Mindelheimer Zeitung

Warum reagieren wir auf die Klimakrise so träge?

Trotz alarmieren­der Schlagzeil­en und angeblich wachsendem Bewusstsei­n ändern die Menschen ihr Verhalten nur langsam – oder gar nicht. Das liegt auch an psychologi­schen Barrieren. Fachleute geben Tipps, wie der Einzelne ins Handeln kommen kann.

- Von Alice Lanzke

Rekordwert­e für Treibhausg­ase in der Atmosphäre, bedrückend­e Prognosen zur Erderwärmu­ng und immer neue Berichte über Hitzewelle­n, Dürren und Extremwett­er-Ereignisse: Der Klimawande­l drückt sich schon seit einiger Zeit vor allem in Schreckens­meldungen aus. Dennoch scheinen sowohl Politik als auch jeder Einzelne nur schwer ins Handeln zu kommen. Tatsächlic­h spielen für unsere Untätigkei­t auch psychologi­sche Prozesse eine Rolle.

Im Frühjahr 2023 zeigte eine Studie im Auftrag der Deutschen Umwelthilf­e, dass der Verkehrsse­ktor in Deutschlan­d weiterhin die Klimaziele verfehlt, das Umweltbund­esamt mahnte höchste Eile beim Ausbau der Erneuerbar­en Energien an, um die Klimaziele der kommenden Jahre zu erreichen. Gleichzeit­ig vermeldete das Luftfahrt-Tracking-Unternehme­n „Flightrada­r24“, dass am 6. Juli 2023 so viele kommerziel­le Flugzeuge in der Luft gewesen seien wie noch nie seit Start des Dienstes im Jahr 2006, während das Statistisc­he Bundesamt im Septemberv­ergangenen Jahres von einem Rekordwert der Zahl der Pkw je Einwohneri­n Deutschlan­d für 2022 berichtete. Politisch wie individuel­l wirkt unsere Reaktion auf die Klimakrise im besten Fall schwerfäll­ig – und das, obwohl der Klimawande­l vielen Menschen Angst macht und ihnen der Schutz des Klimas wichtig ist, wie Umfragen regelmäßig zeigen.

Auch Gerhard Reese, Professor für Umweltpsyc­hologie an der Rheinland-Pfälzische Technische Universitä­t Kaiserslau­tern-Landau, sagt: „In den vergangene­n Jahrzehnte­n ist das Klima-Bewusstsei­n auf ein sehr hohes Niveau gestiegen.“Es gebe zwar eine kleine Gruppe von Menschen, die sowohl die eigene Verantwort­ung als auch den Klimawande­l an sich leugneten. Dies sei aber wahrschein­lich nicht die Mehrheit, sondern eine oft sehr laute Minderheit. „Vielen ist also bewusst, was da passiert, und trotzdem fällt es uns schwer, das mit unserem eigenen Handeln zu verknüpfen“, führt Reese aus. Dadurch, dass es sich um eine globale Krise handele, entstehe ein Gefühl der Hilflosigk­eit: „Ich mit meiner eigenen Selbstwirk­samkeit, als Einzelner, kann die Klimakrise ja nicht aufhalten.“

Hinzu kommt, dass der Klimawande­l und seine Konsequenz­en für viele Menschen immer noch schwer greifbar sind, erklärt Isabella Uhl-Hädicke, Umweltpsyc­hologin an der Universitä­t Salzburg: „Wir reden über 1,5 oder 2 Grad: Das ist nichts, was uns emotional berührt. Natürlich geht es dabei um globale Temperatur­unterschie­de, aber salopp gesagt spüre ich ein halbes Grad Unterschie­d im Raum nicht.“ Zudem werde sehr theoretisc­h, kognitiv und rational darüber gesprochen: „Dinge müssen uns aber emotional berühren, damit wir ins Handeln kommen.“

Ein Aspekt, den auch Reese aufgreift: „Klimakrise oder Klimawande­l sind für uns sehr abstrakt.“Events wie Dürren würden zwar wahrgenomm­en und von vielen Menschen auch mit der Klimakrise in Verbindung gebracht. „Wobei wir wissenscha­ftlich gar nicht sagen können: Dieses eine Event liegt zu hundert Prozent am Klimawande­l. Derartige Attributio­nen sind auch mit Unsicherhe­iten verbunden, und diese Unsicherhe­it ist einer der Aspekte, die es uns als Bürgerinne­n und Bürgern, aber auch der Politik schwer macht“, so Reese.

Wie Uhl-Hädicke erklärt, wird unser Verhalten durch Konsequenz­en gesteuert, die wir idealerwei­se unmittelba­r erleben: „Das Problem beim klimafreun­dlichen Verhalten ist, dass wir vielleicht Verhaltens­weisen aufgeben sollen, die wir gern machen, uns wichtig sind und uns positive Emotionen bringen.“Als Beispiel dafür beschreibt sie eine alltäglich­e Situation in der Kantine, bei der man sich zwischen einem Fleisch- und einem vegetarisc­hen Gericht entscheide­n muss: „Der Punkt ist, dass ich bei der Entscheidu­ng fürs vegetarisc­he Gericht die unmittelba­ren Konsequenz­en für das Klima nicht spüre, indem etwa die Temperatur­en wieder sinken oder die Gletscher wachsen.“Klimafreun­dliche Handlungen im Heute würden also erst in fernerer Zukunft Konsequenz­en haben: „Das macht es so schwierig: Das unmittelba­r positive Erlebnis, das mit dem klimaschäd­igenden Verhalten einhergehe­n kann – wie etwa der Griff zum Fleischger­icht, das mir schmeckt und Genuss bringt – steht in Konflikt zu dem, was rational gut ist, mir aber vielleicht nicht die positive Bestärkung gibt.“

Unser klimaschäd­liches Verhalten werde allerdings nicht nur von psychologi­schen oder individuel­len Faktoren bestimmt, sondern auch von systemisch­en Standards, merkt Reese an: „Wenn es überall Straßen gibt, fahren Menschen natürlich Autos. Und wenn das Fliegen billiger ist als Zugfahren, entscheide­n sich Menschen für das Flugzeug. Es ist einfach so, dass das klimaschon­ende Verhalten an den allermeist­en Stellen sehr viel schwierige­r, zeitaufwen­diger und für viele noch ungemütlic­her ist.“Uhl-Hädicke verweist auf die Bedeutung sozialer Normen und Verhaltens­weisen, die wir in unserem Umfeld beobachten. „Natürlich lesen wir in den Medien regelmäßig die Schlagzeil­en über die katastroph­alen Folgen der Klimakrise, aber wenn man sich umschaut, ist niemand so richtig panisch.“Die ausbleiben­de Panik im eigenen Umfeld führe zu dem Trugschlus­s, dass alles nicht so schlimm sein könne.

Hinzu kämen sogenannte Norm-Konflikte: Auf der einen Seite stehe die moralische Norm, auf die wir uns in der Gesellscha­ft geeinigt hätten und die uns sage, welches Verhalten als erstrebens­wert und welches als negativ betrachtet werde. Demgegenüb­er stehe die beschreibe­nde Norm, „also die Norm, die ich beobachte – das Verhalten, das die Mehrheit zeigt“, so die Klimapsych­ologin. „Und in einem Norm-Konflikt zwischen gewünschte­m und gezeigtem Verhalten – das zeigt die Forschung – wirkt die deskriptiv­e Normstärke­r: zum einen, weil es oft leichter ist, ihr zu folgen, zum anderen aber vor allem, weil wir uns an der Mehrheit orientiere­n möchten.“Die Bedeutung sozialer Normen hat für UhlHädicke Folgen für die Kommunikat­ion zur Klimakrise. So würden Schlagzeil­en wie „70 Prozent der Männer würden lieber sterben, als auf Fleisch zu verzichten“zeigen, wie sich die Mehrheit verhält – „und daran orientiere­n wir uns, selbst, wenn ein solches Verhalten an den Pranger gestellt wird“. Daher wäre es sinnvoll, Trendprogn­osen zu nutzen oder dynamische Normen anzusprech­en. „Beim Fleischkon­sum könnte also berichtet werden: Die Mehrheit greift noch zu Fleisch, aber immer mehr finden Geschmack an fleischlos­en Alternativ­en. Entspreche­nde Studien zeigten, dass ein solcher Ansatz wirkt, weil wir auch Teil von Innovation­en oder Trends sein wollen“, erläutert Uhl-Hädicke.

Andere Studien machten deutlich, dass die meisten Menschen es als gerecht empfänden, wenn Verursache­rinnen oder Verursache­r auch die Verantwort­ung übernähmen, ergänzt Reese. „Das müsste vermutlich stärker kommunizie­rt werden, denn Menschen ist bewusst, dass sie mit dem Verhalten für etwas verantwort­lich sind.“Konkret könnte das bedeuten, klimaschäd­igendes Verhalten stärker zu bepreisen. Neben der Preisgesta­ltung könnte allerdings auch mit Verboten gearbeitet werden, so Reese: „Verbote sind eigentlich etwas sehr Gerechtes. Wenn ich etwas verbiete, kann ich mich auch nicht mit viel Geld rein oder raus kaufen.“Allerdings würden Verbote bei vielen Menschen spontane Abwehr auslösen: „Dennoch können Verbote hilfreich sein, nämlich dann, wenn sie gerecht sind und der Mehrheit sehr viel Gewinn bringen, wie zum Beispiel das Nichtrauch­erschutzge­setz oder das Verbot, ohne Gurt Auto zu fahren, zeigen.“Gerade die Anschnallp­flicht mache zudem deutlich, dass politische Maßnahmen der schnellste Hebel seien, um soziale Normen zu verändern, sagt Uhl-Hädicke.

Dass politische Maßnahmen am schnellste­n Wirkung zeigten, glaubt auch Reese. Das heiße aber nicht, dass man sich als Einzelner aus der Verantwort­ung nehmen könne, so Uhl-Hädicke: „Aus psychologi­scher Sicht schon allein deswegen nicht, weil wir mit Blick auf soziale Normen mit unserem Verhalten eine Vorbildfun­ktion entfalten und andere motivieren können.“Sie sieht bei der Kommunikat­ion über die Klimakrise auch die Medien in der Verantwort­ung: „Eine Vielzahl von Schreckens­meldungen über deren Folgenführ­en bei den Menschen zu Abwehrmech­anismen: Informatio­nen über eine existenzie­lle Bedrohung lösen dann eine Art Schockstar­re oder zumindest ungute Gefühle aus.“Wichtig wäre daher, positive Beispiele zu berichten: „Wir wissen, dass Horrorszen­arien uns hemmen und Mechanisme­n auslösen, mit denen wir uns von den bedrohlich­en Gefühlen lösen, ohne die Ursachen der Szenarien anzugehen. Positive Beispiele motivieren uns hingegen“, führt Uhl-Hädicke aus.

Noch dazu finde die Klimakrise gleichzeit­ig mit vielen anderen Krisen statt:„Wir Menschen halten nur ein bestimmtes Maß an Krisen aus, insofern ist ein gewisser Grad an Nachrichte­nmüdigkeit auch verständli­ch. Aber man kann sich daraus lösen, indem man sich etwa der Bedrohung zuwendet und versucht, etwas zu deren Lösung beizutrage­n, also konkret: einen klimafreun­dlichen Lebensstil aufzunehme­n.“Finde eine solche Verhaltens­veränderun­g in einer Gruppe statt, könne ein Gefühl kollektive­r Wirksamkei­t entstehen, betont Reese: „Wir als Nachbarsch­aft, wir als Community, wir als Nation oder vielleicht auch wir als ganze Menschheit – auch wenn das utopisch klingen mag – aber wir als Gruppe, wir als Bewegung, wir können etwas verändern.“(dpa)

Was rational gut ist, fühlt sich aber vielleicht nicht so an.

Horrorszen­arien hemmen, positive Beispiele motivieren.

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Illustrati­on: stock.adobe.com

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