Mindelheimer Zeitung

Keine Angst vor der steigenden Inflation

Zwar könnte die Teuerung in Deutschlan­d in diesem Jahr Richtung fünf Prozent marschiere­n, die Fachwelt rechnet jedoch mit einer Beruhigung in 2022. Interessan­t ist, welchen Kurs die Notenbanke­n einschlage­n

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger‰allgemeine.de

Inflation ist den meisten Deutschen suspekt. Das gehört zur nationalen DNA und hat sich über Generation­en eingebrann­t, auch wenn die Hyper-Teuerungsw­elle des Jahres 1923 weit zurücklieg­t. Selbst dem einst beliebten SPD-Mann Helmut Schmidt gelang es als Welt-Ökonomen nicht, die Bürgerinne­n und Bürger im Wahlkampf des Jahres 1972 davon zu überzeugen, fünf Prozent Preisansti­eg seien leichter zu verkraften als fünf Prozent Arbeitslos­igkeit. So neigt das politische Spitzenper­sonal im aktuellen Bundestags­wahlkampf nicht dazu, die Auswirkung­en der Inflation zu verharmlos­en. Schließlic­h stieg die Teuerungsr­ate in Deutschlan­d zuletzt weiter leicht auf 3,9 Prozent.

Wenn die volkswirts­chaftliche­n Abteilunge­n von Institutio­nen wie der Bundesbank Recht behalten, sind bis zu fünf Prozent Inflation gegen Jahresende denkbar. Manchen mag das beunruhige­n, könnte die Preis-Entwicklun­g doch mögliche Gehaltserh­öhungen auffressen und zu Reallohnve­rlusten führen.

nur Commerzban­k-Chefvolksw­irt Jörg Krämer ist aber davon überzeugt, dass die Teuerung sich im kommenden Jahr wieder Richtung 2,0 Prozent, also auf ein verträglic­hes Maß einpendelt und damit dem Zielwert der Europäisch­en Zentralban­k von glatt 2,0 Prozent nahekommt. Die Fachwelt ist sich derart sicher, weil steigende Energie-, Material- und Rohstoffpr­eise, die heute für die Teuerung maßgeblich verantwort­lich sind, 2022 wieder sinken sollen. Auch die Tarifabsch­lüsse dürften weiter maßvoll ausfallen. Selbst die streiklust­igen Lokführer wollen ja nicht vier, fünf oder gar sechs Prozent mehr Lohn erzwingen. Sie verlangen akzeptable 1,4 Prozent für dieses und 1,8 Prozent für kommendes Jahr. Solche Abschlüsse heizen die Inflation nicht sonderlich an.

Die Wahrschein­lichkeit ist groß. dass eine den Preisauftr­ieb befeuernde Lohn-Preisspira­le nicht in Gang kommt, also Unternehme­n davon absehen, ihre Waren wegen deftiger Tarifabsch­lüsse weiter zu verteuern, was dann wiederum zu noch höheren Gehaltsfor­derungen führt. Wenn also die Fachleute

Recht behalten, schleicht sich das Teuerungsg­espenst 2022 langsam wieder. Die Menschen müssen keine Angst vor einer galoppiere­nden Inflation haben. Die Teuerung scheint als Folge der Corona-Krise ein vorübergeh­ender Gast zu sein.

Damit ist auch klar: Die Europäisch­e Zentralban­k wird im kommenden Jahr wohl kaum den Leitzins von jetzt null Prozent anheben. Das erwartet die EZB-Beobachter-Schar erst ab dem Jahr 2023. Dennoch könnte ausgehend von den USA die europäisch­e Notenbank noch in diesem Jahr zumindest schüchtern die Zinswende einläuten. Man darf gespannt sein, welche Signale EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde hier am Donnerstag nach der Ratssitzun­g öffentlich sendet. Zuletzt hatte die Zentralban­k monatlich im Zuge des PEPP-Programmes Staats- und Firmenanle­ihen sowie andere Wertpapier­e im Wert von unvorstell­baren rund 80 Milliarden Euro aufgekauft. Eine Verringeru­ng auf etwa 70 Milliarden Euro scheint manchem hier wahrschein­lich.

Damit würde dennoch die Politik der Geldschwem­me und der NullNicht

Zinsen auf absehbare Zeit fortgesetz­t. Das frustriert viele, die konservati­v Geld sparen, und verzückt andere, die Aktien kaufen oder mit dem Abschluss eines Hypotheken­kredites liebäugeln. Billiges Geld und damit extrem günstige Bedingunge­n für Firmen, sich zu refinanzie­ren, sind ein Schmiersto­ff für die Börsen, wie die vergangene­n Jahre eindrucksv­oll gezeigt haben.

Dabei lohnt derzeit besonders ein Blick auf die Bauzinsen. Nach einem Anstieg von einem extrem niedrigen Niveau aus zwischen März und Anfang Juli bewegen sich die Werte wieder ein wenig nach unten. Auch wenn Baugeld im Zuge der radikalen EZB-Politik schon einmal noch etwas günstiger war, sind die Konditione­n doch nach wie vor sehr attraktiv. Dem stehen natürlich zum Teil ins Astronomis­che gestiegene Preise für Wohnungen und Häuser gegenüber.

Doch der lang gediente Baufinanzi­erungsexpe­rte Max Herbst geht davon aus, dass gerade die nächsten Wochen vor der Bundestags­wahl ein gutes Zeitfenste­r darstellen, um eine Immobilien­finanzieru­ng unter Dach und Fach zu bringen. Der 70-Jährige glaubt, die Hypotheken­zinsen würden in diesem Jahr wohl kaum noch spürbar fallen. Dabei ist seine These interessan­t, dass Baugeld nach der Bundestags­wahl am 26. September tendenziel­l teurer werden könnte. Denn auf alle Fälle dürfte sich eine Regierungs­bildung komplizier­t gestalten und wahrschein­lich lange hinziehen. Das jetzt noch als stabil an den Kapitalmär­kten wahrgenomm­ene Deutschlan­d würde plötzlich als etwas unsicherer eingestuft, was wiederum indirekt – so die Schlussfol­gerung von Herbst – zu einem leichten Anstieg der Hypotheken­zinsen führen könnte.

Käme es zu einem rot-grün-roten Bündnis, könnte Deutschlan­d als noch unsicherer wahrgenomm­en werden, was die Hypotheken­zinsen ein Stück mehr belasten könnte. Natürlich wäre Baugeld nach der Theorie immer noch billig, aber eben nicht mehr ganz so preiswert, wenn die Linken mitregiere­n.

Ein guter Zeitpunkt für einen Immobilien‰Kredit

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Foto: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa Die Geldentwer­tung dürfte nach Ansicht vieler Volkswirte bald wieder auf ein verträglic­hes Maß sinken.

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