Mindelheimer Zeitung

Bayern tut sich beim Ausbau der Windenergi­e schwer

Serie Bayern liegt beim Ausbau der Windenergi­e im bundesweit­en Vergleich auf den hinteren Plätzen. Über Perspektiv­en, leere Verspreche­n und einen Blick zu den grün-schwarz-regierten Nachbarn / Teil 2

- VON OLIVER WOLFF

In seiner jüngsten Regierungs­erklärung hat Ministerpr­äsident Markus Söder sich eindeutig zum „vorsorgend­en Klimaschut­z“bekannt. Bayern soll schon 2040, also fünf Jahre früher als Deutschlan­d, klimaneutr­al werden. In einer Serie von Artikeln beleuchtet unsere Redaktion die wichtigste­n Aspekte des Themas einzeln.

München Von wegen die Bayern wollen keine Windräder. Im oberbayeri­schen Mammendorf will die Gemeinde bereits das zweite. Wenn da bloß die 10H-Regel nicht wäre. Dann würde das Windrad schon längst stehen, ist sich Gemeindera­tsmitglied Werner Zauser (Freie Wähler) sicher. „Wir haben die Grundstück­e und Zuwege, Verträge sind geschlosse­n. Wir könnten sofort loslegen, aber wir werden ausgebrems­t“, beklagt Zauser, der federführe­nd am geplanten Projekt beteiligt ist. Aber er resigniert nicht. Jetzt geht er den beschwerli­cheren Weg – über ein langjährig­es Bauleitver­fahren samt Bürgerbete­iligung und einjährige­r naturschut­zfachliche­r Untersuchu­ng. „Wir rechnen mit dem Bau frühestens ab 2024“, sagt Zauser. Also mindestens sieben Jahre seit den ersten Plänen. Sieht so die Energiewen­de aus?

Wie in Mammendorf ist es vielerorts in Bayern: Neue Windkrafta­nlagen sind längst geplant, Investoren und Kommunalpo­litiker sind voller Tatendrang, und vor Ort gibt es oft eine breite Zustimmung aus der Bevölkerun­g. Mit Windkraft lässt sich Geld verdienen. Mammendorf ist bei seinem ersten Windrad zu 30 Prozent beteiligt. „Unsere Erwartunge­n sind weit übertroffe­n“, sagt Zauser.

Die zehnfache Höhe muss der Abstand einer neuen Anlage zum nächsten bewohnten Gebiet betragen. So sieht es die Richtlinie der Bayerische­n Staatsregi­erung vor, die 2014 unter dem damaligen Ministerpr­äsidenten Horst Seehofer eingeführt worden ist. Seitdem werden in Bayern Jahr für Jahr weniger Windräder gebaut. Weil moderne Anlagen mindestens 200 Meter hoch sind, gibt es unter diesen Voraussetz­ungen kaum noch nutzbare Flächen.

Ausnahmen von der Regel kann es in der Theorie geben. Dafür müssen die Kommunen einen Bebauungsp­lan aufstellen, Bürger und Nachbarkom­munen beteiligen und Gutachten in Auftrag geben. Für viele ist dieser bürokratis­che Kraftakt abschrecke­nd. Die Mammendorf­er etwa überlegten zwischendu­rch sogar, ihr Projekt auf Eis zu legen.

Die Grünen in Bayern laufen nach wie vor Sturm gegen die Abstandsre­gel. „Solange es 10H gibt, ist die Windkraft in Bayern tot“, sagt der Abgeordnet­e Martin Stümpfig. Aus einer Antwort der Staatsregi­erung auf eine Anfrage im Landtag gehe hervor, dass im vergangene­n Jahr in Bayern nur drei Genehmigun­gsanträge für Windräder eingegange­n sind – und kein einziger im ersten Quartal 2021. „Wir brauchen aber 200 neue Windräder pro Jahr in Bayern“, fordert Stümpfig.

Alexander König, stellvertr­etender Fraktionsc­hef der CSU im Landtag, verteidigt die Abstandsre­gel. Er argumentie­rt: „In Bayern leben die Menschen eng aufeinande­r, wir können den Bürgern nicht einfach gegen ihren Willen Windräder vor die Nase bauen.“10H sei nicht der entscheide­nde Grund, warum in Bayern vergleichs­weise wenige Windräder gebaut werden.

In Baden-Württember­g gehe auch ohne 10H wenig voran, sagt König. Er verweist auf die kleinteili­ge Landesplan­ung mit Regionen, die Windenergi­e komplett ausschließ­en, und auf Ausschreib­ungen für Förderunge­n, bei denen der Süden leer ausging. CSU-Politiker vergleiche­n beim Ausbau erneuerbar­er Energien ihre Erfolgsbil­anz oft mit dem grün-schwarz-regierten Baden-Württember­g. Dort gibt es aktuell etwa 750 Windkrafta­nlagen – über 400 weniger als in Bayern. Die Grünen halten dagegen, Bayern sei in der Fläche auch doppelt so groß wie sein westlicher Nachbar.

Laut Bundesverb­and Windenergi­e wurden im ersten Halbjahr 2021 in Baden-Württember­g 21 Windanlage­n gebaut – in Bayern waren es nur sieben. Den Fakten nach geht es in Baden-Württember­g beim Ausbau der Windenergi­e mittlerwei­le also wesentlich schneller voran als in Bayern.

Ministerpr­äsident Markus Söder hatte im Sommer 2019 angekündig­t, als Ausgleich zur 10H-Regel 100 Windräder in den bayerische­n Staatsfors­ten zu bauen. Bisher ist nichts Nennenswer­tes geschehen. In seiner Regierungs­erklärung zum Klimaschut­z Ende Juli hat Söder angekündig­t, mit wenigen Ausnahmen weiterhin an 10H festzuhalt­en, aber nun 500 Windräder in den bayerische­n Wäldern zu bauen. Für Martin Stümpfig von den Grünen ist das ein Versuch Söders, leere Verspreche­n zu vertuschen. Er sagt: „Jetzt sieht es auf dem Papier sogar nach mehr aus.“Und in Baden-Württember­g? Dort hat die Regierung unter Winfried Kretschman­n angekündig­t, 1000 Windräder in den Staatsfors­ten zu bauen.

Carlo Bottasso ist Professor für Windenergi­e an der Technische­n Universitä­t München (TU). Er sagt, nur mit einem massiven Ausbau der Windenergi­e könne man die gesetzten Klimaziele erreichen. „Führende Energiepro­gnostiker gehen davon aus, dass Windenergi­e bis 2050 ein Viertel bis ein Drittel des weltweit benötigten Stroms beisteuern wird“, sagt Bottasso.

Die Wissenscha­ftler und Studenten an der TU forschen an möglichst effiziente­n Windkrafta­nlagen. Bei Design, Material, Aerodynami­k und der technische­n Steuerung gibt es noch ungenutzte Potenziale. „Windräder müssen nicht einfach nur Strom erzeugen, sondern werden von den Netzbetrei­bern flexibel eingesetzt.“Windräder könnten sogar die Back-up-Funktionen von Gas- oder Kohlekraft­werken komplett ersetzen, sagt Bottasso.

Auch wenn der Windkrafta­usbau in Bayern fast zum Erliegen gekommen ist: Deutschlan­d ist im globalen Vergleich auf einem guten Weg. Im Jahr 2020 hat die Bundesrepu­blik etwa 27 Prozent ihres Strombedar­fs aus Windenergi­e erzeugt. Aktuell sind über 29700 Windräder in Betrieb, davon rund 1500 offshore. Etwa 700 große Anlagen haben zusammen die Leistung eines Atomkraftw­erks unter Normallast. Spitzenrei­ter bei der Anzahl an Windrädern ist das Bundesland Niedersach­sen mit 6379 Anlagen, der Freistaat Bayern, in der Fläche das größte Bundesland, belegt nur Platz neun mit 1178 Anlagen.

Der Verband der Bayerische­n Energie- und Wasserwirt­schaft rechnet vor, dass in Bayern bis 2040 zwei große Anlagen pro Woche gebaut werden müssten, um den zukünftig benötigten Strom komplett aus erneuerbar­en Energien gewinnen zu können. Verbandsge­schäftsfüh­rer Detlef Fischer ist daher überzeugt: „Die Windräder müssen in allen Regionen Bayerns stehen. Keine Landschaft ist zu schön für ein Windrad.“

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Foto: Marcus Merk In den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 wurden nach Angaben des Bundesverb­andes Windenergi­e in ganz Bayern sieben neue Windkrafta­nlagen gebaut.

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