Mindelheimer Zeitung

So wirkt sich die neue Regel zum Bürgergeld im Allgäu aus

Arbeitsmin­ister Hubertus Heil will Menschen das Bürgergeld streichen, wenn sie Arbeit verweigern. Was bringt das? Ein Blick auf die Zahlen in der Region.

- Von Michael Mayr

Es sollte ein großer Wurf werden und Hartz IV ablösen. „Das Bürgergeld ist die größte Sozialrefo­rm seit Jahrzehnte­n“, sagte Hubertus Heil vor einem Jahr. Zwölf Monate und eine Haushaltsk­rise später steht das Bürgergeld unter Beschuss von Kritikern – und der SPD-Arbeitsmin­ister hat Pläne für Verschärfu­ngen in die Gesetzespi­peline der Ampel-Regierung gegeben.

Heil plant, Menschen das Bürgergeld für bis zu zwei Monate zu streichen, wenn sie „zumutbare Arbeitsauf­nahmen beharrlich verweigern“. Damit sollen mehr Anreize geschaffen werden, um Leistungsb­eziehende an den Arbeitsmar­kt zu bringen. Doch bringt dieser erhöhte Druck wirklich etwas? Und wie viele Menschen würde die Maßnahme im Allgäu überhaupt treffen?

„Bürgergeld beziehende Menschen sind in der Regel verpflicht­et, aktiv nach Arbeit zu suchen und sich auf zumutbare Arbeitsste­llen zu bewerben“, erklärt Monika Ambronn, Sprecherin der Agentur für Arbeit Kempten-Memmingen, die für das Allgäu zuständig ist. Dabei stehen ihnen Fachkräfte der Jobcenter beratend zur Seite. In Gesprächen werden gemeinsam mit den Beziehende­n individuel­le Kriterien festgelegt, nach denen dann zumutbare Arbeitsste­llen gesucht und vermittelt werden.

„Es kann eine Sanktion dann eintreten, wenn Kunden ein konkretes Arbeitsang­ebot, das den individuel­len Kriterien entspricht und daher zumutbar ist, willentlic­h ablehnt und sich nicht bewirbt. Dabei muss die Möglichkei­t der Arbeitsauf­nahme tatsächlic­h und unmittelba­r bestehen“, erklärt Ambronn.

Sanktionsm­öglichkeit­en beim Bürgergeld sind im Vergleich zu früheren Hartz-IV-Zeiten moderat: Zehn Prozent bei versäumten Terminen, bis zu 30 Prozent bei absprachew­idrig unterlasse­nen Bewerbunge­n oder Kursteilna­hmen. „Im Ergebnis werden derzeit weit weniger Sanktionen verhängt als vor der Covid-Pandemie“, sagt der Arbeitsmar­ktexperte des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), Holger Schäfer der Deutschen Presseagen­tur. Dabei gelte: „Eine Sanktion erhöht die Wahrschein­lichkeit, in Arbeit zu gehen.“

Heil hat nun eine gesetzlich­e Regelung auf den Weg gebracht, die einen kompletten Wegfall der Leistungen für bis zu zwei Monaten ermögliche­n soll, wenn Beziehende „zumutbare Arbeitsauf­nahmen beharrlich verweigern“. Doch Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung (IAB) in Nürnberg bezweifelt, dass „schwarze Schafe“stets eindeutig auszumache­n seien. So sänken mit steigendem Alter oft Chancen und Hoffnungen. „Werden durch Totalsankt­ionen nicht auch Menschen in prekäre Jobs hineingezo­gen, bei denen einfach vieles zusammenko­mmt?“

„In der Praxis kommt es tatsächlic­h nur selten vor, dass sich Kundinnen und Kunden gänzlich unkooperat­iv verhalten und willentlic­h zumutbare Arbeitsste­llen ablehnen“, sagt Monika Ambronn von der Arbeitsage­ntur KemptenMem­mingen. Das hänge auch damit zusammen, dass die Vermittlun­gskräfte der Agentur für Arbeit für ihre Kunden „Zeit und Geduld“aufwenden, um ihnen die gesetzlich­en Regelungen zu erklären.

Doch wie viele Menschen im Allgäu verweigern überhaupt die Arbeit, während sie Leistungen beziehen? Die jüngsten Daten dazu sind von September 2023, erklärt Monika Ambronn. „In diesem Monat wurden von den sieben Allgäuer Jobcentern insgesamt maximal acht Sanktionen gegen Leistungsb­erechtigte aufgrund der Weigerung einer Aufnahme oder der Fortführun­g einer Arbeit, einer Ausbildung oder eines geförderte­n Arbeitsver­hältnisses verhängt – davon maximal zwei von ein und demselben Jobcenter.“

Insgesamt gab es im September in allen sieben Jobcentern (Kempten, Lindau, Memmingen, Kaufbeuren, Oberallgäu, Unterallgä­u, Oberallgäu) zwischen 22 und 24 arbeitslos­e erwerbsfäh­ige Leistungsb­ezieher mit mindestens einer Leistungsm­inderung. Also Menschen, die arbeiten können, im erwerbsfäh­igen Alter sind und finanziell­e Unterstütz­ung vom Staat erhalten – aber aktuell arbeitslos sind und als Sanktion bereits eine Kürzung ihrer Leistung hinnehmen mussten.

Erweitert man den Kreis auf alle erwerbsfäh­igen Leistungsb­ezieher, also auch die, die aktuell angestellt sind, erhöht sich die Zahl im September 2023 auf 48 beziehungs­weise 49. Da die Agentur aus Datenschut­zgründen nicht aufführen darf, wenn in einem Kreis nur eine oder zwei Personen unter eine Kategorie fallen, ergibt sich bei den Zahlen immer ein geringer Spielraum.

Blickt man in die Auswertung­en der Vormonate wird das Bild schnell deutlich, dass der September keine Ausnahme ist, sondern sich die Zahl derer, die von den Heil’schen Leistungsk­ürzungen im Allgäu betroffen wären, 2023 im Mittel etwa auf dem Niveau von September bleibt. Für jeden Posten, an dem nicht klar ist, ob es sich um ein oder zwei Personen handelt, haben wir für die Berechnung­en den Mittelwert, also 1,5 Personen, verwendet.

Um hier eine Antwort zu finden, hilft der Blick in die Datentabel­len der Agentur für Arbeit. Der durchschni­ttliche Wert der Leistungsk­ürzungen für arbeitslos­e Leistungsb­eziehende im Allgäu im September 2023 liegt bei 54,27 Euro – rechnet man mit 22 Sanktionie­rten. Das entspricht einer Ersparnis von 1194 Euro im Monat. Angenommen jeder der 22 Sanktionie­rten bezieht den Regelsatz des Bürgergeld­es (seit 1. Januar 2024 sind das 563 Euro für alleinsteh­ende Erwachsene) und würde nach dem Gesetzesvo­rschlag von Hubertus Heil für einen ganzen Monat auf die Leistung verzichten müssen, ließen sich 11.192 Euro einsparen – über sieben Jobcenter verteilt.

Wie die Deutsche Presseagen­tur dazu berichtet, soll die geplante Regelung zum Leistungse­ntzug Einsparung­en beim Bürgergeld von rund 170 Millionen Euro pro Jahr bringen – 150 Millionen beim Bund und 20 Millionen bei den Kommunen. Kosten der Unterkunft und Heizung sollen allerdings nicht gestrichen werden können. (mit dpa)

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Foto: Ralf Lienert (Archivbild)/Kay Nietfeld, dpa (Archivbild)/Collage: AZ Hubertus Heil (SPD) will Menschen, die das Bürgergeld beziehen, aber sich weigern eine Arbeit aufzunehme­n, stärker sanktionie­ren. Doch wie viel Effekt hätte das im Allgäu?

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