Gewalt an Kliniken nimmt zu
Pflegepersonal und Ärzte werden immer öfter von aggressiven Patienten beschimpft, bedroht und verletzt.
Von Andreas Berger
„Die Gewalt nimmt seit einigen Jahren stetig zu. Der Respekt gegenüber unseren Mitarbeitenden ist gesunken.“Renate Schlichthärle, Pflegedirektorin am Klinikum Memmingen, schildert das Problem, das dem Krankenhaus-Personal immer mehr zu schaffen macht. Die Kliniken Ostallgäu-Kaufbeuren und der Klinikverbund Allgäu bestätigen das.
„Verbale Gewalt erfahren wir täglich“, sagt Renate Schlichthärle. Körperliche Gewalt gebe es ein- bis zweimal im Monat. Für die Häuser im Ostallgäu und Kaufbeuren teilt deren Pressestelle mit: „Im gesamten Klinikverbund kommt es etwa ein- bis zweimal pro Woche zu entsprechenden Situationen.“Meist handele es sich um verbale Gewalt. Andreas Ruland, Geschäftsführer des Klinikverbunds Allgäu: „Am Klinikum Kempten findet verbale Gewalt leider regelmäßig statt.“Auch Sachbeschädigungen seien keine Seltenheit. Und: „Körperliche Gewalt nimmt leider auch zu.“
Ruland nennt zwei Beispiele: „Ein alkoholisierter Patient begann zu randalieren, zertrümmerte die Einrichtung des Behandlungsraums fast vollständig und bewarf das Personal mit Gegenständen. Glücklicherweise wurde niemand verletzt. Ein Kollege in Kempten wurde von hinten angegriffen, verletzte sich und war über Wochen nicht arbeitsfähig.“
Zu körperlicher Gewalt zählten aber auch ein groberes Anfassen und Anspucken. Bedrohungen gebe es auch. Dann fielen Sätze wie „Wenn ich nicht gleich drankomme ...“.
Woran liegt es, dass einige Menschen gegenüber jenen, die ihnen helfen wollen, gewalttätig werden? Es gibt verschiedene Gründe, wie die drei Allgäuer Klinikgruppen mitteilen. Einer ist zum Beispiel auf den Mediziner-Mangel zurückzuführen. Viele Menschen im Allgäu finden keinen Hausarzt mehr, wie wir schon mehrfach berichteten.
So geht ein Teil davon bei gesundheitlichen Problemen in die Notaufnahme, bestätigt Renate Schlichthärle. „Das führt zu massiven Wartezeiten. Dann kann es sein, dass die Situation eskaliert.“Die Ostallgäuer Kliniken sehen darin ebenfalls einen Grund: „Mit steigenden Patientenzahlen, gerade in den Notfallzentren, geht auch ein Ansteigen der Situationen einher, in denen es zu verbalen und/ oder physischen Gewalttaten kommt.“Hinzu komme, dass manche Patienten ihre Verletzung oder Erkrankung falsch einschätzten und nicht verstünden, dass sie nicht sofort an der Reihe seien, sagt Andreas Ruland.
In den Notaufnahmen spielten sich die meisten dieser Szenen ab, wie es in den drei Häusern heißt. Nachts und an Wochenenden könne sich die Situation noch verschärfen.
In Krankenhäusern der Region kommt es immer öfter zu Über- und Angriffen auf medizinisches Personal. Denn vor allem dann kämen auch Patienten in die Ambulanz, die betrunken seien oder andere Drogen genommen hätten.
Spurlos gehen solche Situationen nicht an allen vorbei. „Hat sich ein Vorfall zugetragen, haben die Mitarbeitenden danach oft Angst. Aber wir beugen auch vor: Mitarbeitende sind beispielsweise im Nachdienst nie alleine auf Station“, sagt Renate Schlichthärle vom Klinikum Memmingen. Zudem werden immer wieder Deeskalationstrainings angeboten und Selbstbehauptungskurse speziell für Frauen.
„Auch ich habe einen Kurs besucht und fühle mich seitdem sicherer.“Ein Sicherheitsdienst kommt für alle drei Klinikgruppen im Allgäu nicht in Frage. In Kempten gebe es stattdessen einen Zentralruf, über den Mitarbeitende zusätzliche Kollegen alarmieren können, die dann schnell zu Hilfe eilen, sagt Andreas Ruland.
Das Thema Gewalt kann Holger Stabik, Pressesprecher der Polizei, in Zahlen zusammenfassen. Und zwar für das Gebiet des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West, zu dem das komplette Allgäu und die
Landkreise Günzburg und NeuUlm gehören. Allerdings seien die Daten vermutlich nur die Spitze des Eisbergs, glaubt der Polizeisprecher. Etliche Delikte würden vermutlich nicht angezeigt. Viele Mediziner hätten ein recht hohes Toleranzlevel. Heißt: Sie zeigten nicht jede Tat an. Offiziell im Jahr 2022 registriert wurden 52 Fälle von Körperverletzung in den Kliniken der Region. 2023 waren es etwas mehr Fälle. Genau kann es Stabik aber noch nicht sagen, die Polizeistatistik für 2023 werde erst noch vorgestellt.
Dann gebe es noch die Gewaltkriminalität. Zu ihr zählt zum Beispiel gefährliche Körperverletzung. 2022 habe es 13 Fälle gegeben. 2023 werden es ähnlich viele sein, sagt Stabik. Viele Fälle von Beleidigung gebe es mit 26 im Jahr 2022 und etwas weniger im vergangenen Jahr nicht. Das liegt daran, dass nur wenige angezeigt werden. In Memmingen und Kaufbeuren heißt es etwa, dass vor allem Körperverletzung angezeigt werde. Und im Klinikverbund Allgäu werden Fälle angezeigt, die aus der Sicht des Hauses schwerwiegend seien.