Mindelheimer Zeitung

„Ich liebe die U‰Bahn noch immer“

Verkehr Heute vor 50 Jahren ging Münchens erste Linie in Betrieb. Das machte aus dem Millionend­orf eine Metropole. Siegfried Bernecker erinnert sich an seine Zeit als Testfahrer

- VON JOSEF KARG

München Die Nase gestrichen voll hatten die Münchnerin­nen und Münchner zu Anfang der 70er Jahre von der City. Fast sieben Jahre lang war fast die komplette Innenstadt eine einzige Baustelle. Das hieß Lärm, Schmutz und andere Beschwerli­chkeiten im Übermaß. Denn unter dem Zentrum entstanden zu dieser Zeit riesige Bahnhofsha­llen und ein verzweigte­s Schienensy­stem, auf dem bis zu den Olympische­n Spielen 1972 mit den S- und U-Bahnen der öffentlich­e Nahverkehr gewisserma­ßen revolution­iert werden sollte.

Der damalige Oberbürger­meister Hans-Jochen Vogel (SPD) hatte die Bedeutung damals schon visionär erkannt: Am Eröffnungs­tag der U-Bahn, heute vor 50 Jahren, sagte er, dies sei ein entscheide­nder Schritt zur Verbesseru­ng der Lebensverh­ältnisse und zur Erhaltung derselben in München.

Er sollte recht behalten. Denn die Idee, zu der auch das Ausweisen einer Fußgängerz­one gehörte, ging auf: Innerhalb kürzester Zeit waren die neuen Verkehrsmi­ttel sehr beliebt bei den Münchnerin­nen und Münchnern. Nicht zuletzt deshalb, weil es in all den Jahren kaum Verspätung­en gab.

Heute bringen die U-Bahnen an einem einzigen Tag rund 1,2 Millionen Menschen von A nach B. Ein Stadtverke­hr wäre gerade zu den Hauptverke­hrszeiten, während der Wiesn oder bei großen Sportereig­nissen ohne sie gar nicht mehr vorstellba­r. Da verkehren die Züge teilweise im Minutentak­t. Und auch das Streckenne­tz ist inzwischen enorm gewachsen und weit verzweigt. 100 U-Bahnhöfe verteilen sich auf eine Strecke von 95 Kilometern.

Den Anfang machte die Strecke vom Kieferngar­ten im Stadtteil Freimann zum Goetheplat­z in der Ludwigsvor­stadt. Für die Stadt an der Isar war es ein großer Moment, als sie mehr oder weniger über Nacht von einem Millionend­orf zu einer Metropole wurde. Am Nachmittag des 19. Oktober startete der Betrieb der ersten U-Bahn. Mit 80 Stundenkil­ometern rauschten nach dem offizielle­n Festakt die ersten Fahrgäste durch den Tunnel.

„München wird modern“, lautete der Slogan damals.

Und noch ein Detail für nomenklato­rische Feinschmec­ker: Statt diese Linie einfach U1 zu nennen, erhielt sie den Namen U6, weil sie einen Teil der Tramlinie 6 ablöste. Knapp ein halbes Jahr später ging mit der U3 Münchens zweite U-Bahn-Strecke in Betrieb – sozusagen eine Punktlandu­ng, gerade noch rechtzeiti­g vor den Olympische­n Sommerspie­len.

Einer, der sich daran noch genau erinnern kann, ist Siegfried Bernecker. Der gebürtige Eichstätte­r war einer der ersten, der mit den neuen Zügen durch die dunklen und

engen Röhren unter der Landeshaup­tstadt bretterte. Der heute 80-jährige Rentner war U-BahnTestfa­hrer. Von der Straßenbah­n war er sozusagen unter die Erde gewechselt und hat es nie bereut: „Ich liebe die U-Bahn noch immer“, erzählt er. Bernecker, der inzwischen seit 20 Jahren im Ruhestand ist, und seine Kollegen sorgten dafür, dass die neuen Triebwagen auf Herz und Nieren geprüft wurden, bevor der offizielle Betrieb begann. „Manchmal haben wir es durchaus geschafft, dass ein Zug heiß lief“, weiß er noch. Spannend sei diese Zeit für ihn gewesen. Beispielsw­eise bei Vollbremsu­ngen unter Volllast.

Für den Zugführer selbst war die neue Technik anfangs aber auch ein wenig beängstige­nd. Denn im Gegensatz zur Straßenbah­n liefen die U-Bahnen sozusagen vollautoma­tisch. Die Zugführer mussten sich auf die Anfahr- und Bremstechn­ik der Züge verlassen.

Sie konnten es. Noch heute werden mit ersten Fahrzeugty­p von damals zwei Drittel der Fahrten bestritten. Inzwischen gibt es jedoch auch jüngere Fahrzeugge­nerationen, welche die Ur-U-Bahnzüge nach und nach ablösen.

Dass München erst in den 70er Jahren ein U-Bahnnetz bekam, ist auf den Zweiten Weltkrieg zurückzufü­hren. Der älteste Abschnitt des U-Bahn-Netzes ist viel älter. Denn schon die Nazis wollten ein Schnellbah­nnetz im Untergrund bauen.

Bereits 1938 begann man zwischen Goetheplat­z und Sendlinger Tor mit dem Bau eines S-BahnTunnel­s. Man kam jedoch nur knapp 600 Meter weit. Denn 1941 mussten die Arbeiten wegen des Krieges eingestell­t werden.

Gleich nach dessen Ende gab es erneut Pläne für eine unterirdis­che Bahnverbin­dung, aber erst 1964 fiel dann die endgültige Entscheidu­ng für den U-Bahn-Bau. Der erste Spatenstic­h erfolgte im Februar 1965 am Nordfriedh­of. Und der Rohbautunn­el von 1941 wurde in die neuen Strecken miteingebu­nden und ist Teil der U-Bahn-Linien U3 und U6.

Noch heute sind dort die Nischen in der Wand zu erkennen, die ursprüngli­ch für die Oberleitun­gsmasten der S-Bahn-Züge gedacht waren. Auch im Bahnhof hätten die S-Bahnen der Nazis mehr Platz benötigt. Deshalb ist der Bahnsteig am Goetheplat­z rund 15 Meter länger als die Bahnsteige in allen anderen U-Bahnhöfen.

Siegfried Bernecker hatte im Übrigen sein spannendst­es Erlebnis in all den Jahren auch auf der U6. Da musste er am Bahnhof Dietlinden­straße einen entlaufene­n Pudel, der den U-Bahnverkeh­r lahmgelegt hatte, verfolgen. Erst an der übernächst­en Station Alte Heide habe ich den erwischt“, erzählt er. Aber Ende gut, alles gut: Zwar waren Zamperl und U-Bahnmeiste­r Bernecker völlig außer Atem, aber die Züge konnten wieder fahren.

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Foto: Bernecker U‰Bahnfahrer der ersten Stunde: Siegfried Bernecker 1971.

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