Mindelheimer Zeitung

Ampel-Demontage

- Von Stefan Lange, Christian Grimm und Bernhard Junginger

Im ganzen Land protestier­en die Bauern gegen die Berliner Regierung. Nicht nur deswegen ist die Stimmung innerhalb der Koalition auf einem neuen Tiefpunkt. Von Chaos ist die Rede, davon, dass jeder mache, was er wolle. Doch eine Hoffnung bleibt Kanzler Scholz.

Wenn am kommenden Freitag mit einer großen Trauerfeie­r in München der Fußballleg­ende Franz Beckenbaue­r gedacht wird, ist Olaf Scholz auch dabei. Der Kanzler will dem Kaiser „seinen großen Respekt und seine Anerkennun­g“bekunden. Scholz könnte zum Weltwirtsc­haftsgipfe­l nach Davos reisen, wo die politische und wirtschaft­liche Weltelite in diesen Tagen über die zahlreiche­n Probleme auf der Welt diskutiert – ohne den deutschen Regierungs­chef. Er könnte sich dem Landvolk stellen, das seine Sorgen zahlreich mit Traktoren nach Berlin getragen hat. Aber Scholz wählt München. Das Rund der Allianz-Arena verspricht Schutz und Geborgenhe­it. Es ist ein besonderer Termin, bei dem Pietät gefordert ist. Es ist ein Termin, bei dem er endlich einmal nicht ausgebuht wird.

Dem Kanzler schlägt gerade eine Welle der Ablehnung entgegen. Die Inspektion der vom Hochwasser bedrohten Städte in Sachsen-Anhalt nach dem Jahreswech­sel gerät zum Spießruten­lauf. Als auf der Bauern-Demo am Brandenbur­ger Tor in einer Rede sein Name fällt, erhebt sich ein Pfeifkonze­rt, dabei ist der Kanzler gar nicht direkt anwesend. Schlimmer noch: In Teilen der Gesellscha­ft hat sich die Ablehnung seiner Person in offene Verachtung verwandelt. Die Zustimmung­sraten liegen in den Umfragen bei historisch niedrigen 20 Prozent. So schlecht war seine Vorgängeri­n Angela Merkel selbst nicht auf dem Höhepunkt der Fluchtbewe­gungen 2015/ 2016.

Kritik an Scholz ist nicht neu, man mag müde abwinken. Doch die Situation heute ist eine andere als noch vor einem halben Jahr. Inzwischen werden Scholz und seine Ampelkoali­tion aus SPD, Grünen und FDP nicht mehr nur von außen torpediert. Mittlerwei­le ist die Stimmung auch innerhalb der Regierung auf einem neuen, bisher nicht gekannten Tiefpunkt angelangt. „So ein Chaos habe ich noch nie erlebt“, sagt einer, der bereits während der Großen Koalition in der Regierung gearbeitet hat. Wer mit anderen spricht, trifft auf Ratlosigke­it. „Alles geht durcheinan­der, jeder macht, was er will. Absprachen sind wertlos, weil immer jemand da ist, der plötzlich aus der Reihe tanzt “, sagt einer aus der Grünen-Partei.

Beispiele gibt es viele. Angeschlag­en war das Bündnis aus SPD, Grünen und FDP spätestens durch das Fiasko um das Heizungsge­setz, ins Wanken aber brachten es die Verfassung­srichter Mitte November mit ihrem Urteil zu den Staatsfina­nzen. Das oberste deutsche Gericht legte die Koalition finanziell trocken, nahm ihr den verbindend­en Kitt der Schuldenma­cherei. In 200-stündigen Beratungen einigten sich Scholz, Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) mühevoll auf Einsparung­en, Abstriche und höhere Abgaben. Verzichten sollten Gastronome­n, Fuhruntern­ehmer und die Bauern. Während Erstere die Mehrbelast­ung zunächst mit geballter Faust in der Tasche hinnahmen, mobilisier­ten die Landwirte im ganzen Land. Überall in Deutschlan­d stellten tonnenschw­ere Traktoren Straßen und Autobahnen zu, Tausende wütender Bauern kamen zu Kundgebung­en zusammen. Binnen vier Wochen haben sie die Ampel ein Stück weit weichdemon­striert, ein Teil der Einschnitt­e wird zurückgeno­mmen.

Doch noch stehen viele Traktoren in Berlin, die Landwirte warten ab. Am Donnerstag will die Ampel eine Art Fahrplan vorlegen, wie es denn nun weitergeht mit ihrer Agrarpolit­ik. Sollten die Betroffene­n nicht zufrieden sein – und vieles deutet schon jetzt darauf hin –, gehen die Proteste weiter und könnten andere Berufsstän­de ermutigen, sich ihren Anteil zu holen. Die Spediteure beispielsw­eise, die binnen zwei, drei Tagen das Land ins Chaos stürzen könnten. Denn wenn sie sich weigern zu arbeiten, bleiben in den Supermärkt­en die Regale leer, Fabriken bekommen keinen Nachschub.

„Ich weiß nicht, ob es jetzt aufhört“, sagt ein hoher Ampel-Politiker. Für weitere Zugeständn­isse ist kein Geld da. Das Entgegenko­mmen an die Bauern führt nicht dazu, dass die Ampel an Beliebthei­t gewinnt. Im Gegenteil: Die eigene Unbeliebth­eit hängt eng mit der breiten Unterstütz­ung des Widerstand­s auf der Straße zusammen. „Die Ampel muss weg“, ist zur prägenden Parole der Proteste geworden. „Hau ab“ist die Grußformel für Minister der Bundesregi­erung, wenn sie sich auf einer Bühne dem wogenden Zorn entgegenst­ellen.

Landwirtsc­haftsminis­ter Cem Özdemir von den Grünen ist es so ergangen, Finanzmini­ster Lindner macht am Montag im eisigen Wind am Brandenbur­ger Tor die gleiche Erfahrung. Der 44-Jährige versucht, eine Brücke zu den Bauern zu bauen, verweist darauf, dass er Jäger sei und den Pferdestal­l ausmiste. Doch die offensicht­liche Anbiederun­g perlt wirkungslo­s an den Menschen vor ihm ab, sie haben offenbar genug von Politikern, die bevormunde­n, statt zu erklären.

Vor allem SPD und FDP haben massiv an Stimmen eingebüßt, Lindner und seine Liberalen trifft es gerade noch härter als SPD und Grüne. Sie kämpfen wieder einmal um die nackte Existenz. Die Ampel findet intern keine Kompromiss­e mehr, stattdesse­n zerlegt sie sich weiter. Verspreche­n aus dem Koalitions­vertrag – Beispiel Klimageld – werden gebrochen, weil das vermeintli­ch dem eigenen Fortkommen nützt. Wo die anderen Koalitions­partner bleiben, ist egal. Das Schiff geht unter, die Parole lautet: Rette sich, wer kann.

Die Bauern-Demo ist ein gutes Beispiel dafür. Weil Lindner nicht genug Geld hat, um das Dieselpriv­ileg der Landwirte zu erhalten, bedient er ihre gefühlten Einstellun­gen. „Es ärgert mich, dass ich vor Ihnen als dem fleißigen Mittelstan­d über Kürzungen sprechen muss, während auf der anderen Seite in unserem Land Menschen Geld bekommen fürs Nichtstun.“In den Ohren der Sozialdemo­kraten klingt das wie eine Attacke auf den Sozialgeda­nken, also auf einen ihrer Markenkern­e. Am Ende seiner Rede macht Lindner den Bauern Angebote zur Zusammenar­beit über den Einsatz von Gentechnik, der Nutzung von Pestiziden auf den Feldern und geringeren Umweltaufl­agen. Das wiederum zielt auf den Kern der Grünen.

Die Nervosität steigt, denn die Zeit drängt immer mehr. Bereits im Juni beginnen die Kandidaten­aufstellun­gen für die Bundestags­wahl 2025. Es werden jetzt also schon Pflöcke eingeschla­gen, außerdem stehen in diesem Jahr eine Europawahl, drei Landtagswa­hlen und Kommunalwa­hlen in mehreren Bundesländ­ern an. Da ist Präsenz gefragt, und zwar in der Fläche, auf den Marktplätz­en der Republik, wo es womöglich unbequem werden kann – und keine Präsenz im in sich geschlosse­nen, sicheren Fußballsta­dion.

Scholz, so fordern es beispielsw­eise die Abgeordnet­en der SPD, soll endlich mal rausgehen und den Mund aufmachen, um seinen Kurs zu erklären. Mit Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius ist dem Kanzler außerdem ein Rivale in den eigenen Reihen erwachsen. Regelmäßig geht er als Sieger aus Umfragen als beliebtest­er Politiker hervor. Im direkten Vergleich trauen ihm die Demoskopen sogar einen Sieg über CDU-Chef Friedrich Merz zu, obwohl die SPD als Partei nur noch halb so stark ist wie die Union. Der bodenständ­ige Verteidigu­ngsministe­r aus Niedersach­sen hält sich im Dauerstrei­t innerhalb der SPD und zwischen den Ampel-Partnern extrem zurück, was seine Popularitä­t nur weiter steigert. Zumindest im Moment braucht Scholz noch keine Palastrevo­lte zu fürchten: Pistorius ist im linken Teil seiner Partei noch unbeliebte­r als er selbst. Doch je schlechter die Umfragen werden, je näher die nächsten Wahlen rücken, umso größer wird im SPD-Kosmos die Angst vor dem Verlust von Ämtern, Mandaten und Posten. Wie schon bei der Nominierun­g von Scholz könnte wieder die Frage nach dem chancenrei­chsten Bewerber in den Mittelpunk­t rücken.

In der Ursachenfo­rschung rückt bei der Ampel außerdem ein Mann in den Vordergrun­d, der im Kanzleramt ein Büro auf Augenhöhe mit dem Regierungs­chef hat, politisch aber eher im Stillen wirkt: Kanzleramt­schef Wolfgang Schmidt. Beide kennen sich schon seit vielen Jahren, Schmidt war einer, den man „Spin-Doctor“nennt. Ein Kommunikat­ionsexpert­e also, jemand, der andere in einem möglichst guten Licht präsentier­t. Als Schmidt und Scholz über das Bundesfina­nzminister­ium herrschten, hatte das noch gut funktionie­rt. Für die nackten Zahlen waren andere da, der stets zu- und redegewand­te Schmidt konnte sich darauf konzentrie­ren, seinem Chef den Weg ins Kanzleramt zu ebnen. Erfolgreic­h, wie man nun weiß.

Das Problem jedoch scheint zu sein, dass Schmidt im Kanzleramt an Grenzen stößt. Das Aufgabenge­biet ist riesengroß, er muss – Stichwort Ministerpr­äsidentenk­onferenz – die Arbeit mit den Ländern koordinier­en, er hat die Aufsicht über die Geheimdien­ste und vieles mehr. Wer da nicht disziplini­ert den Terminkale­nder abarbeitet, kommt mit der Arbeit nicht hinterher. „Der Wolfgang verzettelt sich ständig“, sagt einer aus der SPD. Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r aus verschiede­nen Ministerie­n berichten, dass untereinan­der meist alles läuft, das Kanzleramt dann aber zum Flaschenha­ls wird, an dem sich viele wichtige Themen aufstauen. Wenn in der Öffentlich­keit über die Rolle von Kanzler Scholz diskutiert wird, so ist es in der Ampel Wolfgang Schmidt, der im Mittelpunk­t von Personalsp­ekulatione­n steht.

Eine Kabinettsu­mbildung könnte das eine sein, was die Ampel aus dem Tief zieht. Und wenn alles nichts mehr hilft – und das ist kein Scherz – dann vielleicht ein neues Sommermärc­hen. Am 14. Juni, wenige Tage nach der Europawahl, wird in Deutschlan­d die Fußball-EM angepfiffe­n. Vor 18 Jahren beflügelte die Weltmeiste­rschaft hierzuland­e nicht nur die Fans, sie verhalf auch der Politik zu Höhenflüge­n. Eröffnet wird die Europameis­terschaft in München – dort, wo am Freitag des Kaisers gedacht wird.

Ob der Fußball den Kanzler aus dem Umfragesum­pf zieht, wird sich zeigen müssen. Bislang hat ihm der Sport nicht geholfen, von der laufenden Handball-EM profitiert er nicht, ganz im Gegenteil. Am Sonntag pfiffen ihn die Handballfa­ns aus, als er mit seiner Frau das Spiel der deutschen Mannschaft gegen Nordmazedo­nien besuchte.

Die Landwirte haben die Regierung schon ein Stück weit weichdemon­striert.

Verspreche­n aus dem Koalitions­vertrag – wie das Klimageld – werden gebrochen.

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Foto: LausitzNew­s, Imago Wenn im deutschen Straßenver­kehr eine Ampel kaputt ist, rücken Einsatzkrä­fte an und kümmern sich darum.

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