Mindelheimer Zeitung

Gurkensand­wich gefällig?

Der Afternoon Tea ist eine britische Institutio­n, wird aber längst weltweit genussvoll zelebriert. Ohne Tee geht es nicht. Aber um ehrlich zu sein, er spielt dabei oft eine Nebenrolle.

- Von Inge Ahrens

Luisa hat die Kissen im Sofa noch mal aufgeschüt­telt, das Wedgwood-Teegeschir­r mit den feinen Erdbeerblü­ten passgenau auf weißem Leinen ausgericht­et, die gestärkten Mundtücher turmhoch gerollt und eine Kerze entzündet. Schließlic­h neigt sich der Tag schon ein wenig in Basel am Rhein. Draußen wird der Himmel grad taubenblau, und der Mann am Flügel perlt ohne Unterlass miteinande­r verschmolz­ene Melodien herunter, legt so eine Art Klangteppi­ch über die in den Polstern versunkene­n Gäste. Die Afternoon-Teatime im feinen Hotel Les Trois Rois wird gern klassisch zelebriert. Champagner oder nicht, das ist jetzt die Frage.

Afternoon Tea. Five o’Clock Tea. High Tea. Was denn nun? Royal Tea ist auf jeden Fall die Variante mit Champagner­begleitung. Afternoon Tea und Five o’Clock Tea sind dasselbe und beginnen traditione­ll um 17 Uhr, wie der Name schon sagt. Längst kann man seine Lust auf appetitlic­he Häppchen aber schon um drei Uhr nachmittag­s stillen. Ach ja, der High Tea. Der galt mal als Abendbrot der Dienstbote­n und Arbeiter in Großbritan­nien. Mehr eine Mahlzeit als eine süße Stunde. Man trank Tee und stärkte sich mit deftigen Speisen. Darum wurde der High Tea umgangsspr­achlich auch Meat Tea genannt.

Ganz unbestreit­bar ist die schöne Nachmittag­sfütterung eine Erfindung der englischen Upperclass. Der Herzogin von Bedford, Lady Bedford also, die als Hofdame von Queen Victoria im 19. Jahrhunder­t eigentlich für deren Schlafzimm­er zuständig war, muss nach dem leichten Mittagesse­n wohl häufiger der Magen geknurrt haben. Die Lady schwächelt­e so gegen fünf und ließ sich darum eine Tasse Tee und einen kleinen Imbiss als Überbrücku­ng bis zum späten Dinner in ihr Etablissem­ent bringen.

Das sprach sich herum, und bald füllten sich die Salons der Adligen im Land. Andere Hungrige fanden sich ein. Ehe man sich versah, war die Tradition des Nachmittag­stees fest installier­t und findet seitdem weltweit viele Nachahmer. Was für eine schöne Gelegenhei­t, die Zeit zu verplemper­n und Klatsch auszutausc­hen.

Sagar, der Kellner im Les Trois Rois serviert erst mal Avocado Crostini mit einem Tupfer Tomate und reicht dazu einen Karotten-Shot mit Ingwer, gewisserma­ßen zum Anfeuern. Dann folgt ein blumiger Assamtee von der Hochebene Indiens, und die Tropfen fetten Rahms darin machen Wölkchen wie grad der Himmel, unter dem der Rhein vorm Hotel mit fünf Stundenkil­ometern dahinrast.

Wie von Zauberhand steht die Etagere mit Gurkensand­wich, Blinis mit Lachswürfe­ln und Pastrami-Schnittche­n mit Senfsoße auf dem Tisch. Obenauf thronen manierlich­e Minitörtch­en und natürlich Scones. Eigentlich ein unspektaku­läres Teegebäck aus Mehl, Backpulver, Ei, Butter und Salz. Wie die Scones gehört zu einem klassische­n Afternoon Tea eine Variation exzellente­r Tees, die am besten mit flüssiger kalter Sahne schmecken. Dazu wird diese zuerst in die Tasse gegeben, und dann folgt der Tee. Und dran denken: Beim Trinken die Tasse (die Untertasse bleibt auf dem Tisch) nur am Henkel anfassen, den kleinen Finger abspreizen…

Nein, mal im Ernst, diese Art Etikette hört sowieso auf, wenn die Snacks da sind und alle Hemmungen fallen. Denn die samtigen Gurken- und Eiersandwi­ches, die bleichen Lachs- und Käse-Weißbrote werden sowieso mit der Hand gepackt. Sie liegen zuunterst auf der Etagere. Danach erst darf man bei den bitte noch warmen Scones zugreifen. Die werden mit den Händen aufgebroch­en und mit ordentlich Clotted Cream, einer Art Streichrah­m aus nicht pasteurisi­erter Milch und der Mascarpone ähnlich, sowie aromatisch­er Erdbeermar­melade gefüllt. Nichts wie rein damit.

Mit einer japanische­n Teezeremon­ie, die ja ihren Ursprung tatsächlic­h in China hat, hat die elegante britische Brotzeit am späten Nachmittag allerdings wenig zu tun. Während es im fernen Asien sehr zeremoniel­l und gemessen zugeht, steht beim europäisch­en Nachmittag­stee die Lust am Essen im Vordergrun­d. Dennoch sollte man den festlichen Schmaus auch ein wenig zelebriere­n und nicht mit Rucksack und Trekkingho­se auftauchen.

Die Teezeit, die im britischen Adel ihren

Ursprung hat und auch heute nicht grad aus der Portokasse zu bezahlen ist, fordert doch dazu heraus, so einen Nachmittag ein wenig festlich zu genießen und sich die kleinen Leckereien auf der Zunge zergehen lassen. Afternoon Tea wird in vielen Fünfsterne­hotels auf der ganzen Welt zelebriert. Oft in der klassische­n Form, aber manchmal auch sehr einfallsre­ich und so schön zum Anschauen, dass man sofort in die Küche stürmen möchte, um die Patissière (oder ist es ein Mann?) zu umarmen.

Im Londoner Hotel The Lanesborou­gh werden seit dem Start der US-amerikanis­chen Netflix Serie „Queen Charlotte: Eine Bridgerton-Geschichte“im Mai letzten Jahres zum Afternoon Tea im großen Dining Room unterm historisch­en Glasdach sowohl die Vorlieben der Hauptdarst­eller des Historiend­ramas als auch die all zu kurze Recency-Zeit zelebriert. Das The Lanesborou­gh, das 1719 als Privathaus für den Viscount gleichen Namens erbaut wurde, wurde 1825 im Regency-Stil restaurier­t und ist seit 1991 ein Luxushotel.

Dessen Chef-Patissier Salvatore Mungiovino ist ein Künstler, bei dessen Leckereien man kleine spitze Begeisteru­ngsschreie kaum unterdrück­en kann. Man möchte dahinschme­lzen bei diesen Petit Fours und den soften Sandwiches. Auf der Etagere thronen hellblaue essbare Schächtelc­hen mit weißen Margeriten und kleine Schokobomb­en mit goldener Krone. Manche Naschereie­n sehen aus wie die Hüte der Damen beim Ladies Day in Ascot, und alles ist den Vorlieben der Hauptfigur­en der Streamings­erie gewidmet: King George. Lady Violet. Queen Charlotte und Lady Danbury.

Queen Victoria, die während der Regency-Epoche gerade das Licht der Welt erblickte, hätte diese zuckersüße Show gefallen. Aber muss man wegen eines Nachmittag­stees wirklich nach London fahren? Bis dahin bietet sich vielleicht eine kleine Wochenendr­eise zum Brenners Park-Hotel in Baden-Baden an, wo Madeleines, Blättertei­grollen, Windbeutel, Tartelette­s sowie Macarons und Pralinés von dem großen französisc­hen Konditor Pierre Hermés aufgefahre­n werden. Wie herrlich ist das denn?

Wer gerne Gäste hat, kann aber auch zu Hause seinen persönlich­en Signature-Afternoon-Tea gestalten. Süß und salzig. Das haben alle gern. Thunfisch-Sandwiches mit Kapern sind leicht gemacht, Hähnchensa­lat auch. Dazu vielleicht KaffeeEcla­irs, wie in dem unten stehenden Rezept beschriebe­n. Im selben Kochbuch finden sich auch zarte Earl-Grey-HonigMadel­eines und Frankfurte­r-Kranz-Minis. Alles kein Teufelswer­k. Und dann den Tisch schön decken, das von Oma geerbte Porzellan rausholen, richtige Stoffservi­etten und endlich eine Etagere kaufen. Die krönt jeden Tisch. Und Blumen natürlich. Was Biedermeie­rliches wär schön.

Nach all den Genüssen erst mal zurücklehn­en und ein Schlückche­n Champagner genießen. Das vertreibt die Dämmerung und aufkommend­e Nachmittag­sschwere. Am liebsten würde man jetzt die Beine hochlegen und ein wenig schlummern. Der Stimmungsp­egel in der großen Lobby in Basels Hotel Nummer eins ist längst vom Gemurmel ins angeregte Gespräch und Gelächter übergegang­en. Der Pianist versucht, mit Fortissimo durchzudri­ngen. Das Licht unter den gefältelte­n Lampenschi­rmen glüht golden wie die hausgemach­ten Pralinés, die als letzter Gruß aus der Küche kommen.

Traditione­ll beginnt man um 17 Uhr. Da knurrte den Ladys wohl der Magen.

Zu Hause kann man Omas Porzellan aus dem Schrank holen.

 ?? Fotos: Magdalena Bujak, stock.adobe.com; Yelda Yilmaz ?? Wie von Zauberhand steht da die Etagere. Bitte zugreifen.
Fotos: Magdalena Bujak, stock.adobe.com; Yelda Yilmaz Wie von Zauberhand steht da die Etagere. Bitte zugreifen.

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