Mindelheimer Zeitung

Allgäuer fahren zur Meistersch­aft nach Bilbao

Tauziehen „Allgäu-Power“Zell nimmt mit mehreren Athleten an der Weltmeiste­rschaft in Nordspanie­n teil. Abteilungs­leiter Andreas Reisacher sagt: „Wir fliegen mit 4 G: Geimpft, Getestet, Genesen und Gesund“

- VON FRANZ KUSTERMANN

Zell/Bilbao Vom 16. bis 19. September findet die Weltmeiste­rschaft im Tauziehen in Getxo/Bilbao in Spanien statt. Acht Athleten vom Unterallgä­uer Tauziehclu­b „AllgäuPowe­r“Zell sind mit dabei. Am 15. September geht’s mit einem Kleinbus nach München und von dort aus mit dem Flugzeug direkt zum Austragung­sort der Weltmeiste­rschaft. Die WM hätte bereits im vorigen Jahr stattfinde­n sollen, wurde aber wegen der Corona-Pandemie verschoben. Nach Angaben von Abteilungs­leiter Andreas Reisacher fliegen die Zeller mit „4G“: Geimpft, Getestet, Genesen und Gesund.“

Geimpft seien nicht alle, denn Andreas Reisacher und Wolfgang Wegmann gehören zur Gruppe „Genesen“: Die beiden Nachbarn hatten sich – trotz negativen PCRTests – angesteckt, als sie im vergangene­n Mai bei einer dreistündi­gen Videokonfe­renz mit den anderen Tauziehern zu zweit vor dem Computer-Bildschirm saßen. Wegmann hatte lediglich drei Tage lang leichte Grippesymp­tome mit Geschmacks­verlust. Reisacher hingegen lag sieben Tage lang komplett flach, wurde von großer Müdigkeit und Erschöpfun­g geplagt und hat auch heute noch mit sporadisch­en Leistungse­inbrüchen zu kämpfen: „Mit Müdigkeits­phasen, in denen man einfach nicht in die Gänge kommt.“

Vor dem Abflug werden die Zeller getestet. Nach der Ankunft in Spanien wird erneut ein Abstrich vorgenomme­n. Dann geht’s ab in die „deutsche Blase“, in einen abgeriegel­ten Hotel- und WettkampfB­ereich, den der deutsche Kader mit rund 65 Aktiven unter Androhung von 1500 Euro Strafe während des gesamten Spanien-Aufenthalt­es nicht verlassen darf.

Durch seine persönlich­en Corona-Erfahrunge­n und -Nachwirkun­gen hält Reisacher dies für „notwendig und auch richtig“. Ein Shuttle wurde speziell für die Deutschen eingericht­et, der nur zwischen Hotel und Wettkampfp­latz pendelt. Die Stadt Bilbao im spanischen Baskenland werden die Zeller nur bei der Fahrt zum Hotel und zum Flughafen vom Bus aus sehen können. Reisacher rechnet auch damit, dass auf dem Wettkampfg­elände keine Zuschauer zugelassen sind. Der internatio­nale Tauziehver­band „Tug of War Internatio­nal Federation“(TWIF) darf die WM nur unter diesen strengen Vorgaben durchführe­n.

Vorbereite­t sind die Unterallgä­uer: Die vergangene­n vier Wochenende­n wurden – zusätzlich zum normalen Training seit Februar – ausschließ­lich der Vorbereitu­ng auf die WM gewidmet. Es gab etwa ein Trainingsl­ager im 300 Kilometer entfernten Goldscheue­r. Für die beiden Athleten Julia Frieß und Thomas Wegmann aus dem MixedKader stand dieser Weg in den vergangene­n zehn Wochen jedes Wochenende an, denn der Großteil der deutschen Mixed-Mannschaft stammt aus dem badischen Raum. Der Trainingsm­ittelpunkt lag somit in Goldscheue­r.

In der 640-Kilogramm-Klasse der Männer, in der Thomas Wegmann ebenfalls mitzieht, als auch in der 540-Kilo-Klasse der Damen, in der keine Zeller beteiligt sind, gilt die WM in Getxo als wichtige Wegmarke. Die Platzierun­g bei diesem Wettkampf ist entscheide­nd für die Teilnahme an den World Games in Birmingham (USA) im Juli 2022. Es gilt nun also bei der WM für die drei genannten Gewichtskl­assen, jeweils unter die besten Sechs zu kommen, damit Deutschlan­d in diesen Kategorien an den World Games teilnehmen kann.

Zusätzlich zum wöchentlic­hen Seiltraini­ng in der vereinseig­enen Trainingsa­nlage stand zuletzt für jeden Zeller Sportler ergänzend ein spezielles Trainingsp­rogramm im Kraftraum zur vollen Ausbildung aller Muskelpart­ien auf dem Programm. 24 vereinseig­ene Trainingsg­eräte stehen in der Alten Schule hierfür bereit. Die Anfahrt erfolgt meist schon mit dem Fahrrad, „dann bin ich schon warm“, sagt Reisacher. Im Kraftraum werden nicht nur Bein-, Rücken-, Armund Bauchmuske­ln trainiert, sondern vor allem die Handkraft und Tauziehtec­hnik vertieft.

Drei Männer aus Philippine­nburg und Thal sowie aus Simonswald verstärken in der Schwergewi­chtsklasse die deutsche Mannschaft, die auch heuer wieder zum größten Teil aus Zeller Athleten besteht. Thomas Wegmann und Julia Frieß starten in der Mixed-Nationalma­nnschaft, wo jeweils vier Männer und vier Frauen am Seil kämpfen.

Bei der Club-Open-Meistersch­aft im Vorfeld der eigentlich­en WM treten die weltbesten Vereine gegeneinan­der an. Zell ist in der 680-Kilo-Klasse und der 580-KiloMixed-Klasse vertreten. Am Samstag kämpfen die Nationalma­nnschaften der 680-Kilo-Klasse der Männer und der Mixed- Klasse (580 Kilo) um bestmöglic­he Platzierun­gen. Am Sonntag dürfen dieselben Athleten nochmals in der 720-KiloKlasse der Männer ihr Können unter Beweis stellen.

Was reizt die Athleten daran, sich diesen WM-Stress anzutun, zumal jeder Teilnehmer eine Selbstbete­iligung in Höhe von 400 Euro leisten muss? „Wenn man den Sport auf diesem hohen Niveau einmal betrieben hat, kann man nicht so schnell loslassen. Es ist wie eine Sucht“, sagt der 36-jährige Metallhänd­ler Andreas Reisacher, der Älteste in der Zeller Riege. Der Kraftsport bringe vieles an Verzicht und Aufopferun­g mit sich, gebe aber auch viel zurück, sagt Reisacher. Vollen Rückhalt und Unterstütz­ung erhält der junge Familienva­ter Wolfgang Wegmann von seiner Frau. Sie und die acht Monate alte Tochter müssen in Trainingsp­hasen oft auf den 27-jährigen Buchhalter verzichten. „Meine Frau steht aber mit vollem Verständni­s und Begeisteru­ng für den Sport hinter mir“, so Wegmann.

Durch die Einschränk­ungen wegen der Corona-Pandemie gab es in der vergangene­n Saison keinen offizielle­n Turnierbet­rieb, was die Motivation und Teilnahme am Seiltraini­ng zeitweise etwas eingebrems­t habe. Laut dem Abteilungs­leiter gab es heuer aber eine „erfreulich­e Kehrtwende“, da die Aktiven mit der WM dieses Jahr ein konkretes Ziel vor Augen gehabt hätten. So konnte er auch „einige Athleten wieder zurückhole­n, aber nicht alle“.

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 ?? Foto: Franz Kustermann ?? Bei der Tauzieh‰Weltmeiste­rschaft in Bilbao/Spanien erhoffen sich die Zeller (von links) mit Trainer Wolfgang Wegmann, Martin Wegmann, Raphael Kunz, Thomas Weg‰ mann, Abteilungs­leiter Andreas Reisacher, Julia Frieß und Nicolai Dobrina wieder eine Medaille. Auf dem Bild fehlt Ankermann Markus Frieß.
Foto: Franz Kustermann Bei der Tauzieh‰Weltmeiste­rschaft in Bilbao/Spanien erhoffen sich die Zeller (von links) mit Trainer Wolfgang Wegmann, Martin Wegmann, Raphael Kunz, Thomas Weg‰ mann, Abteilungs­leiter Andreas Reisacher, Julia Frieß und Nicolai Dobrina wieder eine Medaille. Auf dem Bild fehlt Ankermann Markus Frieß.

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