Asien probt die Rückkehr zu neuer Normalität
Pandemie Lange Zeit fokussierten sich viele Länder der Region auf die Vorbeugung von Infektionen. Nun zeichnet sich ein Wandel ab
Wenn in Europa „Zero Covid“gefordert wird, hat man bisher häufig nach Asien verwiesen: Neben dem mit Überwachung reagierenden China war da Taiwan, das sich von Anfang an wirksam vom Virus abschottete. Oder Südkorea, das es nach einem frühen Ausbruch schaffte, die Infektionen durch Isolation, Desinfektion und Tracking wieder einzudämmen. Auch mehrere Länder in Südostasien verzeichneten lange Zeit kaum Ansteckungen mit Covid-19 – auch, weil die meisten Menschen strenge Anweisungen ihrer Regierungen befolgte.
Vielerorts wusste man, dass Prävention die beste Medizin ist, zumal in Gesundheitssystemen, die einer grassierenden Pandemie kaum standhalten würden. Europa, lange Zeit der größte Infektionsherd in der Pandemie, hat sich insofern nach Ost -und Südostasien orientiert. Doch in vielen Ländern ist mittlerweile ein Wandel zu verzeichnen.
Abgesehen von China, das weiterhin auf eine komplette Infektionseindämmung setzt, ist man trotz der Ausbreitung der Deltavariante vielerorts pragmatisch geworden. Man hofft auf allmählich eintretende Impfeffekte, die wieder ein von vor der Pandemie gewohntes Leben mit dem Virus ermöglichen sollen. Und diverse Regierungen setzen mittlerweile auf eine Balance zwischen Wirtschaftswachstum und Gesundheitspolitik. Ein Überblick:
● Südkorea Als erste Zentralbank Asiens verkündete Ende August die Bank of Korea, den Leitzins von 0,5 auf 0,75 anzuheben, um auf diese Weise die in Südkorea wachsende Verschuldung privater Haushalte, anziehende Immobilienpreise und die steigende Inflation unter Kontrolle zu bringen. Dies ist auch deshalb als Fokus auf Wirtschaftspolitik zu werten, weil mehrere Analysten eine Fortführung der bisherigen Zinspolitik erwartet hatten. Südkorea ist mit 255000 Infektionsfällen zwar weiterhin relativ milde von der Pandemie betroffen. Aber im August hat das Land seine bis jetzt höchste Infektionswelle erlebt. Bisher sind zudem nur gut 30 Prozent vollständig geimpft.
● Philippinen Auch auf den Philippinen, wo bis jetzt nur elf Prozent zwei Impfungen erhalten haben, ist eine Kehrtwende zu beobachten. Seit Monaten verschlimmert sich die Infektionslage, Anfang der Woche verzeichnete das 108-MillionenLand einen Höchstwert von gut 22000 Neuinfektionen. Mehr als zwei Millionen Menschen sind bisher infiziert worden, rund 33000 gestorben, darunter gut 100 Menschen aus dem überlasteten Gesundheitssektor. Zuletzt protestierten
Pflegekräfte auf der Straße für bessere Bezahlung und mehr Ressourcen für Krankenhäuser. Die Regierung aber kündigte Mitte August an, einen bisher geltenden strikten Lockdown fortan zu lockern, was die Last aufs Gesundheitssystem eher erhöhen dürfte, die wirtschaftliche Aktivität aber ankurbeln soll.
● Singapur Der wohlhabendere 5,7-Millionenstadtstaat, der auch wegen strenger Grenzschließungen bisher kaum vom Virus betroffen war, beginnt nun eine Öffnung. Nun dürfen auch vollständig geimpfte Personen mit deutschem Pass wieder ins Land. Singapur zählt bisher nur rund 66000 Infektionsund weniger als 60 Todesfälle. Mit einer Impfquote von bisher gut 75 Prozent ist das kleine Land seiner Region weit voraus, wenngleich die Infektionszahlen zuletzt anstiegen. Es wird aber erwartet, dass bald weitere Grenzöffnungen unter Auflagen folgen werden.
● Japan Die Regierung versucht schon lange den Spagat von Wirtschaftswachstum und Öffnung einerseits und Infektionseindämmung andererseits. Im vergangenen Jahr, bevor die Deltavariante grassierte, gelang das auch relativ gut. Die Grenzen wurden geschlossen, das Alltagsleben aber kaum eingeschränkt. Mit der Austragung der Olympischen und Paralympischen Spiele in Tokio gab man zu verstehen, an dieser Linie festzuhalten. Der Preis sind mehr Infektionen. Zuletzt verzeichnete das Land bei einer Impfquote von mittlerweile rund 45 Prozent eine 7-Tages-Inzidenz von über 120, das Gesundheitssystem ist überlastet und weist Patienten ab. Dennoch verpflichtet die Regierung kein Restaurant zum Schließen – sie bittet nur höflich, was aber zusehends ignoriert wird.
● Das weiter südlich gelegene Thailand folgt dem japanischen Beispiel, wenn auch in einer brenzligeren Lage. Seit Wochen wird immer wieder auf der Straße protestiert, um stärkere Coronamaßnahmen zu erzwingen. Bei einer Impfquote von elf Prozent wurden im 70-Millionenland bisher an die 1,3 Millionen Infektions- und 12 000 Todesfälle registriert. Mitte August wurde mit 23000 Neuinfektionen ein Höchstwert erreicht, seitdem sind die Werte wieder etwas gefallen. Eine seit Juli geltende Tourismusbelebungsmaßnahme, mit der geimpfte Touristen aus dem Ausland auf die Ferieninsel Phuket reisen dürfen, wurde aber nicht zurückgenommen. Bald könnten weitere Tourismuszonen folgen.
● Taiwan Anders verhält sich bisher Taiwan. Über das letzte Jahr machte der Inselstaat mit 24 Millionen Einwohnern immer wieder Schlagzeilen, weil es über Monate gelang, Neuinfektionen komplett vorzubeugen. Mit dem Aufkommen der Deltavariante änderte sich dies jedoch. Im Frühsommer verzeichnete das Land einige hundert Neuinfektionen pro Tag, woraufhin Schulen und Grenzen wieder strenger geschlossen wurden. Maßgeblich dafür verantwortlich machte Taiwans Regierung die internationale Diplomatie. Nachbarstaat China sieht Taiwan als Teil des eigenen Territoriums, womit bilateral vereinbarte Impfzulieferungen an Taiwan als eine Verletzung chinesischer Souveränität gesehen werden könnten. Auch deshalb, so Taiwans Regierung, sind bisher nur rund vier Prozent der Menschen vollständig geimpft. Daher wurde in Taiwan mit aller Kraft ein eigener Impfstoff entwickelt.
Taiwan setzt nun stark auf einen eigenen Impfstoff