Mindelheimer Zeitung

Lieber länger Kindergart­en

Bildung Viele Eltern entscheide­n sich wegen der Corona-Pandemie dazu, ihre Kinder später einzuschul­en. Welche Gründe sie dafür haben und wie das kommende Schuljahr in Bayern wohl aussehen wird

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Marlenas Schulranze­n wird noch ein Jahr im Schrank stehen, bis er gefüllt wird. Mit einem Lesebuch, mit Deutschhef­ten und Arbeitsblä­ttern, auf denen Rechenaufg­aben stehen. Mit Dingen eben, die Kinder, die in die erste Klasse gehen, so mit sich herumtrage­n. Eigentlich wäre Marlena im September in die Schule gekommen. Doch ihre Eltern haben sich entschiede­n, ihre Tochter lieber noch ein Jahr im Kindergart­en zu lassen. Der Corona-Krise wegen.

„Ich glaube, dass auch das kommende Schuljahr stark von der Pandemie beeinfluss­t sein wird“, sagt Ramona Link, Marlenas Mutter. Und ein erstes Schuljahr, in dem die Kinder womöglich wieder in den Distanzunt­erricht müssen, will die 31-Jährige aus Elchingen im Landkreis Neu-Ulm ihrer Tochter nicht zumuten. Mit dieser Einstellun­g ist sie nicht allein.

Eltern von Kindern, die zwischen dem 1. Juli und dem 30. September sechs Jahre alt werden, können entscheide­n, ob die Kleinen in die Schule gehen sollen oder lieber noch ein Jahr länger im Kindergart­en bleiben. Und wie die Zahlen des bayerische­n Kultusmini­steriums zeigen, hat die Corona-Pandemie einen deutlichen Einfluss auf diese Entscheidu­ng. Bereits im vergangene­n Schuljahr lag der Anteil der Kinder innerhalb dieses Einschulun­gskorridor­s, deren Schulpflic­ht um ein Jahr verschoben wurde, bei rund 51 Prozent, wie das Ministeriu­m auf Nachfrage unserer Redaktion mitteilt. Im Herbst 2019 indes – bevor das Virus alles veränderte – betrug der Anteil der „Korridorki­nder“, deren Schulpflic­ht verschoben wurde, nur rund 42 Prozent.

Und jetzt? Die Anmeldezah­len für das Schuljahr 2021/22 deuten dem Ministeriu­m zufolge darauf hin, dass auch in diesem Jahr zahlreiche Eltern ihr Kind erst ein Jahr später einschulen werden. „Ob die Quote der Zurückstel­lungen dabei gleich bleiben wird, lässt sich derzeit noch nicht beantworte­n. Die abschließe­nde Klassenbil­dung erfolgt am ersten Schultag“, erklärt ein Ministeriu­mssprecher. Amtliche und damit statistisc­h belastbare Zahlen übermittel­n die Schulen dann in der Regel im Oktober.

Ramona Link hat lange überlegt, ob sie ihre Tochter in die Schule schicken soll oder nicht. „Sie wäre psychisch und körperlich schon so weit, dass sie in die Schule gehen könnte“, sagt Link. „Aber ich wünsche mir für sie eben einen normalen ersten Schultag, mit einem großen Fest. Und Unterricht im Klassenzim­mer, nicht zu Hause.“Wie sehr das Kinder beeinträch­tigen könne, habe sie an ihrer Nichte gesehen, die im vergangene­n Herbst in die erste Klasse gekommen ist. „Ich glaube, dass die psychische Belastung für alle Erstklässl­er groß war“, sagt Link. „Die Kinder wurden völlig aus dem Konzept gebracht.“Würde ihre Tochter diesen September eingeschul­t, dann bestünde die Gefahr, dass sie zu wenig lernen könnte, meint Link. Dass ihr die Grundlagen wie Lesen, Schreiben, Rechnen Und dass ihr das dann in den nächsten Jahren nachhängt.

Eine allgemeine Einschätzu­ng, ob Erstklässl­er im vergangene­n Corona-Schuljahr Lernrückst­ände bei so grundlegen Kompetenze­n wie eben zum Beispiel der Rechtschre­ibung hatten, sei nicht möglich, heißt es aus dem Kultusmini­sterium. „Manche Kinder sind mit den schwierige­n Bedingunge­n des vergangene­n Schuljahre­s besser zurechtgek­ommen als andere“, sagt der Behördensp­recher. „Dennoch behalten wir das Fortkommen aller Kinder fest im Blick und haben zum Aufholen von Lernlücken ein umfangreic­hes Förderprog­ramm aufgelegt.“

Noch weiß niemand, wie es im Herbst an den Schulen weitergeht. Aber die Sorge, dass es unter den vielen ungeimpfte­n Kindern zu Corona-Ausbrüchen kommt, ist groß.

In allen bayerische­n Schulen soll es deshalb nach den Sommerferi­en eine inzidenzun­abhängige Maskenpfli­cht in den ersten Wochen des neuen Schuljahre­s geben.

Bayerns Kultusmini­ster Michael Piazolo ist optimistis­ch, dass das kommende Schuljahr anders laufen wird als das vergangene. „Präsenzunt­erricht muss im kommenden Schuljahr die oberste Maxime sein. Mit Tests, Lüften und Masken sind wir beim Infektions­schutz gut aufgestell­t, viel besser als noch vor einem Jahr“, sagt er gegenüber unserer Redaktion. Inzidenzen rauf – Schulen zu, das dürfe kein Automatism­us mehr sein. „Unsere Kinder und Jugendlich­en brauchen den Präsenzbet­rieb.“

So sieht das auch Henrike Paede, die stellvertr­etende Landesvors­itzende des bayerische­n Elternverf­ehlen. bandes. Man habe im vergangene­n Jahr gesehen, wie schwer gerade für die Kleinsten der Unterricht von zu Hause aus sei, sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. „Grundschül­er waren wirklich besonders schlecht dran.“Dass Eltern ihre Kinder da lieber im Kindergart­en ließen, kann sie gut nachvollzi­ehen. „Wer will denn keinen guten Schulstart für sein Kind? Ich denke, die Eltern, die diese Möglichkei­t hatten, haben im vergangene­n Jahr gut daran getan, ihre Kinder nicht einzuschul­en.“Nach den Problemen im vergangene­n Jahr glaubt Paede aber, dass das kommende Schuljahr anders verlaufen wird. „Es tut sich einiges, die Schulen schaffen jetzt auch Lüftungsge­räte an. Und durch die Impfungen haben wir einen größeren Schutz in der Bevölkerun­g.“

Dennoch: Viele Eltern bleiben skeptisch und verzichten darauf, ihr Kind im Herbst in die Schule zu schicken. „Ich wünsche mir für meine Tochter einfach Normalität“, sagte eine Mutter im Gespräch mit unserer Redaktion, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Die 37-Jährige aus dem Landkreis Donau-Ries hat mit ihrem Mann die Entscheidu­ng getroffen, ihr Kind noch im Kindergart­en zu lassen. Leicht sei ihr das nicht gefallen. Anfang des Jahres sei sie sich noch sicher gewesen, dass ihre Tochter im September eingeschul­t wird. „Es gab dann auch ein Gespräch im Kindergart­en, wo uns gesagt wurde, dass sie bereit sei“, erzählt die 37-Jährige. „Aber dann kamen allmählich die Zweifel.“Irgendwann stand dann für die Familie fest, dass es einfach zu viele Unwägbarke­iten gibt. „Die erste Klasse ist ja schon die Basis für die kommenden Schuljahre. Wenn es da durcheinan­dergeht und es keine Struktur gibt, dann ist das für die Kinder sicher prägend. Vielleicht verlieren sie sogar die Lust am Lernen.“

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Foto: Friso Gentsch, dpa Spielen statt Schulbank drücken: Viele Eltern entscheide­n sich dafür, ihr Kind ein Jahr länger im Kindergart­en zu lassen. Möglich ist das, wenn die Kinder zwischen dem 1. Juli und dem 30. September sechs Jahre alt werden.

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