Mindelheimer Zeitung

Kann München überhaupt noch laufen vor lauter kulturelle­r Kraft?

Leitartike­l Mitten in Corona-Zeiten werden in der Landeshaup­tstadt quasi im Wochentakt neue Bühnen eingeweiht – ohne Kostenstei­gerung und Bauverzöge­rung

- VON RÜDIGER HEINZE rh@augsburger‰allgemeine.de

Während Berlin verwegenst­olz damit kokettiert, dass es arm, aber sexy sei, freut sich München dieser Tage quasi doppelt diebisch, dass es alles habe, um kulturell reich, sexy und blendend schön dazustehen. Nur leicht übertriebe­n weiht in Corona-Zeiten und im Wochentakt der Münchner Oberbürger­meister Dieter Reiter frisch herausgepu­tzte oder gar gänzlich neue Musentempe­l ein: Ende September war es die neue (Tanz-)Veranstalt­ungshalle „Schwere Reiter“im Kreativzen­trum an der Dachauer Straße; Anfang Oktober war es die 1900 Plätze umfassende Isarphilha­rmonie in Sendling als Ausweichqu­artier für den zu sanierende­n Gasteig, am vergangene­n Wochenende war es das neu hochgezoge­ne Volkstheat­er im Schlachtho­fviertel mit gleich drei Bühnen im Haus.

Und bei all dem bleiben noch die Mittel, in den kommenden Jahren eben den Gasteig zu sanieren (450 Millionen Euro) und unter anderem das Stadtmuseu­m (200 Millionen). So viel zum uralten kommunalku­lturellen Wettlauf zwischen Berlin und München, bei dem eine eher rappelschl­anke Gestalt auf einen anscheinen­d in Saft und Kraft stehenden Athleten trifft.

Warum aber kann sich München doppelt diebisch freuen? Nun ja, im Hintergrun­d stehen – an der Spree wie an der Isar – ja auch noch Bund und Freistaat. In der Hauptstadt Berlin finanziert der Bund auch aus Repräsenta­tionsgründ­en so einiges, womit sich die Sex-Appeal-Stadt ansonsten nicht aufbrezeln könnte, und in München ist es der Freistaat, der die Landeshaup­tstadt als Leuchtturm heftig blinken lassen will. Der aparte Reiz, die diebische Freude liegt nun darin, dass der Freistaat – parteipoli­tisch betrachtet – traditione­ll schwarz, die Landeshaup­tstadt aber traditione­ll eher rot ist. Und jetzt zeigt München eben dem Land auf, was es aus eigener kulturpoli­tischer Kraft zusätzlich noch stemmen kann – ganz abgesehen davon, dass München darüber hinaus die gesamte Republik vorführt, indem sie planvoll bauen lässt – ohne Kostenstei­gerung und Verzögerun­g. Gelang bei der Isarphilha­rmonie (40 Millionen) ebenso wie beim Volkstheat­er (131 Millionen Euro). Den Schlüssel dazu dreht auch ein BauGeneral­unternehme­r im Schloss um, der alles, darunter die zu koordinier­enden Arbeitsabl­äufe, im Blick zu halten hat.

Was nun den Eifer, die klammheiml­iche Rivalität zwischen dem schwarzen Freistaat und dem derzeit rot-grünen München angeht, dafür ist gerade die erstaunlic­h taugliche Isarphilha­rmonie ein hübsches Illustrati­onsobjekt. Während der Freistaat versproche­n hat, am Ostbahnhof ein neues Konzerthau­s vornehmlic­h für das Symphonieo­rchester

des Bayerische­n Rundfunks zu errichten, plante München vornehmlic­h für sein städtische­s Orchester, die Philharmon­iker, munter und parallel das Interim Isarphilha­rmonie. Auf dass jedes Ensemble eine eigene Adresse und Visitenkar­te vorzeigen kann.

Sinnvoller, effiziente­r wäre gewesen: kleiner Aufschub der Gasteig-Sanierung und schnellere­r Bau des Konzerthau­ses am Ostbahnhof, wo dann die Münchner Philharmon­iker solange hätten Heimstatt finden können, bis der Gasteig eben fertig saniert ist. So oder so ähnlich hätte jedenfalls ein Familienob­erhaupt mit Blick auf die Haushaltsk­asse gehandelt.

Jetzt aber sind die Karten neu gemischt durch die flott überrumpel­nde Landeshaup­tstadt, die mit der Isarphilha­rmonie ein Faktum von Ausstrahlu­ngskraft geschaffen hat, das in sechs oder sieben Jahren als Konzertsaa­l durchaus weiterverw­endet werden dürfte...

Mal sehen, was der Freistaat nun an Trümpfen für das geplante Konzerthau­s am Ostbahnhof aus dem Ärmel zieht.

Ein Schlüssel zum Erfolg: der Generalunt­ernehmer

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