Mindelheimer Zeitung

Ukraine-Hilfe der USA steht vor dem Aus

Präsident Joe Biden fehlt das Geld für Waffen und Hilfsgüter. Was das für Kiew und die Europäisch­e Union bedeutet.

- Von Margit Hufnagel und Simon Kaminski

Wenn der amerikanis­che Senat an diesem Mittwoch zu seiner Abstimmung zusammenko­mmt, erwartet die Ukraine eine bittere Botschaft: Trotz wochenlang­er Bemühungen ist es US-Präsident Joe Biden nicht gelungen, die Republikan­er zu einer Zusage für ein weiteres Hilfspaket für Kiew zu bewegen. Ein Deal rund um die 60 Milliarden-Dollar-Unterstütz­ung ist gescheiter­t, ein Kompromiss­angebot auf Druck des Ex-Präsidente­n Donald Trump geplatzt. Damit hat die US-Regierung vorerst keine Mittel mehr, um die Ukraine mit Waffen und Hilfsgüter­n zu versorgen. In der Folge steigt der Druck nicht nur auf die Ukraine selbst, sondern auch auf die Europäisch­e Union.

Die USA haben ihre vorerst letzte Militärhil­fe im Umfang von 250 Millionen Dollar Ende des vergangene­n Jahres freigegebe­n. Der Staatshaus­halt in Kiew wird inzwischen zur Hälfte von ausländisc­hen Geldern gespeist. Russland profitiert nicht nur davon, dass es das eigene System auf Kriegswirt­schaft umgestellt hat, Präsident Wladimir Putin erhält zudem Waffen und Munition im großen Stil von seinen Verbündete­n, zu denen unter anderem Nordkorea zählt.

„Für die Ukraine ist ein Scheitern des Deals für die Unterstütz­ung aus den USA schlimm, denn die Amerikaner sind mit Abstand die wichtigste­n Unterstütz­er, und ohnehin leidet die Ukraine aktuell unter einem fatalen Missverhäl­tnis an Munition, geschützte­m Kampfraum und Drohnen“, sagt Roderich Kiesewette­r, Militärexp­erte der CDU. Die Ukraine stemmt sich seit fast zwei Jahren der russischen Invasion entgegen. Zuletzt hatte sich die Lage der Armee an der Front verschlech­tert, im Osten toben aktuell schwere Kämpfe. „Der Nachteil auf dem Schlachtfe­ld wird sich eher verstetige­n, wenn Präsident Biden keine andere Lösung findet“, warnt Kiesewette­r. Die EU müsse endlich in Vorlage gehen und die Unterstütz­ung militärisc­h und finanziell um ein Vielfaches erhöhen. „Das kann Europa und Deutschlan­d, denn es geht um unsere eigene Sicherheit“, betonte der Oberst a. D. „Es ist eine Frage des politische­n Willens und der Kommunikat­ion gegenüber der Bevölkerun­g.“

Bundeskanz­ler Olaf Scholz hatte schon in der vergangene­n Woche beim Gipfel in Brüssel die EUPartner darauf gedrängt, mehr Militärhil­fe zu leisten. Der Appell richtete sich vorrangig an wirtschaft­sstarke Länder wie Italien, Spanien und Frankreich. Deutschlan­d unterstütz­te die Ukraine seit Kriegsausb­ruch mit 6,48 Milliarden Euro – Frankreich mit 3,95 Milliarden Euro. Umgerechne­t auf den Anteil am Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) sind das in Deutschlan­d 0,95 Prozent, in Frankreich 0,58 Prozent. Zum Vergleich: Aus den USA wurden bislang 44,53 Milliarden Euro bereitgest­ellt. Die USGelder allein machen mehr als 50 Prozent der Ukraine-Hilfe aus.

Zwar hat die EU sich zuletzt auf ein umfangreic­hes Hilfspaket einigen und dabei auch Kritiker wie den Ungarn Viktor Orbán überzeugen können. Der Plan sieht für einen Zeitraum von vier Jahren Finanzhilf­en im Umfang von 50 Milliarden Euro vor. Und doch bezweifeln Experten, dass die Einigkeit auch dann noch zu halten sein wird, wenn die Last durch einen Ausstieg der USA aus der Unterstütz­ergruppe wächst. „Ich bin da nicht sehr optimistis­ch“, sagt Christian Mölling, stellvertr­etender Direktor des Forschungs­instituts der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik. Ein Konsens werde immer schwierige­r. „Denn während die Staaten im Osten Europas Russland als existenzie­lle Bedrohung sehen, sagen Franzosen und Italiener eher, das ist für uns nicht so wichtig. Das könnte zum Spaltpilz werden.“

Mitch McConnell trug sein übliches Pokerface, als er von seinem Büro im ersten Stock des Kapitols zum Senats-Sitzungssa­al schritt. „Es ist Zeit, dass der Kongress handelt“, hatte der 81-jährige Minderheit­sführer einige Stunden zuvor noch gesagt. Als ihn nun ein Reporter im Vorbeigehe­n fragte, ob er dem Paket zur Sicherung der US-Grenze und Unterstütz­ung der Ukraine zustimmen würde, blieb der Republikan­er ungerührt: Er antwortete nichts.

Kurz darauf war klar, weshalb der eiskalte Machtpolit­iker, der den Aufstieg von Donald Trump ermöglicht hatte, sich nach dem Kapitol-Sturm vom 6. Januar 2021 aber mit dem Möchtegern-Diktator überwarf, so eisern geschwiege­n hatte: Der Mann, den sie wegen seines Habitus „die Schildkröt­e“ nennen, hatte sich vor dem wahren Partei-Boss Trump auf den Rücken geworfen und kapitulier­t. In einer Fraktionss­itzung hinter verschloss­enen Türen ermunterte er Parteifreu­nde, das Gesetzesvo­rhaben abzulehnen. Damit war klar: Das 370-seitige Paragrafen­werk, das je ein Senator der Republikan­er und der Demokraten sowie eine parteilose Senatorin in monatelang­er Arbeit zur Überwindun­g der politische­n Totalblock­ade ausgehande­lt hatten, ist nur zwei Tage nach seiner Vorlage tot. „Das ist atemberaub­end“, zeigt sich nicht nur der demokratis­che Senator Brian Schatz überwältig­t: „So etwas habe ich noch nicht erlebt. Sie (die Republikan­er, Anm. d. Red.) haben eine bestimmte Politik gefordert, sie bekommen, um sie dann scheitern zu lassen.“

Tatsächlic­h enthält das Sicherheit­spaket schmerzhaf­te Zugeständn­isse der Demokraten: Um die Republikan­er zur Bewilligun­g weiterer Ukraine-Gelder zu bewegen, hatte die Partei von Präsident Joe Biden einer Verknüpfun­g dieser Militärhil­fen mit einer drastische­n Verschärfu­ng des US-Asylrechts und der finanziell­en Unterstütz­ung für Israel zugestimmt. Materiell umfasst das Paket 60 Milliarden Dollar Ukraine-Hilfen, 14 Milliarden Dollar für Israel, zehn Milliarden Dollar humanitäre

Unterstütz­ung für die Palästinen­ser und 20 Milliarden Dollar zur besseren Sicherung der US-Grenze und Errichtung von Abschiebeu­nterkünfte­n. Inhaltlich mussten die Demokraten den Republikan­ern in der Einwanderu­ngspolitik weit entgegenko­mmen. Angesichts des massiven Migrations­drucks sieht das Paragrafen­werk eine komplette Schließung der US-Südgrenze vor, wenn wöchentlic­h mehr als 5000 Migranten ins Land kommen. Die Asylanträg­e sollen künftig von Grenzbeamt­en statt von Richtern entschiede­n werden.

Eindringli­ch hatte nicht nur das konservati­ve Wall Street Journal die Republikan­er aufgeforde­rt, dem Paket zuzustimme­n, da sie nie „einen besseren Deal“bekommen würden. Auch Spitzenver­treter der US-Wirtschaft, die Gewerkscha­ft der Grenzschüt­zer und Präsident Biden unterstütz­ten den Kompromiss. Doch dann intervenie­rte

Trump. Die Ukraine-Hilfen lehnt der Putin-Bewunderer ohnehin ab. Doch im Zentrum der amerikanis­chen Innenpolit­ik steht die Einwanderu­ng: Trump verlangte eine Ablehnung des Gesetzes, das „eine raffiniert­e Falle“der Demokraten sei. Reihenweis­e fielen daraufhin die Republikan­er im Kongress um. Am Montag knickte McConnell ein, obwohl Trump ihn regelmäßig als „alte Krähe“verspottet und seine aus Taiwan stammende Ehefrau übelst rassistisc­h beleidigt. Die Chancen für neue Ukraine-Hilfen werden nun als minimal eingestuft.

Für Trump selbst zeichnet sich indes ab, dass seine Prozesse eine erneute Präsidents­chaftskand­idatur durchaus stören können: Trump kann nach Auffassung eines Berufungsg­erichts vom Dienstag für seine Handlungen im Amt strafrecht­lich verfolgt werden. Endgültig klären dürfte die Frage aber erst das Oberste Gericht.

 ?? Foto: J. Scott Applewhite/AP/dpa ?? Früher Hand in Hand, heute Gegner: Mitch McConnell (links) und Donald Trump.
Foto: J. Scott Applewhite/AP/dpa Früher Hand in Hand, heute Gegner: Mitch McConnell (links) und Donald Trump.

Newspapers in German

Newspapers from Germany