Prozess nach filmreifen Szenen bei Amberg
Ein 28-Jähriger schoss in Amberg um sich und löste damit einen Großeinsatz der Polizei aus. Nun stand er vor Gericht.
Nicht einfach war es für das Schöffengericht am Amtsgericht Memmingen unter Leitung von Richter Nicolai Braun bei der Urteilsfindung. Was tun mit einem Angeklagten, den der Gutachter Dr. Andreas Küthmann „eine instabile Persönlichkeit mit Anpassungsstörungen“bezeichnete? Die Tat im vergangenen August sorgte jedenfalls für Schlagzeilen: Der Angeklagte soll auf der Hauptstraße von Amberg mindestens sechsmal in die Luft geschossen und wenig später an der Straße zwischen Amberg und Buchloe auf eine Autofahrerin gezielt haben, sodass diese einen Schock erlitt. Die Vorfälle lösten einen Großalarm der Polizei aus, bei dem fast 100 Beamte im Einsatz waren und sogar Züge gestoppt wurden.
Der von der Staatsanwältin vorgetragene Sachverhalt blieb unbestritten. Der Angeklagte besorgte sich Anfang August vergangenen Jahres in Mindelheim eine Schreckschusswaffe nebst Waffenkoffer und einen Pfefferspray. Diese Waffe darf aber ohne Waffenschein in der Öffentlichkeit nicht benutzt werden. Dann fuhr er zurück nach Amberg, wo er gegen Mittag auf der Hauptstraße mindestens sechs Schüsse abfeuerte. Jedenfalls fand die Polizei sechs Patronen.
Zeuge dieses Vorfalls waren zwei Buben, die ebenfalls auf der Straße unterwegs waren. Die erschraken dabei heftig, wandten sich jedoch an eine Anwohnerin und baten diese, die Polizei anzurufen. Der Angeklagte fuhr darauf mit dem Rad in Richtung Buchloe davon. Dort traf er wenig später auf eine andere Zeugin, die mit dem Auto in Richtung Buchloe unterwegs war. Nach ihrer Schilderung befand sich der Angeklagte mit dem Rad auf einem Grünstreifen zwischen Straße und Radweg. Als sie ihn passierte, soll er die Pistole auf ihr Auto gerichtet und so getan haben, als würde er diese entsichern. Als die Zeugin in Buchloe angekommen war, verständigte auch sie die Polizei.
Aufgrund der beiden beunruhigenden Nachrichten lief bei der Polizei ein Großeinsatz an. Der Angeklagte selbst fuhr ebenfalls zum Bahnhof Buchloe und bestieg dort einen Zug nach Fürstenfeldbruck. Er hatte dort mehrere Jahre gelebt, ehe er ins Unterallgäu kam.
Dort wurde er wenig später wieder auffällig. In einem Einkaufszentrum traf er einen Bekannten. Dort entwickelte sich ein Streit, wobei es zu einem Gerangel mit Messereinsatz gekommen sein soll. Im Gegensatz zur Anklage behauptete der Angeklagte, er sei das Opfer gewesen und habe die Polizei gerufen. Nachdem der zweite Beteiligte nicht vor Gericht erschienen war, wurde dieser Anklagepunkt der Bedrohung fallen gelassen.
Jedenfalls kam es auch in Fürstenfeldbruck zu einem Polizeieinsatz. Die Beamten hatten mittlerweile von den Ereignissen im Unterallgäu gehört und hatten sofort den Angeklagten in Verdacht. Befragungen der beteiligten Polizeibeamten zeigten, dass der Angeklagte über Jahre die Polizei dort in Atem hielt und alle froh gewesen seien, dass er in Richtung Unterallgäu umgezogen war.
Der Angeklagte machte über seinen Anwalt Daniel Nißle (Bad Wörishofen) Angaben zum Sachverhalt. Er habe die Pistole für Silvester gekauft und nicht gewusst, dass das Schießen während des Jahres verboten sei. Er habe spontan in die Luft geschossen und wollte dann weiter nach Buchloe, um sein Handy aufzuladen. Durch die Schüsse sei der Lauf der Waffe heiß gewesen, deshalb habe er diese aus der Kleidung genommen. Das vorbeifahrende Auto habe er nicht bewusst wahrgenommen.
Jedenfalls landete der Angeklagte am Abend in der Polizeiinspektion Bad Wörishofen und wurde für die Nacht zur PI Memmingen überstellt. Dort soll er dann die Schlafdecke in der Zelle zu einem Turban geformt haben. Dabei wurde die Decke ramponiert, was ihm weiter den Tatbestand der Sachbeschädigung einbrachte. Einen Tag später wurde er dem Haftrichter vorgeführt und seit dieser Zeit saß er in U-Haft.
Waren die Tatabläufe klar, so blieben die Motive im Dunkeln. Richter Braun versuchte in der Lebensgeschichte des Angeklagten, Erklärungen zu finden. Der Angeklagte floh mit 20 Jahren aus Syrien, als ihm die Einberufung zum Militär drohte. Er kam über die Türkei nach Deutschland, wo er eigentlich nicht Fuß fasste, was sicher an seinen Persönlichkeitsstörungen lag. Jedenfalls rastete er bei eigentlichen Nichtigkeiten aus. So bei einer Personenkontrolle am Münchner Bahnhof, die mit einer Katastrophe endete und ihm eine Verurteilung zu zehn Monaten Haft einbrachte. So listete Braun einige Vorstrafen auf, darunter zwei Haftstrafen.
Warum rastete der Angeklagte gerade an diesem Tag aus: Seine Betreuerin berichtete von vielen Krankenhausaufenthalten und ließ auch durchblicken, dass bei der Behandlung einiges schiefgelaufen sei. Der Angeklagte leide an Konzentrationsstörungen, schlafe kaum und sehr schlecht und sei von einer innerlichen Unruhe getrieben. Wenn er die richtigen Medikamente erhalte, dann sei er ruhig. Einen Tag vorher habe er über Herzrasen geklagt und sei auch in die Klinik gekommen, wo er nicht bleiben wollte. Zudem verlor der Mann einen Tag vor den Schüssen seine Wohnung.
Der Gutachter, Dr. Andreas Küthmann (Memmingen) bescheinigte ihm dann eine impulsive Steuerungsfähigkeit, die besonders bei Stresssituationen zutage trete. Er wollte er aber nicht so weit gehen und ihm eine schizophrene Persönlichkeitsstörung, wie Hören von Stimmen, unterstellen. Es könne aber eine verminderte Steuerungsfähigkeit vorliegen.
Im Plädoyer meinte die Staatsanwältin, dass zugunsten des Angeklagten die Teilgeständnisse sprechen würden. Gegen ihn die nicht unerhebliche Vorstrafenliste. Sie forderte eine Gesamtstrafe von einem Jahr und acht Monaten, die aufgrund der Vorgeschichte nicht mehr zu Bewährung ausgesetzt werden könne. Rechtsanwalt Nißle verwies auf die lange U-Haft, die mitberücksichtigt werden müsse. Er forderte eine Haftstrafe unter einem Jahr und Aufhebung des Haftbefehles.
Das Urteil des Schöffengerichts lautete dann 18 Monate Haft für das verbotene Führen von Schusswaffen, Bedrohung und Sachbeschädigung. Richter Braun ließ durchblicken, dass bei der Behandlung des Angeklagten einiges schiefgelaufen sei und dass das Gericht sich eine Unterbringung in eine psychiatrische Einrichtung überlegt habe. Weiter habe sich das Gericht überlegen müssen, ob die Schuldfähigkeit eingeschränkt war.
Bei der Vorgeschichte und einer sehr ungünstigen Sozialprognose könne die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden.