BildChef muss gehen
Medien Julian Reichelt wurden schwere Vorwürfe gemacht. Nun berichtete die New York Times und ein deutsches Journalisten-Team recherchierte. Das Ergebnis: Das Ende einer Karriere
Berlin/München In den vergangenen Wochen war ein Julian Reichelt zu erleben, wie ihn die Öffentlichkeit kennt: meinungsstark, präsent. Am Sonntag der Bundestagswahl echauffierte er sich zum Beispiel auf dem noch jungen Fernsehsender Bild TV über die „Failed-State-Mogadischu-Hauptstadt-Berlin“. Wer dachte, der Bild-Chefredakteur
würde nach einem internen „Compliance-Verfahren“und seiner zeitweisen Freistellung gemäßigter im Ton auftreten, sah sich getäuscht.
Der unter anderem wegen seines harten Führungsstils bekannte Reichelt hatte für seinen Umgang mit Kolleginnen und Kollegen, die er verletzt habe, um Entschuldigung gebeten und eine zweite Chance erhalten. Er nutzte sie offenbar nicht – und machte, wie es scheint, weiter wie zuvor. Am Montagabend erklärte die Axel Springer SE, man habe ihn „mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden“.
Es war Ende März, als das Medienunternehmen bekannt gab, an ihm festhalten zu wollen. Damals, so hieß es, war es vor allem um Vorwürfe des Machtmissbrauchs „im Zusammenhang mit einvernehmlichen Beziehungen zu Mitarbeiterinnen“gegangen. Reichelt habe die Vermischung von beruflichen und privaten Beziehungen eingeräumt, rechtlichen Handlungsbedarf gebe es nicht, so Springer. Zur Leitung der Bild-Chefredaktionen wurde ihm Alexandra Würzbach gleichberechtigt an die Seite gestellt. In die Gesamtbewertung seien auch die enormen strategischen und strukturellen Veränderungsprozesse und die journalistische Leistung unter der Führung von Julian Reichelt eingegangen.
Nun hat – nicht nur – die Vergangenheit einen der bislang einflussreichsten Chefredakteure Deutschlands doch noch eingeholt – in Form eines Berichts der New York Times.
Der sorgte über die Medienbranche hinaus für großes Aufsehen. Denn in ihm geht es auch um Mathias Döpfner, CEO der Axel Springer SE, und um Verleger Dirk Ippen (Münchner Merkur, Frankfurter Rundschau).
Der stoppte demnach am Freitag die Veröffentlichung von Recherchen seines Journalisten-Teams „Ippen Investigativ“über Reichelt und Bild. Dafür wurde er am Montag massiv kritisiert. So forderte der Deutsche Journalisten-Verband die Ippen-Gruppe und ihn „nachdrücklich auf, die Trennung von Redaktion und Verlag zu beachten“. Sogar die Redaktion seiner Frankfurter Rundschau kritisierte ihn in einer „Stellungnahme in eigener Sache“.
In einem auf Freitag datierten
Brief von Ippen Investigativ um den preisgekrönten Journalisten Daniel Drepper an Ippen und die Geschäftsführung heißt es, die für den Sonntag „geplante Berichterstattung über Machtmissbrauch gegen Frauen und weitere Missstände bei Axel Springer SE und insbesondere durch die Person Julian Reichelt“sei redaktionell und juristisch über Monate abgestimmt gewesen. Die Entscheidung zur Nicht-Veröffentlichung sei eine „absolute Verletzung des Grundsatzes der Trennung von Redaktion und Verlag“und bedeute einen „Vertrauensbruch“.
Dirk Ippen erklärte im Branchendienst Meedia mit Blick auf die Konkurrenz seiner Münchner Boulevardzeitung tz mit der Bild, dass es für ihn „zu den ältesten Grundsätzen des Journalismus“gehöre, „dass bei Berichten über Wettbewerber auch der Anschein vermieden werden muss, es könnten neben publi
zistischen auch wirtschaftliche Motive hinter einer Kritik am Wettbewerber stehen“.
Ausführlich äußerte sich am Montag gegenüber unserer Redaktion Johannes Lenz, PR & Brand Manager bei Ippen. Die Veröffentlichung zu stoppen, sei „keine leichte oder schnelle Entscheidung“gewesen. „Am Ende ist es aber klar das Recht eines Verlegers, Richtlinien für seine Medien vorzugeben.“Er betonte: „Eine Beeinflussung durch Springer gab es dabei nicht, wie Dr. Ippen selbst in einem nun öffentlichen Mailverkehr mit Jan Böhmermann (ZDF-Satiriker, die Red.) deutlich gemacht hat.“Daniel Drepper sagte am Montag auf Anfrage, sein Team und er wollten sich vorerst nicht öffentlich äußern.
Ben Smith, Medienkolumnist der New York Times, hatte über die Bild geschrieben: Die Dokumente, die er gesehen habe, zeichneten ein Bild von einer Arbeitsplatzkultur, die „Sex, Journalismus und Firmengeld“vermischt habe. Zudem erwähnte er eine Mail vom 1. März, in der Springer-CEO Döpfner angeblich geschrieben haben soll: Man müsse bei der internen Untersuchung „besonders vorsichtig“sein, weil Reichelt sei „wirklich der letzte und einzige Journalist in Deutschland, der sich noch mutig gegen den neuen DDR-Autoritätsstaat“aufbäume. Dazu sagte ein SpringerSprecher unserer Redaktion, dies sei „außerhalb des Kontexts überhaupt nicht sinnvoll zu würdigen. Selbstverständlich hält Mathias Döpfner die Bundesrepublik Deutschland nicht für vergleichbar mit der DDR“.
Dass sich ein US-Medium wie die New York Times so intensiv mit Springer und der bei Bild herrschenden Betriebskultur beschäftigt, hat damit zu tun, dass das deutsche Medienunternehmen das USNachrichtenunternehmen Politico kaufen möchte. Einem Reuters-Bericht zufolge soll Springer mehr als eine Milliarde Dollar dafür zahlen. Denkbar, dass Druck in der Personalie Reichelt auch von der USamerikanischen Beteiligungsgesellschaft KKR ausgegangen sein könnte, die Großaktionär der Axel Springer SE ist.
Nach einer Erklärung vom Montagabend sah sich das Medienunternehmen, das eine Anfrage nach Reichelt den ganzen Tag über unbeantwortet ließ, schließlich dazu veranlasst zu handeln. Als Folge von Presserecherchen habe es „in den letzten Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen“. Diesen sei man nachgegangen. Der Mitteilung zufolge habe Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt. Döpfner wurde mit den Worten zitiert: Reichelt habe Bild
journalistisch hervorragend entwickelt und mit Bild Live die Marke zukunftsfähig gemacht. „Wir hätten den mit der Redaktion und dem Verlag eingeschlagenen Weg der kulturellen Erneuerung bei Bild gemeinsam mit Julian Reichelt gerne fortgesetzt. Dies ist nun nicht mehr möglich.“Die Entscheidung sei am Montag gefallen.
Julian Reichelt, der 1980 in Hamburg geboren wurde, hatte sich schon nach dem Abitur bei der Bild
zum Redakteur ausbilden lassen – und machte dort eine steile Karriere. Neuer Vorsitzender der dreiköpfigen Chefredaktion und Mitglied des Bild-Boards wird Johannes Boie. Der 37-Jährige ist derzeit Chefredakteur der