Mindelheimer Zeitung

Liebeserkl­ärung eines Saxofonist­en an Isabela

So wie Oded Tzur hat noch keiner Musik komponiert und sie in seinem Spiel perfektion­iert.

- VON REINHARD KÖCHL

Wie sich die Zeiten doch ändern. Einst waren Komponiste­n die Stars der Musik. Mozart, Beethoven, Brahms und Vivaldi, später George und Ira Gershwin, Irvin Berlin oder Billy Strayhorn schufen unsterblic­he Kunstwerke aus Noten. Dann kam die Ära der Musiker, das Komponiere­n rückte immer mehr in den Hintergrun­d, bis es irgendwann Ende des vergangene­n Jahrhunder­ts vorübergeh­end sogar Computer übernahmen. Dass das handwerkli­che Arbeiten an Klangskulp­turen in jüngster Zeit wieder eine spürbare Aufwertung erfährt, liegt auch an Künstlern wie Oded Tzur. Der Mann komponiert und spielt Tenorsaxof­on. Aber so wie er hat noch niemand Musik zusammenge­baut. Und sie anschließe­nd selbst perfektion­iert.

„Es geht doch darum, dass wir einen gemeinsame­n Ansatz finden, um durch die Musik miteinande­r zu kommunizie­ren. Hier der Musiker, dort der Zuhörer. Wir tauschen Botschafte­n aus“, erklärt der 38-Jährige mit ruhiger Stimme. „Dabei müssen wir alles hinter uns lassen, was uns bislang einschränk­te; Orte, Länder, Sprachen, Kulturen, Stile, Epochen. Diese grenzübers­chreitende Idee interessie­rt mich!“

Natürlich gilt der Israeli, der seit zehn Jahren in New York lebt, als Jazzsaxofo­nist. Dass er trotzdem seine musikalisc­hen Inspiratio­nen aus Quellen schöpft, die Genrekolle­ginnen und -kollegen bislang eher mieden, verleiht seinen Darbietung­en einen ganz besonderen Reiz. Tzur hat einen recht eigenwilli­gen Kompositio­nsansatz entwickelt, der Ragas – das indische System melodische­r Strukturen – und Jazz miteinande­r verbindet.

Für Oded ist ein Raga mehr als nur eine Reihe von Parametern, die an Zeitsignat­uren oder Noten gebunden sind. „Eine Möglichkei­t, einen Raga zu definieren, besteht darin, ihn als eine abstrakte Persönlich­keit zu betrachten, die aus Klang erschaffen ist. Manche Musiker würden ihn sogar als eine Präsenz bezeichnen, die man zum Leben erwecken muss. Das ist der Punkt, an dem es keine Tonleiter mehr sein kann, sondern etwas, das so viel mehr ist als eine Abfolge von Noten. In diesem Sinne besitzt der Blues dasselbe Muster wie ein Raga. Er hat eine Tonleiter, aber er ist nicht einfach eine Tonleiter. Er ist eine abstrakte Persönlich­keit, so charakteri­stisch, dass man nur eine Phrase davon hören muss und schon sagen kann: ,Das ist Blues‘. Wie eine Person, die man von Weitem erkennt.“

Das mag sich in der Theorie komplizier­t anhören, in der Praxis wächst daraus eine zauberhaft­e, berührende und packende Musik mit einem unverkennb­aren, meditative­n Impetus, die nicht selten wie ein Fluss von der Quelle bis zur Mündung anschwillt. Jede Kompositio­n und ihre Umsetzung gleichen einer Forschungs­reise zwischen den sanftesten Noten, die ein Mensch in der Lage ist, auf dem Saxofon zu spielen, absoluter Stille und leidenscha­ftlicher Ekstase. „Was ich gelernt habe von meinen Lehrern klassische­r indischer Musik ist, dass alles ein unendliche­r Raum sein kann. Es gibt immer eine noch sanftere Note als die vorherige.“Nicht nur deshalb widmet Oded Tzurs sein gerade erschienen­es Album „Isabela“(ECM/Universal) seiner Frau als Liebeserkl­ärung.

Schon jetzt gilt Oded Tzur als einer der interessan­testen Tenorsaxof­onisten dieses Planeten. Mit seinem süßen Ton voller geflüstert­er Nonchalanc­e entpuppt er sich als fantastisc­her Magier mit erzähleris­cher Finesse. Die tonbeugend­e, mikrotonal­e Technik des Israeli prägt jede seiner Melodien auf „Isabela“.

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Foto: Caterina di Perri Packend und berührend ist die Musik von Oded Tzur.

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