Im „Löwen“ging es im Fasching hoch her
Die aufwendigen Faschingsbälle in den 60er- und 70er-Jahren in dem Gasthof in Memmingerberg waren in weitem Umkreis bekannt. Auch vom Fliegerhorst kamen die Gäste.
Wenn sie die alten Fotos anschaut, staunt Inge Riedlberger noch heute. Da hing ein großer Wal von der Decke des Saals, Wände wurden mit Malereien exotischer Tiere verziert, die Säulen mit Gips in Bäume verwandelt und die Bühne wurde – je nach Motto – zum Segel- oder Raumschiff. Die aufwendige Dekoration, an der unter anderem Maler Bertram Pätzold mitarbeitete, trug dazu bei, dass die Faschingsbälle im Memmingerberger „Löwen“in den 1960er- und 1970er-Jahren weithin bekannt waren. Im Gasthof von Riedlbergers Eltern, KarlHans und Betti Sroka, packten dafür auch Vereine und Beschäftigte vom nahen Militärflugplatz mit an.
Erfahrung in der Gastronomie brachte Betti Sroka mit: Ihre Familie führte die Metzgerei und Gaststätte „Zum letzten Heller“in der Stadtweiherstraße, wo Betti auch ihren späteren Mann kennenlernte, der als Flüchtling aus Oberschlesien in Memmingen einen Neuanfang machte. Der begann für ihn und seine Frau mit dem Augsburger Hof im Osten der Stadt, ehe das Ehepaar 1959 den „Löwen“in Memmingerberg übernahm. „Sie haben an Silvester geöffnet. Gleich am ersten Tag mit einem Ball“, erzählt Inge Riedlberger. Auf der Suche nach Arbeit stand laut der 72-Jährigen damals Wolfgang Fiebach, ebenfalls ein Vertriebener, vor der Tür – später war er beim Fasching im „Löwen“nicht wegzudenken. Ebenso wenig wie die Gaststätte aus dem Ort.
Bald hatte sie Stammgäste, war Adresse für Hochzeiten, Versammlungen und Familienfeste, samstags stand Tanz im Saal auf dem Programm. Nach den Entbehrungen der Nachkriegsjahre hungerten die Menschen laut Riedlberger nach Unterhaltung und Abwechslung. Und weil es noch keine Vereinsheime gab, trafen sich viele bei den Srokas. Dasselbe galt nach Feierabend und am Wochenende für Soldaten des Fliegerhorsts: „Sie kamen ja von überall aus Deutschland
und hatten kein eigenes Auto.“
So waren es laut Riedlberger erst die Vereine, später Leute der Wartungsstaffel des Fliegerhorsts, die für Faschingsbälle spektakuläre Kulissen im Saal mit 350 Plätzen schufen. Eine Anzeige aus dem Jahr 1965 gibt einen Ausblick auf Bälle, die von Mitte Januar bis März über die Bühne gingen: Den Anfang machte die Feuerwehr, gefolgt von Musikkapelle, Sportverein, Chorgemeinschaft und Schützenball. Hinzu kam der Hausball der Srokas: „Der war immer an einem Samstag und etwas eleganter und es sind die Geschäftsleute gekommen, bei denen man eingekauft hat.“Nicht zu vergessen der „Ball der einsamen Herzen“,“Ball
paré“, Kinderball und Rosenmontagsball. Die Regie beim Kinderball hatte stets Wolfgang Fiebach: „Er konnte herrlich Klavier spielen und hat mit den Kindern gesungen“, erinnert sich Riedlberger: „Mit 300 Kindern im Saal war da schon was los.“
Während im Saal Hochstimmung herrschte, wurde im Hintergrund unter Hochdruck gearbeitet: „Meine Mutter hat mit den anderen Frauen in der Küche zwischen 200 und 280 Essen gemacht – und das, wobei ein Herd mit Kohle geschürt werden musste.“Riedlberger ist noch in Erinnerung, dass für frische Pommes etwa unablässig Kartoffeln geschält und durch eine Maschine gedreht werden mussten. Etwa zwölf Leute – darunter
vier Bedienungen im Saal – hatten mit dem bunten Treiben alle Hände voll zu tun.“Diese Stunden, diese irre Arbeit – dass die trotzdem Freude dran gehabt haben, ist kaum zu glauben. Aber trotzdem haben die Leute das alles in guter Erinnerung“, erzählt die 72-Jährige über gelegentliche Begegnungen mit Bekannten aus der damaligen „Mannschaft“.
Auch ihr selbst geht es so – obwohl die Rückkehr nach ihrer Lehre im Hotelfach in Bad Wörishofen im Jahr 1968 zunächst ein „Kulturschock“war. Riedlberger schmunzelt beim Gedanken daran, dass sie als Kind mit Schulfreunden mit „Drahtriebele“an den Schuhen nach Faschingsende den Saalboden scheuerte, ehe der gewachst
wurde. Oder daran, wie sie und ihre Cousine später als Bardamen „Menschenstudium“betreiben konnten – ob es sich nun um „Streitigkeiten“oder „Liebesgeschichten“drehte. Wenn die Schlussabrechnung mit dem Vater erledigt war, nahte schon der Morgen – und der nächste Arbeitstag.
Nach dem Kehraus war ein Höhepunkt für die Srokas, ihre vier Kinder und alle, die im Gasthof arbeiteten, das gemeinsame Essen zum Abschluss: „Da saß man zusammen und hat das Ende von diesem Wahnsinnsfasching gefeiert. Davon haben wir immer lange gezehrt.“Im Jahr 1974 gab die Familie wegen des angeschlagenen Gesundheitszustands von Betti Sroka die Pacht des Gasthofs ab.