„Die Energiekonzerne haben keine Lust mehr“
Interview Der Endlager-Experte Michael Sailer gibt der Atomenergie keine Chance auf eine Rückkehr. Er erklärt, warum der Atommüll Jahrzehnte länger an den Kraftwerksstandorten wie Gundremmingen bleiben wird als bislang genehmigt
Herr Sailer, Deutschland schaltet seine Kernkraftwerke bis Ende 2022 ab. Gehören die Probleme und Risiken der Atomkraft der Vergangenheit an? Michael Sailer: Deutschland hat seine Atomkraftwerke abgeschaltet oder wird sie abschalten. Die hoch radioaktiven Abfälle stehen aber noch lange in den oberirdischen Zwischenlagern, bis sie in ein geeignetes Endlager in vielen 100 Metern Tiefe gebracht sind. Die 16 deutschen Zwischenlager haben eine Genehmigung bis in die 2030er beziehungsweise 2040er Jahre – zum Beispiel Gundremmingen bis 2046. Ein Endlager für hochradioaktive Abfälle – vor allem die abgebrannten Brennstäbe – gibt es in Deutschland dagegen bisher nicht. In anderen Ländern gibt es zwar Fortschritte bei der Findung, aber in Betrieb ist weltweit kein Endlager. Am weitesten ist Finnland, dort gibt es eine Baugenehmigung dafür.
Wie steht es um die deutsche Suche? Sailer: Unser Gesetz für die Endlagersuche aus dem Jahr 2017 sieht vor, dass sich das Endlager im eigenen Land befinden muss. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung hat im September 2020 einen ersten Zwischenbericht vorgelegt. Demnach kommen 54 Prozent der Landesfläche für ein Endlager infrage, werden also nicht sofort aus der Suche herausgenommen, weil zum Beispiel Erdbebengefahr besteht. Die Suche geht jetzt bis zum Jahr 2031 weiter. Ziel ist es, bis dahin genau ein Endlager an der dafür am besten geeigneten Stelle in Deutschland zu finden.
Das klingt, als sei das Problem hochradioaktiver Abfälle, die sich bisher in Castor-Behältern in den Zwischenlagern befinden, doch bald gelöst … Sailer: Dies wird in der Öffentlichkeit häufig falsch wahrgenommen. Die Zwischenlager hören nicht auf zu bestehen, wenn der erste CastorBehälter zum Endlager gebracht wird. Der schnellste Zeitplan, den ich mir vorstellen kann, sieht so aus: Dem Gesetz nach soll die Auswahl eines Endlagerstandorts bis 2031 erfolgen. Dann beginnt das Genehmigungsverfahren und das Endlager wird gebaut. Dies dauert mindestens 20 Jahre. Im Jahr 2050 könnte das Endlager im besten Fall den Betrieb aufnehmen. Wir werden dann schätzungsweise 30 Jahre – also bis 2080 – brauchen, alles in das Endlager zu schaffen.
Warum dauert es so lange?
Sailer: Die Castor-Behälter werden nicht einfach vom Zwischenlager zum Endlager gefahren und dort in einen Stollen gestellt. Die Brennstäbe sollen am Endlager in neue beständigere Endlagerbehälter umgepackt werden. Dann müssen sie durchgecheckt, unter Tage gebracht und eingebaut werden. In Deutschland wird es am Ende rund 1800 Castor-Behälter geben. Ein Endla
fasst aber weniger Brennstäbe als ein Castor-Behälter, vielleicht ein Drittel. Wir reden am Ende also über geschätzt 6000 Endlagerbehälter. Ich denke, es ist realistisch, dass pro Tag einer davon in das Endlager eingebaut werden kann. So kommt diese lange Zeitdauer zustande.
Im Kreis Günzburg erwartet Landrat Hans Reichhart, dass das Zwischenlager am Kraftwerk Gundremmingen nicht länger als bis zum Jahr 2046 betrieben wird, wenn die Genehmigung ausläuft. Ist das realistisch?
Sailer: Es gibt zahlreiche Kommunalpolitiker, die sich darauf verlassen, dass die Zwischenlager schließen, wenn die Genehmigungen auslaufen. Wann man die Castor-Behälter wegbringen kann, hängt aber allein von Zeitplan des Endlagers ab,
vor 2050 ist damit aber nicht zu rechnen. Das heißt, dass auch 2046 und 2047 noch alle Castor-Behälter in den Zwischenlagern stehen werden. Wir brauchen also eine zweite Genehmigungsphase für die Zwischenlager. Wenn es schnell und präzise geht, sind die Zwischenlager 2080 leer.
Sind denn die Zwischenlager so lange sicher?
Sailer: Das deutsche ZwischenlagerKonzept der Unterbringung der Brennstäbe in Castor-Behältern, zwischen denen die Kühlluft durchzieht, halte ich für gut und relativ sicher. Das Problem ist, dass es über die Frist von 40 Jahren hinaus keine Erfahrung über die Sicherheit der Castor-Behälter gibt. Eine mögliche Schwachstelle sind die Dichtungen zwischen den Deckeln und den Begerbehälter hältern selbst. Dazu kommt: Das Überwachungssystem, das kontrolliert, ob ein Behälter dicht ist, stellt eine komplexe feinmechanische Anlage dar. Wie lange hält sie? Gibt es in 20 Jahren noch jemanden, der sie bauen kann? Schließlich weiß man nicht, wie es in den Castor-Behältern aussieht. Die Brennstäbe in den Behältern unterliegen Alterungsprozessen, die sich rapide beschleunigen können. Wir müssen deshalb anfangen, dies zu erforschen. Es wäre fatal, wenn wir erst 2040 mit der Forschung anfangen, es muss jetzt beginnen.
Der Raum rund um Ulm und NeuUlm ist zu einem Testgebiet bei der Endlagersuche geworden. Ist dies schon eine Vorfestlegung?
Sailer: Nein, es geht nur darum,
Methoden für die vorgeschriebenen
Sicherheitsuntersuchungen bei der Endlagersuche zu entwickeln. Diese Sicherheitsuntersuchungen für die Standortauswahl sind komplex, sie sind teilweise noch nie gemacht worden. Um zunächst die Methoden zu entwickeln, hat man die Testgebiete ausgewählt, je eines für Salzstöcke, für flaches Salz, für Ton und für kristallines Gestein. Bei der Methodenentwicklung wird nicht gebohrt, es wird nur auf bestehende Daten zurückgegriffen.
Ist es nicht vermessen, ein Endlager finden zu wollen, das eine Million Jahre hält?
Sailer: Uns bleibt nichts anderes übrig. Wir haben den hoch radioaktiven Atommüll. Besser, wir gehen bewusst damit um, als ihn stehen zu lassen. Über eine Million Jahre hält ein Endlager tief in der Erde in einer guten Geologie auf jeden Fall besser als ein Zwischenlager an der Erdoberfläche.
Könnte man angesichts der Energiekrise die deutschen Atomkraftwerke nicht über 2022 hinaus laufen lassen? Im Sinne des Klimaschutzes wird dies ja teilweise diskutiert …
Sailer: Die Energiekonzerne Eon und RWE haben keine Lust mehr, die Reaktoren in Ohu, Gundremmingen oder Lingen länger zu betreiben. Sie hätten sonst längst Brennelemente bestellen müssen. Für einen Weiterbetrieb fehlt inzwischen die Basis.
Derzeit wird über ein Comeback der Atomkraft gesprochen, mit kleineren, moderneren Kraftwerken. Was halten Sie davon?
Sailer: Ich habe starke Zweifel daran. Zum einen unterscheiden sich die angeblich neuen Kernkraftwerke nicht groß von Konzepten, die in den 50er und 70er Jahren diskutiert worden sind. Diese Reaktoren arbeiten teilweise mit anderen Kühlmitteln und haben andere Reaktorkerne; aber alle sind nicht bis zur technischen Reife entwickelt. Keiner hat bewiesen, dass die Maschinen laufen. Zum zweiten denke ich, dass professionelle Investoren am Bau neuer Kernkraftwerke nicht interessiert sind. Kleinere Reaktoren, lautet ein weiteres Argument, lassen sich in Serie billiger bauen und betreiben. Es bräuchte aber schon deutlich über 50 kleine Reaktoren mit 20 Megawatt Leistung, um allein einen Block in Gundremmingen zu ersetzen. Den Bau 50 neuer Reaktoren in Deutschland halte ich für unwahrscheinlich. Und billiger wird das Ganze nur, wenn man an den Sicherheitssystemen massiv sparen würde.