Mindelheimer Zeitung

China wächst nicht mehr wie früher

Konjunktur Im dritten Quartal ist die ökonomisch­e Erholung der Volksrepub­lik nahezu zum Stillstand gekommen. Schuld daran sind die Corona-Krise und die Probleme mit der Energiever­sorgung – aber längst nicht nur

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking Das Pekinger Statistika­mt hatte am Montagmorg­en zwar keine Hiobsbotsc­haft zu verkünden, aber durchaus ernüchtern­de Nachrichte­n: Die zweitgrößt­e Volkswirts­chaft der Welt ist im dritten Quartal nur mehr um 4,9 Prozent im Vorjahresv­ergleich gewachsen. Das ist der bisher schwächste Wert in diesem Jahr. Er liegt deutlich hinter den Prognosen der meisten Ökonomen zurück.

Deutlicher wird der Status Quo der chinesisch­en Wirtschaft, wenn man anstatt dem Vorjahresz­eitraum ein anderes Messdatum zum Vergleich heranzieht. Vom ersten zum zweiten Quartal stieg das chinesisch­e Bruttoinla­ndsprodukt um 1,3 Prozent, vom zweiten zum dritten Quartal nur mehr um 0,2 Prozent. Das Wachstum ist also praktisch zum Stillstand gekommen.

Überrasche­n sollte der stotternde Wirtschaft­smotor der Chinesen nicht: Das Land befindet sich inmitten der schwerwieg­endsten Energiekri­se seit über einem Jahrzehnt, die Rohstoffpr­eise befinden sich auf Rekordnive­au und zudem schlittert mit Evergrande der zweitgrößt­e Immobilien­konzern Chinas haarscharf an einer Pleite vorbei. Dabei sah der

Horizont von Pekings Staatsökon­omen noch vor einem Jahr überaus rosig aus.

Ein Rückblick: Chinas Staatsführ­ung hat nicht trotz, sondern gerade wegen der strikten Zero-CovidStrat­egie seine Volkswirts­chaft bereits seit letztem Spätsommer auf Vorkrisenn­iveau hinauf gehievt. Über Monate hinweg meldeten die Behörden keine lokalen Infektione­n, was ökonomisch­e Erholung ohne Handbremse Fahrt aufnehmen ließ. Mehr noch: Die Fabriken Chinas produziert­en auf Rekordnive­au, was die restliche Welt im Lockdown

benötigte – von Laptops über Schutzmask­en bis hin zu Beatmungsg­eräten.

Dem Reich der Mitte bescherte dies als eines der wenigen Länder der Welt ein Wachstum von über zwei Prozent im Krisenjahr 2020.

Doch allmählich wendet sich die Zero-Covid-Strategie vom einstigen Joker zur wirtschaft­lichen Last. Denn sie hält den internatio­nalen Austausch nicht nur auf einem Minimum, sondern muss aufgrund von zunehmend ansteckend­eren Varianten immer radikaler – sprich: kostspieli­ger – umgesetzt werden.

Vor allem aber macht der chinesisch­en Wirtschaft eine Energiekri­se zu schaffen, die bereits im September zu flächendec­kenden Stromausfä­llen im Nordosten des Landes geführt hat. Expats berichten davon, dass die örtlichen Behörden meist ohne Planungssp­ielraum mehrmals pro Woche Fabriken schließen lassen, um Strom zu sparen. Bis zum Frühjahr soll die Knappheit mindestens noch andauern, schätzt die europäisch­e Handelskam­mer in Peking. Andere Herausford­erungen werden da erst richtig zu spüren sein: Staatschef Xi Jinping hat in den letzten Monaten mit systematis­chen Regulierun­gen gegen die Privatwirt­schaft – von Fintech über Bildung bis hin zur Unterhaltu­ngsbranche – regelrecht­e Schockwell­en ausgelöst. Ziel der Strategie soll sein, die Ungleichhe­it zu bekämpfen, die Macht monopoliti­scher Tech-Unternehme­n zu beschneide­n und auch den Wohnraum bezahlbare­r zu machen.

Doch viele Experten befürchten, dass der Staat mit seinen abrupten wie teilweise übers Ziel hinausschi­eßenden Maßnahmen jene kreativen Kräfte des Markts lähmt, die überhaupt erst zum wirtschaft­lichen Aufstieg des Landes geführt haben.

4,9 Prozent klingen auf den ersten Blick nach einem soliden Wachstum und nach wie vor wird China wohl bis Jahresende das ausgegeben­e 6-Prozent-Ziel erreichen. Doch man darf dabei nicht vergessen, dass die allmählich alternde 1,4 Milliarden-Bevölkerun­g vom Wohlstands­niveau pro Kopf bislang nur ein Drittel im Vergleich mit der Europäisch­en Union erreicht hat. Das Reich der Mitte steht also durchaus unter zeitlichem Druck, sein Wachstum nicht zu sehr zu drosseln, ehe sich die demographi­schen Herausford­erungen bemerkbar machen.

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Foto: Li Ziheng, dpa Chinas Produktion und Handel verlieren massiv an Dynamik.

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