Von einer Katastrophe in die nächste
Karibik Nach dem Erdbeben in Haiti bergen Hilfskräfte rund 1300 Tote. Trauer, Frust und Resignation sind groß in dem Land, das von Unheil immer wieder heimgesucht wird
SaintLouisduSud Nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti mit mindestens 1297 Toten könnten nun schwere Regenfälle die Rettungsarbeiten zusätzlich erschweren. Das tropische Tiefdruckgebiet Grace drohe, die Situation in Gebieten zu verschlimmern, die bereits in großen Schwierigkeiten seien, teilte Haitis Zivilschutzbehörde mit. Das US-Hurrikan-Zentrum warnte vor Überschwemmungen und Erdrutschen. „Wir brauchen viel Unterstützung, um der Bevölkerung zu helfen, vor allem den Verletzten“, erklärte Haitis Interims-Premierminister Ariel Henry auf Twitter. Am späten Montagabend deutscher Zeit wurde der Sturm an Haitis Küste erwartet.
Nach dem Beben der Stärke 7,2 von Samstagmorgen (Ortszeit) hatte sich die Zahl der bisher gemeldeten Opfer nach Behördenangaben von zuletzt 724 auf fast 1300 erhöht. Das Beben ereignete sich rund zwölf Kilometer von der Gemeinde SaintLouis-du-Sud entfernt in einer Tiefe von rund zehn Kilometern. Zahlreiche Gebäude wurden zerstört und Menschen unter Trümmern begraben. Es gebe mehr als 5700 Verletzberichtete die Zeitung Le Nouvelliste unter Berufung auf den Zivilschutz. Mindestens 13 700 Häuser wurden demnach zerstört und ebenso viele beschädigt. Mehr als 30 000 Familien seien betroffen, hieß es weiter in dem Bericht.
Katastrophenschutzteams seien landesweit und verstärkt in den schwer betroffenen Gebieten im Einsatz. Dazu zählten demnach die Departments Sud, Grand’ Anse und Nippes. Fotos, die von der Behörde und von Interims-Premierminister Henry bei Twitter veröffentlicht wurden, zeigten, wie sich Helfer und Bagger durch Berge von Trümmern kämpften.
„Tausende von Menschen sind noch immer auf den Straßen, um nach ihren Angehörigen zu suchen oder um ein paar ihrer Habseligkeiten unter den Trümmern zu bergen“, sagte Marcelo Viscarra, Landesdirektor der Kinderhilfsorganisation World Vision in Haiti. Nach Angaben von Caritas International werden vor allem Nahrung, Trinkwasser, Zelte und medizinische Erstversorgung benötigt. Die Lage vor Ort sei weiterhin chaotisch, das Ausmaß der Katastrophe noch nicht absehbar, teilte die Organisation weiter mit.
Krankenhäuser waren überlastet. Im Innenhof eines Hospitals in Jérémie, einer der am stärksten betroffenen Städte, warteten Verletzte in Zelten auf ihre Behandlung, wie in einem Video in sozialen Netzwerken zu sehen war. Straßen waren nach Erdrutschen versperrt.
Teile des armen Karibikstaats waren bereits im Jahr 2010 von einem schweren Erdbeben verwüstet worden. Im Zentrum des Bebens lag damals Haitis dicht besiedelte Hauptstadt Port-au-Prince. 222 000 Menschen starben, mehr als 300 000 wurden verletzt. Mehr als eine Million Menschen verloren ihr Zuhause. Auch politisch ist die Lage äußerst angespannt – erst Anfang Juli war Staatspräsident Jovenel Moïse in seiner Residenz ermordet worden. Und seit dem Beben von 2010 ist die Resignation in dem armen Land groß. Von dem vielen Geld, das nach dem Beben von 2010 für den Wiederaufbau aus dem Ausland zugesagt worden war, sahen durchschnittliche Haitianer nur wenig. „Nach dem verheerenden Erdbeben vom Januar 2010 wurden keine Vorte, bereitungen für erdbebensicheres Bauen getroffen“, schreibt außerdem die Zeitung Gazette Haiti.
Auch diesmal wurden international schon erste Hilfsgelder angekündigt, unter anderem von den USA. Mit Worten ist die Anteilnahme am Leid der Betroffenen ebenfalls groß. Neben dem deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier hat auch Queen Elizabeth II. den Opfern ihr Beileid ausgesprochen. „Ich bin zutiefst betrübt über die tragischen Todesfälle und die Zerstörung, die das Erdbeben in Haiti angerichtet hat“, schrieb die Monarchin in einer am Montag veröffentlichten Botschaft an den Premierminister von Haiti. „Meine Gedanken und Gebete sind bei denen, die ihr Leben, ihre Lieben oder ihr Zuhause verloren haben, sowie bei den Rettungskräften in ihrem Einsatz“, hieß es weiter. Die 95-Jährige verbringt derzeit ihren Sommerurlaub auf Schloss Balmoral in den schottischen Highlands.
Die Zahl der Opfer hatte sich seit Samstagmorgen in regelmäßigen Abständen verdoppelt: von 300 auf 600, nun auf fast 1300 – und die Suche geht weiter.