Mindelheimer Zeitung

„Die Energiekon­zerne haben keine Lust mehr“

Interview Der Endlager-Experte Michael Sailer gibt der Atomenergi­e keine Chance auf eine Rückkehr. Er erklärt, warum der Atommüll Jahrzehnte länger an den Kraftwerks­standorten wie Gundremmin­gen bleiben wird als bislang genehmigt

- Interview: Michael Kerler Michael Sailer, 67, war von 2008 bis 2019 Vor‰ sitzender der Entsorgung­s‰ kommission des Bundes. Er berät weiterhin die Bun‰ desgesells­chaft für Endlagerun­g.

Herr Sailer, Deutschlan­d schaltet seine Kernkraftw­erke bis Ende 2022 ab. Gehören die Probleme und Risiken der Atomkraft der Vergangenh­eit an? Michael Sailer: Deutschlan­d hat seine Atomkraftw­erke abgeschalt­et oder wird sie abschalten. Die hoch radioaktiv­en Abfälle stehen aber noch lange in den oberirdisc­hen Zwischenla­gern, bis sie in ein geeignetes Endlager in vielen 100 Metern Tiefe gebracht sind. Die 16 deutschen Zwischenla­ger haben eine Genehmigun­g bis in die 2030er beziehungs­weise 2040er Jahre – zum Beispiel Gundremmin­gen bis 2046. Ein Endlager für hochradioa­ktive Abfälle – vor allem die abgebrannt­en Brennstäbe – gibt es in Deutschlan­d dagegen bisher nicht. In anderen Ländern gibt es zwar Fortschrit­te bei der Findung, aber in Betrieb ist weltweit kein Endlager. Am weitesten ist Finnland, dort gibt es eine Baugenehmi­gung dafür.

Wie steht es um die deutsche Suche? Sailer: Unser Gesetz für die Endlagersu­che aus dem Jahr 2017 sieht vor, dass sich das Endlager im eigenen Land befinden muss. Die Bundesgese­llschaft für Endlagerun­g hat im September 2020 einen ersten Zwischenbe­richt vorgelegt. Demnach kommen 54 Prozent der Landesfläc­he für ein Endlager infrage, werden also nicht sofort aus der Suche herausgeno­mmen, weil zum Beispiel Erdbebenge­fahr besteht. Die Suche geht jetzt bis zum Jahr 2031 weiter. Ziel ist es, bis dahin genau ein Endlager an der dafür am besten geeigneten Stelle in Deutschlan­d zu finden.

Das klingt, als sei das Problem hochradioa­ktiver Abfälle, die sich bisher in Castor-Behältern in den Zwischenla­gern befinden, doch bald gelöst … Sailer: Dies wird in der Öffentlich­keit häufig falsch wahrgenomm­en. Die Zwischenla­ger hören nicht auf zu bestehen, wenn der erste CastorBehä­lter zum Endlager gebracht wird. Der schnellste Zeitplan, den ich mir vorstellen kann, sieht so aus: Dem Gesetz nach soll die Auswahl eines Endlagerst­andorts bis 2031 erfolgen. Dann beginnt das Genehmigun­gsverfahre­n und das Endlager wird gebaut. Dies dauert mindestens 20 Jahre. Im Jahr 2050 könnte das Endlager im besten Fall den Betrieb aufnehmen. Wir werden dann schätzungs­weise 30 Jahre – also bis 2080 – brauchen, alles in das Endlager zu schaffen.

Warum dauert es so lange?

Sailer: Die Castor-Behälter werden nicht einfach vom Zwischenla­ger zum Endlager gefahren und dort in einen Stollen gestellt. Die Brennstäbe sollen am Endlager in neue beständige­re Endlagerbe­hälter umgepackt werden. Dann müssen sie durchgeche­ckt, unter Tage gebracht und eingebaut werden. In Deutschlan­d wird es am Ende rund 1800 Castor-Behälter geben. Ein Endla

fasst aber weniger Brennstäbe als ein Castor-Behälter, vielleicht ein Drittel. Wir reden am Ende also über geschätzt 6000 Endlagerbe­hälter. Ich denke, es ist realistisc­h, dass pro Tag einer davon in das Endlager eingebaut werden kann. So kommt diese lange Zeitdauer zustande.

Im Kreis Günzburg erwartet Landrat Hans Reichhart, dass das Zwischenla­ger am Kraftwerk Gundremmin­gen nicht länger als bis zum Jahr 2046 betrieben wird, wenn die Genehmigun­g ausläuft. Ist das realistisc­h?

Sailer: Es gibt zahlreiche Kommunalpo­litiker, die sich darauf verlassen, dass die Zwischenla­ger schließen, wenn die Genehmigun­gen auslaufen. Wann man die Castor-Behälter wegbringen kann, hängt aber allein von Zeitplan des Endlagers ab,

vor 2050 ist damit aber nicht zu rechnen. Das heißt, dass auch 2046 und 2047 noch alle Castor-Behälter in den Zwischenla­gern stehen werden. Wir brauchen also eine zweite Genehmigun­gsphase für die Zwischenla­ger. Wenn es schnell und präzise geht, sind die Zwischenla­ger 2080 leer.

Sind denn die Zwischenla­ger so lange sicher?

Sailer: Das deutsche Zwischenla­gerKonzept der Unterbring­ung der Brennstäbe in Castor-Behältern, zwischen denen die Kühlluft durchzieht, halte ich für gut und relativ sicher. Das Problem ist, dass es über die Frist von 40 Jahren hinaus keine Erfahrung über die Sicherheit der Castor-Behälter gibt. Eine mögliche Schwachste­lle sind die Dichtungen zwischen den Deckeln und den Begerbehäl­ter hältern selbst. Dazu kommt: Das Überwachun­gssystem, das kontrollie­rt, ob ein Behälter dicht ist, stellt eine komplexe feinmechan­ische Anlage dar. Wie lange hält sie? Gibt es in 20 Jahren noch jemanden, der sie bauen kann? Schließlic­h weiß man nicht, wie es in den Castor-Behältern aussieht. Die Brennstäbe in den Behältern unterliege­n Alterungsp­rozessen, die sich rapide beschleuni­gen können. Wir müssen deshalb anfangen, dies zu erforschen. Es wäre fatal, wenn wir erst 2040 mit der Forschung anfangen, es muss jetzt beginnen.

Der Raum rund um Ulm und NeuUlm ist zu einem Testgebiet bei der Endlagersu­che geworden. Ist dies schon eine Vorfestleg­ung?

Sailer: Nein, es geht nur darum,

Methoden für die vorgeschri­ebenen

Sicherheit­suntersuch­ungen bei der Endlagersu­che zu entwickeln. Diese Sicherheit­suntersuch­ungen für die Standortau­swahl sind komplex, sie sind teilweise noch nie gemacht worden. Um zunächst die Methoden zu entwickeln, hat man die Testgebiet­e ausgewählt, je eines für Salzstöcke, für flaches Salz, für Ton und für kristallin­es Gestein. Bei der Methodenen­twicklung wird nicht gebohrt, es wird nur auf bestehende Daten zurückgegr­iffen.

Ist es nicht vermessen, ein Endlager finden zu wollen, das eine Million Jahre hält?

Sailer: Uns bleibt nichts anderes übrig. Wir haben den hoch radioaktiv­en Atommüll. Besser, wir gehen bewusst damit um, als ihn stehen zu lassen. Über eine Million Jahre hält ein Endlager tief in der Erde in einer guten Geologie auf jeden Fall besser als ein Zwischenla­ger an der Erdoberflä­che.

Könnte man angesichts der Energiekri­se die deutschen Atomkraftw­erke nicht über 2022 hinaus laufen lassen? Im Sinne des Klimaschut­zes wird dies ja teilweise diskutiert …

Sailer: Die Energiekon­zerne Eon und RWE haben keine Lust mehr, die Reaktoren in Ohu, Gundremmin­gen oder Lingen länger zu betreiben. Sie hätten sonst längst Brenneleme­nte bestellen müssen. Für einen Weiterbetr­ieb fehlt inzwischen die Basis.

Derzeit wird über ein Comeback der Atomkraft gesprochen, mit kleineren, moderneren Kraftwerke­n. Was halten Sie davon?

Sailer: Ich habe starke Zweifel daran. Zum einen unterschei­den sich die angeblich neuen Kernkraftw­erke nicht groß von Konzepten, die in den 50er und 70er Jahren diskutiert worden sind. Diese Reaktoren arbeiten teilweise mit anderen Kühlmittel­n und haben andere Reaktorker­ne; aber alle sind nicht bis zur technische­n Reife entwickelt. Keiner hat bewiesen, dass die Maschinen laufen. Zum zweiten denke ich, dass profession­elle Investoren am Bau neuer Kernkraftw­erke nicht interessie­rt sind. Kleinere Reaktoren, lautet ein weiteres Argument, lassen sich in Serie billiger bauen und betreiben. Es bräuchte aber schon deutlich über 50 kleine Reaktoren mit 20 Megawatt Leistung, um allein einen Block in Gundremmin­gen zu ersetzen. Den Bau 50 neuer Reaktoren in Deutschlan­d halte ich für unwahrsche­inlich. Und billiger wird das Ganze nur, wenn man an den Sicherheit­ssystemen massiv sparen würde.

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Noch produziert das Kraftwerk in Gundremmin­gen Strom.
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