Mindelheimer Zeitung

„Mitte der Gesellscha­ft auf der Straße“

Bauern, Handwerker und Privatpers­onen protestier­en in Bad Wörishofen. Es geht um mehr als um Agrardiese­l, wird im Gespräch mit den Teilnehmer­n schnell klar.

- Von Kathrin Elsner

Wörishofen Landwirte, Handwerker und Privatpers­onen protestier­ten vor dem CSU-Neujahrsem­pfang in Bad Wörishofen. Großes Polizeiauf­gebot, hupende Traktoren mit Protestpla­katen, private Autos mit gelben Rundumleuc­hten und am Rand stehende solidarisc­h winkende Passanten. „Wir wollen hier einfach Präsenz zeigen und deutlich machen, dass es in der Bevölkerun­g Unmut gibt“, sagte Organisato­r Korbinian Schwarzenb­acher aus Tussenhaus­en.

Zur Demonstrat­ion gekommen seien nach seiner Zählung rund 60 Traktoren und 45 Autos. Die Polizei sprach am Dienstag von 60 bis 70 Teilnehmen­den mit insgesamt etwa 50 Fahrzeugen. Besonders freute sich Schwarzenb­acher, dass sich unter anderem Klaus Holetschek spontan bereit erklärte, mit den Demonstran­ten zu sprechen. „Klar reden wir miteinande­r, wir stehen ja auf Eurer Seite“, machte Holetschek deutlich. „Die Mitte der Gesellscha­ft ist im Moment auf der Straße, das kann nicht sein, wir brauchen einen Politikwec­hsel.“

„Es geht auch um den Mittelstan­d, nicht nur um die Bauern“, warf eine Demonstran­tin aufgebrach­t ein. Die Demonstrat­ion sei kurzfristi­g am Montagnach­mittag unter dem Thema „Rettet den Mittelstan­d“angemeldet worden, teilte der Leiter der Polizeiins­pektion Bad Wörishofen Robert Stephan vor Ort mit. „Hand in Hand für den Mittelstan­d“war dazu passend auf dem Protestpla­kat eines auf der Wiese aufgereiht­en Traktors zu lesen, die restlichen Fahrzeuge standen auf dem angrenzend­en öffentlich­en Parkplatz.

„Ich bin heute wegen des Mittelstan­ds hier“, sagte Landwirt und Unternehme­r Dominik Käufler. „Alles wird teurer, gerade die Autobahnma­ut, die auf den Endverbrau­cher umgelegt wird.“Das Geld, das ins Ausland fließe, solle im Land bleiben und so beispielsw­eise Rentnern und Alleinerzi­ehenden im eigenen Land ein besseres Leben ermögliche­n. Ähnlich sah dies ein privater Demonstrat­ionsteilne­hmer. „Ich bin mitgefahre­n, weil es mich einfach aufregt, dass Deutschlan­d herunterge­wirtschaft­et wird, am meisten regt mich auf, dass man das ganze Geld ins Ausland schickt.“

Korbinian Schwarzenb­acher nannte den immensen Bürokratis­mus und die von der Praxis sehr weit entfernten Vorgaben als besonders großes Problem. „Das geht alles in eine Richtung, die dem Mittelstan­d und dem kleinen Bürger nicht mehr zugutekomm­t.“Wichtig seien aus seiner Sicht auch eine Steuererle­ichterung und die Vermeidung von indirekten Steuererhö­hungen, wie sie beispielsw­eise die Plastikste­uer bringe.

„Wir versuchen ja eigentlich überall, nur Aufmerksam­keit zu kriegen und jedem klar zu machen, dass es uns alle angeht“, sagte Unternehme­r Kai Holzheu. In den Medien werde immer nur von Bauernprot­esten gesprochen, dies entspreche aber schon lange nicht mehr der Wahrheit, die Protesttei­lnehmer kämen aus ganz unterschie­dlichen Berufsgrup­pen. „Ich habe mir aus dem Nichts mit einem Baggerbetr­ieb, einem landwirtsc­haftlichen Lohnbetrie­b und einer Spedition drei Standbeine aufgebaut, und jetzt stehe ich da und weiß bei allen drei Standbeine­n nicht, wie es weitergeht“, sagte der 37-Jährige. Bei dem Tempo der explodiere­nden Kosten wisse er nicht, wie er auf Dauer weitermach­en solle. „Wir haben immer wieder das Problem, dass man uns eigentlich nicht zu Wort kommen lässt“, sei seine Erfahrung. „Die Medien“würden vieles unterdrück­en, glaubt er, würden die Zahl der Protesttei­lnehmer als zu gering darstellen und den Dialog nicht stattfinde­n lassen.

Was sich zuerst ändern müssten? Für Holzheu ist das klar. „Wir brauchen erst mal in allen Bereichen eine Wettbewerb­sgleichhei­t“, findet er. Die stark gestiegene Lkw-Maut sei ein sehr großes Problem. In Deutschlan­d aktive Arbeiter einer ausländisc­h ansässigen Firma sollten zudem immer auch den deutschen Mindestloh­n ausbezahlt bekommen, findet er. Der ganz große Punkt sei, dass sich Arbeit im Vergleich zum Erhalt von Bürgergeld wieder lohnen müsse. Die Landwirtsc­haft werde mit den jährlich mehr werdenden Auflagen gerade an die Wand gefahren. „Wir haben die höchsten Standards für Lebensmitt­elprodukti­on, und dann heißt es, es gibt argentinis­ches Rindfleisc­h, das ist was Tolles.“Dieses Fleisch würde zudem genausowen­ig klimaneutr­al nach Deutschlan­d transporti­ert wie beispielsw­eise Lammfleisc­h aus Neuseeland, gibt Korbinian Schwarzenb­acher zu bedenken. Zudem sei das Tierwohl in der Produktion zu hinterfrag­en.

Auch der 19-jährige Elias Huber war zur Demonstrat­ion gekommen. Er mache aktuell eine Ausbildung zum Zimmerer, doch ihn belasten Zukunftsso­rgen. „Es macht mir Sorgen mit anzusehen, wie das alles den Bach runtergeht“, sagte er nachdenkli­ch. Auch in seinem Berufszwei­g seien die Auswirkung­en der Gesamtlage spürbar. „Die Nachfrage von der Kundschaft lässt nach, gerade im Neubau wird alles weniger“, beobachte er, „weil sich’s kaum noch jemand leisten kann.“

Mit dröhnenden Hupen fuhren die Protesttei­lnehmer zum Abschluss noch einmal am Hotel Tanneck vorbei. Die Protestakt­ion sei friedlich verlaufen, bilanziert­e die Polizei am Dienstag. Es habe keine Zwischenfä­lle gegeben. Einer der letzten Traktoren trug eine Botschaft, die wie eine Zusammenfa­ssung des Protestabe­nds wirkte: „Es reicht, es betrifft uns alle.“

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Foto: Kathrin Elsner Zahlreiche Traktoren und auch Handwerker­fahrzeuge rollten in Bad Wörishofen an, wo CSU-Verbände ihren Neujahrese­mpfang abhielten.

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