Bayern tut sich beim Ausbau der Windenergie schwer
Serie Bayern liegt beim Ausbau der Windenergie im bundesweiten Vergleich auf den hinteren Plätzen. Über Perspektiven, leere Versprechen und einen Blick zu den grün-schwarz-regierten Nachbarn / Teil 2
In seiner jüngsten Regierungserklärung hat Ministerpräsident Markus Söder sich eindeutig zum „vorsorgenden Klimaschutz“bekannt. Bayern soll schon 2040, also fünf Jahre früher als Deutschland, klimaneutral werden. In einer Serie von Artikeln beleuchtet unsere Redaktion die wichtigsten Aspekte des Themas einzeln.
München Von wegen die Bayern wollen keine Windräder. Im oberbayerischen Mammendorf will die Gemeinde bereits das zweite. Wenn da bloß die 10H-Regel nicht wäre. Dann würde das Windrad schon längst stehen, ist sich Gemeinderatsmitglied Werner Zauser (Freie Wähler) sicher. „Wir haben die Grundstücke und Zuwege, Verträge sind geschlossen. Wir könnten sofort loslegen, aber wir werden ausgebremst“, beklagt Zauser, der federführend am geplanten Projekt beteiligt ist. Aber er resigniert nicht. Jetzt geht er den beschwerlicheren Weg – über ein langjähriges Bauleitverfahren samt Bürgerbeteiligung und einjähriger naturschutzfachlicher Untersuchung. „Wir rechnen mit dem Bau frühestens ab 2024“, sagt Zauser. Also mindestens sieben Jahre seit den ersten Plänen. Sieht so die Energiewende aus?
Wie in Mammendorf ist es vielerorts in Bayern: Neue Windkraftanlagen sind längst geplant, Investoren und Kommunalpolitiker sind voller Tatendrang, und vor Ort gibt es oft eine breite Zustimmung aus der Bevölkerung. Mit Windkraft lässt sich Geld verdienen. Mammendorf ist bei seinem ersten Windrad zu 30 Prozent beteiligt. „Unsere Erwartungen sind weit übertroffen“, sagt Zauser.
Die zehnfache Höhe muss der Abstand einer neuen Anlage zum nächsten bewohnten Gebiet betragen. So sieht es die Richtlinie der Bayerischen Staatsregierung vor, die 2014 unter dem damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer eingeführt worden ist. Seitdem werden in Bayern Jahr für Jahr weniger Windräder gebaut. Weil moderne Anlagen mindestens 200 Meter hoch sind, gibt es unter diesen Voraussetzungen kaum noch nutzbare Flächen.
Ausnahmen von der Regel kann es in der Theorie geben. Dafür müssen die Kommunen einen Bebauungsplan aufstellen, Bürger und Nachbarkommunen beteiligen und Gutachten in Auftrag geben. Für viele ist dieser bürokratische Kraftakt abschreckend. Die Mammendorfer etwa überlegten zwischendurch sogar, ihr Projekt auf Eis zu legen.
Die Grünen in Bayern laufen nach wie vor Sturm gegen die Abstandsregel. „Solange es 10H gibt, ist die Windkraft in Bayern tot“, sagt der Abgeordnete Martin Stümpfig. Aus einer Antwort der Staatsregierung auf eine Anfrage im Landtag gehe hervor, dass im vergangenen Jahr in Bayern nur drei Genehmigungsanträge für Windräder eingegangen sind – und kein einziger im ersten Quartal 2021. „Wir brauchen aber 200 neue Windräder pro Jahr in Bayern“, fordert Stümpfig.
Alexander König, stellvertretender Fraktionschef der CSU im Landtag, verteidigt die Abstandsregel. Er argumentiert: „In Bayern leben die Menschen eng aufeinander, wir können den Bürgern nicht einfach gegen ihren Willen Windräder vor die Nase bauen.“10H sei nicht der entscheidende Grund, warum in Bayern vergleichsweise wenige Windräder gebaut werden.
In Baden-Württemberg gehe auch ohne 10H wenig voran, sagt König. Er verweist auf die kleinteilige Landesplanung mit Regionen, die Windenergie komplett ausschließen, und auf Ausschreibungen für Förderungen, bei denen der Süden leer ausging. CSU-Politiker vergleichen beim Ausbau erneuerbarer Energien ihre Erfolgsbilanz oft mit dem grün-schwarz-regierten Baden-Württemberg. Dort gibt es aktuell etwa 750 Windkraftanlagen – über 400 weniger als in Bayern. Die Grünen halten dagegen, Bayern sei in der Fläche auch doppelt so groß wie sein westlicher Nachbar.
Laut Bundesverband Windenergie wurden im ersten Halbjahr 2021 in Baden-Württemberg 21 Windanlagen gebaut – in Bayern waren es nur sieben. Den Fakten nach geht es in Baden-Württemberg beim Ausbau der Windenergie mittlerweile also wesentlich schneller voran als in Bayern.
Ministerpräsident Markus Söder hatte im Sommer 2019 angekündigt, als Ausgleich zur 10H-Regel 100 Windräder in den bayerischen Staatsforsten zu bauen. Bisher ist nichts Nennenswertes geschehen. In seiner Regierungserklärung zum Klimaschutz Ende Juli hat Söder angekündigt, mit wenigen Ausnahmen weiterhin an 10H festzuhalten, aber nun 500 Windräder in den bayerischen Wäldern zu bauen. Für Martin Stümpfig von den Grünen ist das ein Versuch Söders, leere Versprechen zu vertuschen. Er sagt: „Jetzt sieht es auf dem Papier sogar nach mehr aus.“Und in Baden-Württemberg? Dort hat die Regierung unter Winfried Kretschmann angekündigt, 1000 Windräder in den Staatsforsten zu bauen.
Carlo Bottasso ist Professor für Windenergie an der Technischen Universität München (TU). Er sagt, nur mit einem massiven Ausbau der Windenergie könne man die gesetzten Klimaziele erreichen. „Führende Energieprognostiker gehen davon aus, dass Windenergie bis 2050 ein Viertel bis ein Drittel des weltweit benötigten Stroms beisteuern wird“, sagt Bottasso.
Die Wissenschaftler und Studenten an der TU forschen an möglichst effizienten Windkraftanlagen. Bei Design, Material, Aerodynamik und der technischen Steuerung gibt es noch ungenutzte Potenziale. „Windräder müssen nicht einfach nur Strom erzeugen, sondern werden von den Netzbetreibern flexibel eingesetzt.“Windräder könnten sogar die Back-up-Funktionen von Gas- oder Kohlekraftwerken komplett ersetzen, sagt Bottasso.
Auch wenn der Windkraftausbau in Bayern fast zum Erliegen gekommen ist: Deutschland ist im globalen Vergleich auf einem guten Weg. Im Jahr 2020 hat die Bundesrepublik etwa 27 Prozent ihres Strombedarfs aus Windenergie erzeugt. Aktuell sind über 29700 Windräder in Betrieb, davon rund 1500 offshore. Etwa 700 große Anlagen haben zusammen die Leistung eines Atomkraftwerks unter Normallast. Spitzenreiter bei der Anzahl an Windrädern ist das Bundesland Niedersachsen mit 6379 Anlagen, der Freistaat Bayern, in der Fläche das größte Bundesland, belegt nur Platz neun mit 1178 Anlagen.
Der Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft rechnet vor, dass in Bayern bis 2040 zwei große Anlagen pro Woche gebaut werden müssten, um den zukünftig benötigten Strom komplett aus erneuerbaren Energien gewinnen zu können. Verbandsgeschäftsführer Detlef Fischer ist daher überzeugt: „Die Windräder müssen in allen Regionen Bayerns stehen. Keine Landschaft ist zu schön für ein Windrad.“