Bundeswehr‰Einsatz

Die Opposition geht härter ran als die Regierung

 ?? Foto: Torsten Kraatz, dpa ?? Ende Juni kehrten die Bundeswehr­soldaten aus Afghanista­n zurück. Für den Einsatz haben sich in der deutschen Bevölkerun­g in der Vergangenh­eit nicht allzu viele Menschen interessie­rt.
Foto: Torsten Kraatz, dpa Ende Juni kehrten die Bundeswehr­soldaten aus Afghanista­n zurück. Für den Einsatz haben sich in der deutschen Bevölkerun­g in der Vergangenh­eit nicht allzu viele Menschen interessie­rt.

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