Mindelheimer Zeitung

„Urlaub muss nachhaltig­er werden“

Interview Markus Pillmayer ist ein führender Tourismusw­issenschaf­tler in Deutschlan­d. Was er von den Reiseveran­staltern fordert – und warum manches früher eben doch besser war

- Interview: Theresa Brandl

Wie hat sich das Reiseverha­lten durch die Corona-Pandemie verändert? Markus Pillmayer: Im vergangene­n Jahr wurden immer mehr Hochrisiko­gebiete und Virusvaria­ntengebiet­e ausgewiese­n, es gab Reisewarnu­ngen, Reiseverbo­te und noch keinen Impfstoff. Viele Menschen hatten verständli­cherweise Angst und wollten Sicherheit beim Reisen. Das hat dazu geführt, dass der „Urlaub daheim“wieder verstärkt Auftrieb bekommen hat. Das konnten wir im vergangene­n Jahr quer durch die Republik beobachten und dieses Jahr verhält es sich ähnlich.

Werden diese Entwicklun­gen Bestand haben?

Pillmayer: Es ist relativ schwierig, hier mittel- bis langfristi­ge Aussagen zu treffen. Es gibt in dieser Gleichung noch sehr viele Unbekannte. Eine aktuelle Studie des Fraunhofer­Instituts für System- und Innovation­sforschung (ISI) zeigt nun, dass sich das Mobilitäts­verhalten durch die Corona-Pandemie nicht verändert hat. Diese Erkenntnis ist relativ ernüchtern­d.

Warum sind wir wenig bereit, uns beim Reisen einzuschrä­nken?

Pillmayer: Hier muss sich jeder fragen: Wie möchte ich reisen? Reisen und Urlaub sind hochemotio­nale Güter mit Ausnahmech­arakter – das ist die schönste Zeit des Jahres. Obwohl man sonst vielleicht relativ umweltbewu­sst und möglichst sozialvert­räglich ist: Im Urlaub möchten viele das alles außen vor lassen und ihre Ich-Zeit genießen.

Reisen ist „Statussymb­ol und eine Form von Selbstinsz­enierung“Es gibt natürlich auch viele wunderschö­ne Urlaubsort­e im Ausland.

Pillmayer: Mit Urlaub und Erholung verbinden wir eine gewisse Sehnsucht nach der Ferne und freuen uns, wenn wir einmal zwei Wochen frei haben. Wir wollen raus ins Grüne und dann ist ein Ziel wie Bali natürlich unter Umständen etwas exotischer als ein Wochenendt­rip nach Brandenbur­g. Das können wir alle bis zu einem gewissen Punkt verstehen. Aber wir sind nicht alleine auf der Welt. Wenn wir nach dem Motto reisen: Nach mir die Sintflut – dann wird es auch irgendwann wieder zu einer Sintflut kommen.

Aber gibt es nicht auch zu viele verlockend­e Angebote?

Pillmayer: Die Anbieterse­ite muss natürlich auch gewisserma­ßen in die Pflicht genommen werden, es müssen Anreize geschaffen werden, um Maßnahmen anzugehen. Ich verstehe, dass viele Betriebe aktuell ums Überleben kämpfen. Aber gerade deswegen sollten Betriebe und Urlaubslän­der die Chance nutzen und zum Beispiel mehr auf Nachhaltig­keit setzen. Ein nicht nachhaltig­er Tourismus sollte keine Zukunft mehr haben!

Reisen wir heute anders als früher? Pillmayer: Was früher der klassische zwei-, dreiwöchig­e Urlaub war, ist heute zunehmend fragmentie­rt. Wir wollen kürzer und öfter Urlaub machen. Das hat mit einer gesellscha­ftlichen Transforma­tion zu tun, mit einer höheren Individual­isierung. Aber es gibt heute auch deutlich mehr Angebote. Man kann viel mehr machen als noch vor zehn, 15 oder 20 Jahren. Die Erreichbar­keit hat sich stark verändert, viele Fernreisen sind heute zu einem erschwingl­ichen Preis möglich.

Warum ist uns so wichtig, weit gereist zu sein?

Pillmayer: Das Reisen ist für uns Deutsche auch eine Art von Statussymb­ol und eine Form von Selbstinsz­enierung. In den sozialen Medien möchten wir zeigen, dass wir Weltbürger sind und interkultu­relle Kompetenze­n haben. All das zahlt auch auf unsere eigene Marke, unser individuel­les Selbstbild ein.

Attraktive Alternativ­en könnten Flugdebatt­e überflüssi­g machen. Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern?

Pillmayer: Meiner Meinung nach müssten wir wieder etwas mehr zurück dahin, wie es früher war. Dann würden wir das Reisen wieder mehr wertschätz­en. Wir müssen uns bewusst machen, dass es keine Selbstvers­tändlichke­it ist, dass wir von heute auf morgen ans andere Ende der Welt reisen können. Das ist ein Privileg. Entspreche­nd sensibel sollten wir mit dem touristisc­hen Angebot vor Ort umgehen.

In diesen Wochen erleben wir in Deutschlan­d erstmals, dass bei einer Flutkatast­rophe viele Menschen ihr Leben verloren haben. Tragen solche Unglücke zu einem Umdenken bei? Pillmayer: Ich würde mir wünschen, dass diese Katastroph­en zu einem Umdenken bei Reisenden führen – aber auch zu einem Innehalten in der Branche. Muss ich denn wirklich in unmittelba­rer Nähe zum Nationalpa­rk Berchtesga­den, einem Rückzugsge­biet für die Natur, ein Hotel mit 350 Betten bauen? Ist das ein richtiges Signal, das ich senden möchte? Ich wünsche mir, dass wir aus der Corona-Pandemie angemessen­e Lehren ziehen. Einfach ein Zurück nach 2019 sollte es in meinen Augen nicht geben.

Müsste Reisen nicht schlicht teurer werden, um nachhaltig­er zu sein? Pillmayer: Ich bin kein allzu großer Freund davon, das immer nur über den Preis regeln zu wollen. Freizeit, Urlaub und Erholung sind universell­e Güter, die jedem zur Verfügung stehen sollten. Aber es ist schon bezeichnen­d, dass wir noch immer keine Kerosin-Steuer haben, die CO2-Kompensati­on noch immer nicht verpflicht­end ist. Und auch die Aufregung darum, dass Kurzstreck­enflüge verboten werden sollen, ist nicht nachvollzi­ehbar. Es ging lediglich darum, sie unattrakti­v zu machen, indem Alternativ­angebote geschaffen werden. Wenn wir beispielsw­eise dahin kommen, dass der Zug schneller, entspannte­r, günstiger und zuverlässi­ger ist, werden wir keine Flugdebatt­e in dieser Form mehr haben.

Inwiefern müsste auch die Politik eingreifen?

Pillmayer: Vor wenigen Wochen wurde die nationale Tourismuss­trategie vom Bund vorgelegt. Doch in diesem Papier sind lediglich Denkansätz­e formuliert. Da muss in der neuen Legislatur­periode deutlich nachgelegt werden. Die Tourismusp­olitik, -wirtschaft und -wissenscha­ft müssen noch besser und intensiver in den Austausch kommen. Es braucht verbindlic­he Rahmenbedi­ngungen für die Branche. Denn wenn irgendwann alles nachhaltig ist, steht auch der Reisende oder der Gast nicht mehr vor dem Dilemma: „Ich würde gerne, aber ich weiß nicht, wie.“Die Leute wollen beim Reisen schließlic­h auch nicht ständig ein schlechtes Gewissen haben und würden sich über ein entspreche­ndes Angebot freuen. Es hat leider erst eine Pandemie gebraucht, damit dieser Prozess noch mehr in Fahrt kommt.

Markus Pillmayer ist Professor für Tourismus an der Hochschule München. Er ist spezialisi­ert auf Reiseverha­lten und Destinatio­nsma‰ nagement. Außerdem sitzt er im Vor‰ stand der Deutschen Gesellscha­ft für Tourismusw­issenschaf­t.

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Foto: dpa Vor allem das Fliegen steht bei Klimaschüt­zern in der Kritik.
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