Bayerns Kolonien der Kunst
Kunst Was verbindet Dachau, Murnau und Prien am Chiemsee? Hier malten Meister wie Wassily Kandinsky und Franz Marc in freier Natur. Eine Kultur-Tour mit drei Stationen, mit Geschichten über „Malweiber“, blaue Landschaften und Inselkönige
Bayern Der Himmel über Dachau, wer auch immer ihn in die Atmosphäre gepinselt hat für diesen Tag im Herbst, macht der Geschichte dieser Stadt alle Ehre. Wattebauschwolken ziehen über die grüne Weite, über Münchner Hochhausspitzen bis in die Alpen. Genau das ist der weite Blick, der schon Franz Marc begeisterte. Auch Carl Spitzweg. Lovis Corinth. „Diese wechselnde Wolkenstimmung wollten die Maler aufnehmen“, weiß Nina Schiffner, die als „Malweib“durch die Stadt führt – aber dazu gleich mehr. Ab 1875 war Dachau jedenfalls ein Tummelplatz für Künstler, die den Neubeginn suchten. Sie verließen ihre Ateliers für die Freiluftmalerei, wie ihre Kollegen im französischen Barbizon, oder am Teufelsmoor bei Worpswede. „Plein air“malten sie das Dachauer Moos. An diesem Fleck Bayern bildeten sie eine Künstlerkolonie. Und hier beginnt die Kunstreise.
Wenn die Maler und Malerinnen ins Moos zogen, dann mit Schirm, Leinwand, Staffelei, Farbtuben – die waren erst frisch erfunden – und Brotzeitkörbchen. Als erste Fabrikschlote aus den Landschaften sprossen, suchten sie ausgerechnet Natur. Was blieb von Dachaus Meistermalern? 1903 gründeten sie die Gemäldegalerie der Stadt und die zeigt bis heute Kostbarkeiten aus Künstlerkolonialzeit. Johann von Dillis malte das Treiben der Landleute und Carl Spitzweg – er weilte ab 1850 einige Jahre in Dachau – schuf seinen „Bücherwurm“. Die beiden Eduard Schleichs, der jüngere und der ältere, fassten in Öl, wie es im Moos wetterte. 220 Werke zeigt die Galerie. Ein Zeitenpanorama.
Wer wie einst die Maler und Malerinnen Frischluft sucht, kann sich auf den Künstlerweg begeben, oder auf „Malweiber“-Tour. Pardon? Ja, so frotzelten Einheimische im 19. Jahrhundert, als plötzlich auch Frauen vom Pinsel Gebrauch machten. Aber: „Malweib ist eigentlich eine Adelung“, sagt Nina Schiffner. „Ein Weib ist etwas Gestandenes.“Sie gibt ihre Führungen durch Dachauer Gassen deshalb in Robe und getigertem Federhut, zu Ehren der Pionierinnen. 1882 gründeten die einen Künstlerinnenverein. Die Dachauer guckten baff: Frauen trotzen gegen Männerprivilegien. Sie malen, rauchen Pfeife, streifen die Corsagen ab. Das zieht Getuschel und Lästerei nach sich – aber Freigeister wie Käthe Loewenthal und Paula Wimmer bremst das nicht.
Dachau inspiriert: Über der Stadt liegt Kurfürst Max Emmanuels einstige Sommerresidenz, heute mit feinem Restaurant, barockisiertem Garten und prächtigem Laubenbogen. 50000 Einwohner zählt die Stadt – dazu über 50 Kulturvereine und gut acht Galerien. Monika Siebmanns’ Atelier liegt zum Beispiel in einem betagten, romantisch efeuberankten Haus, hier entstehen ihre Skulpturen aus Eisen und Stahl.
Dachau bleibt aber auch Ort der Erinnerung: Dass hier ein NS-Konzentrationslager von 1933 bis 1945 Leben vernichtete, diesen Schatten kann und will die Stadt nicht abstreifen. Aber sie möchte ins Licht rücken, dass Dachaus Geschichte weder erst mit diesen Jahren begann, noch mit diesen endete. „Dachau versteht sich als offener Ort“, sagt Schiffner. Stadt des Gedenkens und Kolonie der Künstler.
Der Weg zur nächsten Kolonie wird über Wasser führen – aber die Spurensuche beginnt an Land. Prien am Chiemsee, Atmosphärenwechsel: Hier wandelt man durch idyllische Gassen, entlang von alten Fassaden mit Lüftlmalerei bis zum Kronasthaus – erbaut 1598, heute Vinothek und Galerie. Seinen Porträts in Öl gab Hugo Kauffmann ungeschönte Titel. „Dicker alter Wirt“, „Die alte Trine“– so urig das schon klingt, sind diese Charakterstudien aus den 1870ern tatsächlich. Daneben Freiluftkunst: Arnold Balwés „Weizenernte im Chiemgau“, seine „Eisstockschützen“, mit breitem Strich.
Inselkönige nannte man wiederum
Maler wie Joseph Wopfner – denn Inspiration fanden er wie viele weitere auf Frauenchiemsee. Auf dem 250-Seelen-Eiland entwickelte sich eine Künstlerkolonie, „älter noch als Barbizon“, erklärt Kunsthistorikerin Inge Fricke, die an jeder Station der Kunsttour „a Gschicht“parat hat.
Also – rübergeschippert. Auf dem Friedhof der Fraueninsel, im Klosterkirchenschatten, liegen Kunst und Handwerk Seite an Seite. Fischer, Schmied, Bootsbaumeister steht dort auf alten Steinen vermerkt, neben Komponist, Schriftsteller, Maler. Max Haushofer war Urheber der Künstlerbruderschaft. Mit 17 Jahren verliebte sich das Münchner Maltalent in die Kloster-Insel – und in Anna, Tochter des Inselwirts „Zur Linde“. Seinen Freund Franz Roubaud lockte er mit auf die Insel. Der stellte später von Moskau bis Paris seine gerühmten Schlachtenpanoramen aus, die Zaren förderten ihn. Seine Enkelin Sylvia Roubaud konnte ein Atelier in Prien ergattern und öffnet heute ihre alten Holzschränke mit Farbtuben und Spachteln und ihr Kästchen mit Pastellfarben für Besucher. „Abstrakter Expressionismus“ist ihr Stil. Der Linden-Wirt serviert übrigens noch immer frische Renke aus dem Chiemsee. Vom einstigen Kunstsinn blieb dagegen vor allem die Inseltöpferei, in Betrieb seit 1609. Wer mehr Chiemseemalerei beäugen möchte, nimmt die Fähre hinüber nach Herrenchiemsee, denn in der Galerie des „Kini“-Schlosses hängt die Koloniekunst in Ehren.
Den Titel „Blaues Land“trägt der Markt Murnau mit Stolz. An diesem Ort brachten die Größen des Blauen Reiters den Expressionismus zum strahlen, hier entstanden farbleuchtende Meisterstücke. Im Schlossmuseum ist heute nicht nur Wassily Kandinskys „Die Nacht“zu bestaunen, sondern auch ein Bildnis der Murnauer Gassen bei Nacht, von seiner Liebe Gabriele Münter. Gleich daneben: Wetterleuchtende Berge der Marianne von Werefkin.
Auch Fotos erzählen vom Künstlerleben. Der Russe Kandinsky posiert in Lederhose und Wadelstrümpfen auf Murnauer Wiesen. Aus München waren sie angereist und blieben für eine gute Weile. Münter bis an ihr Lebensende. Die einheimische Künstlerin Greta Rief bewundert ihr Erbe: „Sie malte mit starken Farben, ganz dicht, sie war eine Künstlerin ohne Umschweife.“
Aber: „Murnau und die Kunst, das ist eine wechselhafte Geschichte“, erklärt Bürgermeister Rolf Beuting. „Russenhaus“, „Hurenhaus“schimpften Murnauer und Murnauerinnen den Bau, in dem die Blauen Reiter in, nun ja, eher unbürgerlichen Verhältnissen lebten. Die Legende reicht weiter: Münter, knapp bei Kasse und von Kandinsky längst verlassen, ging auf den Markt, um ihre Kunst gegen Lebensmittel zu tauschen. Die Reaktion der Händler? „Behalt dei Glump.“Doch immerhin, für ihr Nachleben hat sich die Malerin einen Panoramablick gesichert. Über ihre Grabsteinkante reicht die Aussicht nicht nur in die Berge, sondern schnurgerade auf ihr Häuschen. Bis in die 60er lebte sie dort ohne Strom, inzwischen ist diese Stätte Pilgerort für Kunstfreunde.
Der Markt Murnau lässt sich nicht lumpen: Er pflegt einen Kunstpark mit Skulpturen, kauft Werke an und lädt regelmäßig Künstler aus aller Welt für Aufenthalte ein. Findig sind bis heute auch Murnaus einheimische Kreativköpfe. Zwei Geschmackssachen kombiniert das Duo Marc Völker und Luna Sonnemann in einem Konzept: Ihre Kunst – und die der Murnauer Wirte. Über fünf Stationen führen die „Kunstwirtetouren“, die Werke regionale Künstler und Gerichte regionaler Köche verbinden. Knäckebrot Deluxe servieren Marc und Luna in ihrem Atelier, es folgen Station für Station: Ente, Lachs, Ravioli, ein Dessert mit Schokoeis und Avocado-Schwämmchen. Dazu erklären Künstler ihre Werke: Malerei, Natur-Fotografie, gewitzte Holzskulpturen. Da wird er lebendig, der Geist des Blauen Lands. Der Kolonie für die Kunst.