Ukraine-Hilfe der USA steht vor dem Aus
Präsident Joe Biden fehlt das Geld für Waffen und Hilfsgüter. Was das für Kiew und die Europäische Union bedeutet.
Wenn der amerikanische Senat an diesem Mittwoch zu seiner Abstimmung zusammenkommt, erwartet die Ukraine eine bittere Botschaft: Trotz wochenlanger Bemühungen ist es US-Präsident Joe Biden nicht gelungen, die Republikaner zu einer Zusage für ein weiteres Hilfspaket für Kiew zu bewegen. Ein Deal rund um die 60 Milliarden-Dollar-Unterstützung ist gescheitert, ein Kompromissangebot auf Druck des Ex-Präsidenten Donald Trump geplatzt. Damit hat die US-Regierung vorerst keine Mittel mehr, um die Ukraine mit Waffen und Hilfsgütern zu versorgen. In der Folge steigt der Druck nicht nur auf die Ukraine selbst, sondern auch auf die Europäische Union.
Die USA haben ihre vorerst letzte Militärhilfe im Umfang von 250 Millionen Dollar Ende des vergangenen Jahres freigegeben. Der Staatshaushalt in Kiew wird inzwischen zur Hälfte von ausländischen Geldern gespeist. Russland profitiert nicht nur davon, dass es das eigene System auf Kriegswirtschaft umgestellt hat, Präsident Wladimir Putin erhält zudem Waffen und Munition im großen Stil von seinen Verbündeten, zu denen unter anderem Nordkorea zählt.
„Für die Ukraine ist ein Scheitern des Deals für die Unterstützung aus den USA schlimm, denn die Amerikaner sind mit Abstand die wichtigsten Unterstützer, und ohnehin leidet die Ukraine aktuell unter einem fatalen Missverhältnis an Munition, geschütztem Kampfraum und Drohnen“, sagt Roderich Kiesewetter, Militärexperte der CDU. Die Ukraine stemmt sich seit fast zwei Jahren der russischen Invasion entgegen. Zuletzt hatte sich die Lage der Armee an der Front verschlechtert, im Osten toben aktuell schwere Kämpfe. „Der Nachteil auf dem Schlachtfeld wird sich eher verstetigen, wenn Präsident Biden keine andere Lösung findet“, warnt Kiesewetter. Die EU müsse endlich in Vorlage gehen und die Unterstützung militärisch und finanziell um ein Vielfaches erhöhen. „Das kann Europa und Deutschland, denn es geht um unsere eigene Sicherheit“, betonte der Oberst a. D. „Es ist eine Frage des politischen Willens und der Kommunikation gegenüber der Bevölkerung.“
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte schon in der vergangenen Woche beim Gipfel in Brüssel die EUPartner darauf gedrängt, mehr Militärhilfe zu leisten. Der Appell richtete sich vorrangig an wirtschaftsstarke Länder wie Italien, Spanien und Frankreich. Deutschland unterstützte die Ukraine seit Kriegsausbruch mit 6,48 Milliarden Euro – Frankreich mit 3,95 Milliarden Euro. Umgerechnet auf den Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) sind das in Deutschland 0,95 Prozent, in Frankreich 0,58 Prozent. Zum Vergleich: Aus den USA wurden bislang 44,53 Milliarden Euro bereitgestellt. Die USGelder allein machen mehr als 50 Prozent der Ukraine-Hilfe aus.
Zwar hat die EU sich zuletzt auf ein umfangreiches Hilfspaket einigen und dabei auch Kritiker wie den Ungarn Viktor Orbán überzeugen können. Der Plan sieht für einen Zeitraum von vier Jahren Finanzhilfen im Umfang von 50 Milliarden Euro vor. Und doch bezweifeln Experten, dass die Einigkeit auch dann noch zu halten sein wird, wenn die Last durch einen Ausstieg der USA aus der Unterstützergruppe wächst. „Ich bin da nicht sehr optimistisch“, sagt Christian Mölling, stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Ein Konsens werde immer schwieriger. „Denn während die Staaten im Osten Europas Russland als existenzielle Bedrohung sehen, sagen Franzosen und Italiener eher, das ist für uns nicht so wichtig. Das könnte zum Spaltpilz werden.“
Mitch McConnell trug sein übliches Pokerface, als er von seinem Büro im ersten Stock des Kapitols zum Senats-Sitzungssaal schritt. „Es ist Zeit, dass der Kongress handelt“, hatte der 81-jährige Minderheitsführer einige Stunden zuvor noch gesagt. Als ihn nun ein Reporter im Vorbeigehen fragte, ob er dem Paket zur Sicherung der US-Grenze und Unterstützung der Ukraine zustimmen würde, blieb der Republikaner ungerührt: Er antwortete nichts.
Kurz darauf war klar, weshalb der eiskalte Machtpolitiker, der den Aufstieg von Donald Trump ermöglicht hatte, sich nach dem Kapitol-Sturm vom 6. Januar 2021 aber mit dem Möchtegern-Diktator überwarf, so eisern geschwiegen hatte: Der Mann, den sie wegen seines Habitus „die Schildkröte“ nennen, hatte sich vor dem wahren Partei-Boss Trump auf den Rücken geworfen und kapituliert. In einer Fraktionssitzung hinter verschlossenen Türen ermunterte er Parteifreunde, das Gesetzesvorhaben abzulehnen. Damit war klar: Das 370-seitige Paragrafenwerk, das je ein Senator der Republikaner und der Demokraten sowie eine parteilose Senatorin in monatelanger Arbeit zur Überwindung der politischen Totalblockade ausgehandelt hatten, ist nur zwei Tage nach seiner Vorlage tot. „Das ist atemberaubend“, zeigt sich nicht nur der demokratische Senator Brian Schatz überwältigt: „So etwas habe ich noch nicht erlebt. Sie (die Republikaner, Anm. d. Red.) haben eine bestimmte Politik gefordert, sie bekommen, um sie dann scheitern zu lassen.“
Tatsächlich enthält das Sicherheitspaket schmerzhafte Zugeständnisse der Demokraten: Um die Republikaner zur Bewilligung weiterer Ukraine-Gelder zu bewegen, hatte die Partei von Präsident Joe Biden einer Verknüpfung dieser Militärhilfen mit einer drastischen Verschärfung des US-Asylrechts und der finanziellen Unterstützung für Israel zugestimmt. Materiell umfasst das Paket 60 Milliarden Dollar Ukraine-Hilfen, 14 Milliarden Dollar für Israel, zehn Milliarden Dollar humanitäre
Unterstützung für die Palästinenser und 20 Milliarden Dollar zur besseren Sicherung der US-Grenze und Errichtung von Abschiebeunterkünften. Inhaltlich mussten die Demokraten den Republikanern in der Einwanderungspolitik weit entgegenkommen. Angesichts des massiven Migrationsdrucks sieht das Paragrafenwerk eine komplette Schließung der US-Südgrenze vor, wenn wöchentlich mehr als 5000 Migranten ins Land kommen. Die Asylanträge sollen künftig von Grenzbeamten statt von Richtern entschieden werden.
Eindringlich hatte nicht nur das konservative Wall Street Journal die Republikaner aufgefordert, dem Paket zuzustimmen, da sie nie „einen besseren Deal“bekommen würden. Auch Spitzenvertreter der US-Wirtschaft, die Gewerkschaft der Grenzschützer und Präsident Biden unterstützten den Kompromiss. Doch dann intervenierte
Trump. Die Ukraine-Hilfen lehnt der Putin-Bewunderer ohnehin ab. Doch im Zentrum der amerikanischen Innenpolitik steht die Einwanderung: Trump verlangte eine Ablehnung des Gesetzes, das „eine raffinierte Falle“der Demokraten sei. Reihenweise fielen daraufhin die Republikaner im Kongress um. Am Montag knickte McConnell ein, obwohl Trump ihn regelmäßig als „alte Krähe“verspottet und seine aus Taiwan stammende Ehefrau übelst rassistisch beleidigt. Die Chancen für neue Ukraine-Hilfen werden nun als minimal eingestuft.
Für Trump selbst zeichnet sich indes ab, dass seine Prozesse eine erneute Präsidentschaftskandidatur durchaus stören können: Trump kann nach Auffassung eines Berufungsgerichts vom Dienstag für seine Handlungen im Amt strafrechtlich verfolgt werden. Endgültig klären dürfte die Frage aber erst das Oberste Gericht.