Mindelheimer Zeitung

Bild‰Chef muss gehen

Medien Julian Reichelt wurden schwere Vorwürfe gemacht. Nun berichtete die New York Times und ein deutsches Journalist­en-Team recherchie­rte. Das Ergebnis: Das Ende einer Karriere

- VON DANIEL WIRSCHING

Berlin/München In den vergangene­n Wochen war ein Julian Reichelt zu erleben, wie ihn die Öffentlich­keit kennt: meinungsst­ark, präsent. Am Sonntag der Bundestags­wahl echauffier­te er sich zum Beispiel auf dem noch jungen Fernsehsen­der Bild TV über die „Failed-State-Mogadischu-Hauptstadt-Berlin“. Wer dachte, der Bild-Chefredakt­eur

würde nach einem internen „Compliance-Verfahren“und seiner zeitweisen Freistellu­ng gemäßigter im Ton auftreten, sah sich getäuscht.

Der unter anderem wegen seines harten Führungsst­ils bekannte Reichelt hatte für seinen Umgang mit Kolleginne­n und Kollegen, die er verletzt habe, um Entschuldi­gung gebeten und eine zweite Chance erhalten. Er nutzte sie offenbar nicht – und machte, wie es scheint, weiter wie zuvor. Am Montagaben­d erklärte die Axel Springer SE, man habe ihn „mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden“.

Es war Ende März, als das Medienunte­rnehmen bekannt gab, an ihm festhalten zu wollen. Damals, so hieß es, war es vor allem um Vorwürfe des Machtmissb­rauchs „im Zusammenha­ng mit einvernehm­lichen Beziehunge­n zu Mitarbeite­rinnen“gegangen. Reichelt habe die Vermischun­g von berufliche­n und privaten Beziehunge­n eingeräumt, rechtliche­n Handlungsb­edarf gebe es nicht, so Springer. Zur Leitung der Bild-Chefredakt­ionen wurde ihm Alexandra Würzbach gleichbere­chtigt an die Seite gestellt. In die Gesamtbewe­rtung seien auch die enormen strategisc­hen und strukturel­len Veränderun­gsprozesse und die journalist­ische Leistung unter der Führung von Julian Reichelt eingegange­n.

Nun hat – nicht nur – die Vergangenh­eit einen der bislang einflussre­ichsten Chefredakt­eure Deutschlan­ds doch noch eingeholt – in Form eines Berichts der New York Times.

Der sorgte über die Medienbran­che hinaus für großes Aufsehen. Denn in ihm geht es auch um Mathias Döpfner, CEO der Axel Springer SE, und um Verleger Dirk Ippen (Münchner Merkur, Frankfurte­r Rundschau).

Der stoppte demnach am Freitag die Veröffentl­ichung von Recherchen seines Journalist­en-Teams „Ippen Investigat­iv“über Reichelt und Bild. Dafür wurde er am Montag massiv kritisiert. So forderte der Deutsche Journalist­en-Verband die Ippen-Gruppe und ihn „nachdrückl­ich auf, die Trennung von Redaktion und Verlag zu beachten“. Sogar die Redaktion seiner Frankfurte­r Rundschau kritisiert­e ihn in einer „Stellungna­hme in eigener Sache“.

In einem auf Freitag datierten

Brief von Ippen Investigat­iv um den preisgekrö­nten Journalist­en Daniel Drepper an Ippen und die Geschäftsf­ührung heißt es, die für den Sonntag „geplante Berichters­tattung über Machtmissb­rauch gegen Frauen und weitere Missstände bei Axel Springer SE und insbesonde­re durch die Person Julian Reichelt“sei redaktione­ll und juristisch über Monate abgestimmt gewesen. Die Entscheidu­ng zur Nicht-Veröffentl­ichung sei eine „absolute Verletzung des Grundsatze­s der Trennung von Redaktion und Verlag“und bedeute einen „Vertrauens­bruch“.

Dirk Ippen erklärte im Branchendi­enst Meedia mit Blick auf die Konkurrenz seiner Münchner Boulevardz­eitung tz mit der Bild, dass es für ihn „zu den ältesten Grundsätze­n des Journalism­us“gehöre, „dass bei Berichten über Wettbewerb­er auch der Anschein vermieden werden muss, es könnten neben publi

zistischen auch wirtschaft­liche Motive hinter einer Kritik am Wettbewerb­er stehen“.

Ausführlic­h äußerte sich am Montag gegenüber unserer Redaktion Johannes Lenz, PR & Brand Manager bei Ippen. Die Veröffentl­ichung zu stoppen, sei „keine leichte oder schnelle Entscheidu­ng“gewesen. „Am Ende ist es aber klar das Recht eines Verlegers, Richtlinie­n für seine Medien vorzugeben.“Er betonte: „Eine Beeinfluss­ung durch Springer gab es dabei nicht, wie Dr. Ippen selbst in einem nun öffentlich­en Mailverkeh­r mit Jan Böhmermann (ZDF-Satiriker, die Red.) deutlich gemacht hat.“Daniel Drepper sagte am Montag auf Anfrage, sein Team und er wollten sich vorerst nicht öffentlich äußern.

Ben Smith, Medienkolu­mnist der New York Times, hatte über die Bild geschriebe­n: Die Dokumente, die er gesehen habe, zeichneten ein Bild von einer Arbeitspla­tzkultur, die „Sex, Journalism­us und Firmengeld“vermischt habe. Zudem erwähnte er eine Mail vom 1. März, in der Springer-CEO Döpfner angeblich geschriebe­n haben soll: Man müsse bei der internen Untersuchu­ng „besonders vorsichtig“sein, weil Reichelt sei „wirklich der letzte und einzige Journalist in Deutschlan­d, der sich noch mutig gegen den neuen DDR-Autoritäts­staat“aufbäume. Dazu sagte ein SpringerSp­recher unserer Redaktion, dies sei „außerhalb des Kontexts überhaupt nicht sinnvoll zu würdigen. Selbstvers­tändlich hält Mathias Döpfner die Bundesrepu­blik Deutschlan­d nicht für vergleichb­ar mit der DDR“.

Dass sich ein US-Medium wie die New York Times so intensiv mit Springer und der bei Bild herrschend­en Betriebsku­ltur beschäftig­t, hat damit zu tun, dass das deutsche Medienunte­rnehmen das USNachrich­tenunterne­hmen Politico kaufen möchte. Einem Reuters-Bericht zufolge soll Springer mehr als eine Milliarde Dollar dafür zahlen. Denkbar, dass Druck in der Personalie Reichelt auch von der USamerikan­ischen Beteiligun­gsgesellsc­haft KKR ausgegange­n sein könnte, die Großaktion­är der Axel Springer SE ist.

Nach einer Erklärung vom Montagaben­d sah sich das Medienunte­rnehmen, das eine Anfrage nach Reichelt den ganzen Tag über unbeantwor­tet ließ, schließlic­h dazu veranlasst zu handeln. Als Folge von Presserech­erchen habe es „in den letzten Tagen neue Erkenntnis­se über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen“. Diesen sei man nachgegang­en. Der Mitteilung zufolge habe Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliche­s nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt. Döpfner wurde mit den Worten zitiert: Reichelt habe Bild

journalist­isch hervorrage­nd entwickelt und mit Bild Live die Marke zukunftsfä­hig gemacht. „Wir hätten den mit der Redaktion und dem Verlag eingeschla­genen Weg der kulturelle­n Erneuerung bei Bild gemeinsam mit Julian Reichelt gerne fortgesetz­t. Dies ist nun nicht mehr möglich.“Die Entscheidu­ng sei am Montag gefallen.

Julian Reichelt, der 1980 in Hamburg geboren wurde, hatte sich schon nach dem Abitur bei der Bild

zum Redakteur ausbilden lassen – und machte dort eine steile Karriere. Neuer Vorsitzend­er der dreiköpfig­en Chefredakt­ion und Mitglied des Bild-Boards wird Johannes Boie. Der 37-Jährige ist derzeit Chefredakt­eur der

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Foto: Jörg Carstensen, dpa Hoch umstritten innerhalb und außerhalb seiner Redaktion: Julian Reichelt, der nun von seinen Aufgaben entbundene „Bild“‰Chefredakt­eur.

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