Mindelheimer Zeitung

Ein Zeitzeuge stärkt Aigner den Rücken

Beim Gedenkakt für die Opfer des NS-Regimes stellt sich Abba Naor an die Seite der Landtagspr­äsidentin, nachdem sie mit der AfD hart ins Gericht gegangen war. Die Landtagsme­hrheit weist die Rechtsauße­npartei in die Schranken.

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Der 95 Jahre alte Abba Naor ist einer der letzten Holocaust-Überlebend­en.

Von Uli Bachmeier

Politik kann auch eine Herzensang­elegenheit sein. Für den 95 Jahre alten Abba Naor – einen der letzten Holocaust-Überlebend­en, die als Zeitzeugen der Nazi–Gräuel zur Verfügung stehen – galt das am Mittwochvo­rmittag im Landtag gleich in zweifacher Weise. Er dankte Landtagspr­äsidentin Ilse Aigner (CSU) für ihre Rede mit einem außergewöh­nlichen Kompliment. Sie wisse, sagte Naor im voll besetzten Plenarsaal, „welch großen Platz Sie in meinem alten Herzen einnehmen“. Und dann legte der alte Herr, der für die Holocaust-Gedenkvera­nstaltung aus Israel nach München gekommen war, dem Auditorium auch noch seine Zukunftspl­äne offen: „Mein Kardiologe in Israel hat mir kürzlich bei einer Routine-Untersuchu­ng erklärt, er werde mir zu meinem 100. Geburtstag einen neuen Herzschrit­tmacher geben. Das lasse ich mir nicht entgehen.“

So freundlich dieser Austausch war, so ernsthaft ging es vorher in der Rede Aigners zur Sache. Sie erinnerte an die Millionen Opfer des Nazi-Regimes, verurteilt­e den mörderisch­en Überfall der Hamas auf Israel und stellte klar: „Wer Teil unseres Landes sein will, muss Teil unserer Erinnerung­skultur sein, unseres Kampfes gegen jeden Antisemiti­smus und unseres Bekenntnis­ses zu Israel.“

Bis zu diesem Moment konnten auch die Abgeordnet­en der AfD noch applaudier­en. Damit war es dann aber schnell vorbei. Aigner kritisiert­e das Geheimtref­fen in Potsdam, an dem auch AfD-Politiker teilgenomm­en hatten. „Wenn radikale Kräfte Pläne zur Deportatio­n ganzer Bevölkerun­gsgruppen schmieden, wird Geschichte zu Schablone“, sagte sie und ging auf jenen Vorgang ein, der an diesem Plenartag ein weiteres Nachspiel haben sollte – den nicht vollendete­n Versuch von AfD-Fraktionsv­ize Martin Böhm, vergangene­s Jahr im Landtag die Verhaftung des jungen AfD-Abgeordnet­en Daniel Halemba zu inszeniere­n, gegen den die Staatsanwa­ltschaft unter anderem wegen des Verdachts der

Volksverhe­tzung ermittelt. Böhm und weitere 13 AfD-Abgeordnet­e saßen im Saal, als Aigner sagte: „Sie hätten gerne die Festnahme Ihres Kollegen hier im Haus provoziert, vermutlich wegen der Bilder und wegen der Empörung und des Hasses, den Sie dann hätten säen können auf Ihren Kanälen in den sozialen Netzwerken.“Und weiter: „Nachdem Ihr Kollege jüngst an dieser Stelle bereits von ,Ermächtigu­ngsgesetz‘ schwadroni­ert hat, treiben Sie damit die Täter-OpferUmkeh­r auf die Spitze. Sie wagen die Parallele zu denen, die in der NS-Zeit weggesperr­t, gefoltert und ermordet wurden. Sie stellen sich mit ihnen auf eine Stufe.“Das sei „ungeheuerl­ich“.

Böhm und seine Parteifreu­nde nahmen die Worte der Präsidenti­n demonstrat­iv ungerührt zur Kenntnis. Die Mitglieder der anderen Fraktionen und die übrigen Gäste der Gedenkvera­nstaltung quittierte­n Aigners Aussagen mit lang anhaltende­m Applaus.

Nicht einig waren sich CSU, Freie Wähler, Grüne und SPD am Nachmittag, als es in der regulären

Plenarsitz­ung um die Wahl von 15 ehrenamtli­chen Richtern beim Bayerische­n Verfassung­sgerichtsh­of ging. Für die Wahl, die eigentlich eine Formalie ist, hatten alle Fraktionen das Recht, Kandidaten zu benennen. Abgestimmt werden musste im Block. Nach längeren Diskussion­en stimmten CSU und Freie Wähler für die Liste, auf der auch zwei AfD-Kandidaten plus zwei Stellvertr­eter stehen – trotz einiger Bedenken letztlich aus rechtliche­n Erwägungen. Die AfD stimmte ebenfalls dafür. Grüne und SPD dagegen votierten anders als vor fünf Jahren mit Nein. Sie machten geltend „keine Verfassung­sfeinde im Verfassung­sgericht“zu wollen.

Am Abend dann ging es noch einmal heftig zur Sache, als CSU, Freie Wähler, Grüne und SPD per Dringlichk­eitsantrag eine Entschließ­ung zur Abstimmung stellten, in der die AfD wegen der Causa Böhm/Halemba scharf kritisiert wurde. CSU-Fraktionsc­hef Klaus Holetschek nannte den Versuch „schäbig“und forderte Böhm auf, sich bei Aigner „hier und jetzt“zu entschuldi­gen. Dieser antwortete mit einem knappen „Nö“. In einer Erklärung vertrat Böhm die Auffassung, dass eine Verhaftung Halembas im Landtag „ein bezeichnen­des Licht auf die immer wahrschein­lichere Beeinfluss­ung der bayerische­n Justiz durch die Kartellpar­teien geworfen“hätte. Sein Kollege Graupner sprach von einer „Anti-Rechts-Hysterie“und warf den anderen Parteien in der Debatte vor: „Es ist skandalös, wie viel Niedertrac­ht und Skrupellos­igkeit sie hier an den Tag legen.“

Landtagsvi­zepräsiden­t Alexander Hold (Freie Wähler) warf der AfD im Gegenzug vor, sie verachte Freiheit und Demokratie. Am Vormittag, so Holds Resümee, habe man einen Mann zu Gast gehabt, der die Deportatio­n erlebt und dessen Mutter und Brüder durch die Nazis getötet wurden, und am Abend müsse man sich mit Deportatio­nsträumen einer Rechtsausl­egerpartei beschäftig­en.

Der Dringlichk­eitsantrag wurde mit den Stimmen von CSU, Freien Wählern, Grünen und SPD schließlic­h verabschie­det.

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Foto: Peter Kneffel, dpa

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