Sich beim Fasten Ausnahmen gönnen?
Pro Wer sich schon einmal an einer Diät versucht hat, weiß: Selbst das beste Programm funktioniert erst längerfristig, wenn es die Möglichkeit gibt, eine Ausnahme zu machen. Sich strikt an einen Verzichtsplan zu halten, klappt – beflügelt vom klaren Ziel in weiter Ferne – in den ersten Tagen meist noch wunderbar. Doch sobald sich der Alltag mit seinen Hochs und Tiefs wieder einschleicht, wird es schwierig. Umso wichtiger ist es dann, sich die nötigen Schlupflöcher freizuhalten, um nicht den gesamten Vorsatz aufzugeben. Das heißt, man sollte auch ab und an Ausnahmen machen dürfen.
Nun könnte man argumentieren: Die 40 Tage zwischen Fasching und Ostern sind ja nur eine kurze Zeit des bewussten Verzichts.
Da sollte es doch möglich sein, mal komplett den Süßkram, die Social-MediaApp oder den Alkohol wegzulassen.
Oft wird Fastenzeit aber als Anlass genutzt, um auch nach Ostern die neue Gewohnheit beizubehalten und eine langfristige Veränderung zu schaffen. Wer also zu strikt mit sich selbst war, kann schnell wieder in alte Muster zurückfallen.
Deshalb ist der sanfte Weg die bessere Lösung. Also lieber mal eine Ausnahme machen, feststellen, dass Verzicht doch nicht so einfach ist und menschliche Schwäche zulassen. Dieser umsichtige Umgang mit sich selbst kann eine schöne Erfahrung sein, die auch längerfristig weitaus mehr Nutzen hat als der rigorose Einschnitt für eine kurze Zeit.
Diejenigen, die dabeibleiben, obwohl sie zwischendurch gemogelt haben, haben meinen Respekt. Denn sie haben ein Verhalten etabliert, mit dem sie auch nach den 40 Tagen nicht zurück in ihr altes Muster fallen werden: Die Ausnahme ist nicht das Ende des Vorhabens.
Contra Niemand muss fasten. Und weiter: Niemand muss sich für diese Übung im Weglassen an einen religiösen Kalender halten. Im Christentum dauert die Fastenzeit von Aschermittwoch bis Ostern, eh klar. Die zweite christliche Fastenzeit - nämlich im Advent - oder das generelle Mittwochsund Freitagsfasten spielt hingegen bei den wenigsten eine Rolle. Ramadan ist der Fastenmonat der Muslime, im Judentum wird ebenfalls gefastet. Und auch Menschen, die keiner Religion angehören, haben Bräuche des Verzichtens. Gerade erst haben manche einen “dry january” hinter sich gebracht.
Soll heißen: Es geht beim Fasten nicht um Moses, der 40 Tage lang auf den Berg
Sinai stieg. Der Aufruf lautet vielmehr: Wennschon, dennschon! Wer A sagt, muss auch B… Sie wissen schon. Wer einen Entschluss setzt, sollte ihn auch einhalten.
Eine selbst auferlegte Fastenzeit zu brechen, ist wie beim Computerspielen zu schummeln. Oder sich vorzunehmen, die große Runde zu joggen und dann doch im Wald die Abkürzung zu nehmen. Kann man machen, das Level ist so möglicherweise endlich geschafft und gejoggt ist man ja auch. Es fühlt sich aber einfach nicht so gut an.
2022 waren erstmals weniger als die Hälfte der Bundesbürgerinnen und -bürger Mitglied in einer der Kirchen. Die Gruppe derjenigen, die aus Gottesfurcht fasten, dürfte noch bedeutend kleiner sein. Vielmehr reizt es heutzutage, dem Konsumzwang ein Schnippchen zu schlagen. Wer das Auto stehen lässt, Facebook geschlossen und die Schokolade oder die Bratwurst im Supermarktregal, der entwindet sich ein wenig dem festen Zugriff des Kapitalismus.