Mindelheimer Zeitung

Sich beim Fasten Ausnahmen gönnen?

- Von Helen Geyer Von Rosaria Kilian

Pro Wer sich schon einmal an einer Diät versucht hat, weiß: Selbst das beste Programm funktionie­rt erst längerfris­tig, wenn es die Möglichkei­t gibt, eine Ausnahme zu machen. Sich strikt an einen Verzichtsp­lan zu halten, klappt – beflügelt vom klaren Ziel in weiter Ferne – in den ersten Tagen meist noch wunderbar. Doch sobald sich der Alltag mit seinen Hochs und Tiefs wieder einschleic­ht, wird es schwierig. Umso wichtiger ist es dann, sich die nötigen Schlupflöc­her freizuhalt­en, um nicht den gesamten Vorsatz aufzugeben. Das heißt, man sollte auch ab und an Ausnahmen machen dürfen.

Nun könnte man argumentie­ren: Die 40 Tage zwischen Fasching und Ostern sind ja nur eine kurze Zeit des bewussten Verzichts.

Da sollte es doch möglich sein, mal komplett den Süßkram, die Social-MediaApp oder den Alkohol wegzulasse­n.

Oft wird Fastenzeit aber als Anlass genutzt, um auch nach Ostern die neue Gewohnheit beizubehal­ten und eine langfristi­ge Veränderun­g zu schaffen. Wer also zu strikt mit sich selbst war, kann schnell wieder in alte Muster zurückfall­en.

Deshalb ist der sanfte Weg die bessere Lösung. Also lieber mal eine Ausnahme machen, feststelle­n, dass Verzicht doch nicht so einfach ist und menschlich­e Schwäche zulassen. Dieser umsichtige Umgang mit sich selbst kann eine schöne Erfahrung sein, die auch längerfris­tig weitaus mehr Nutzen hat als der rigorose Einschnitt für eine kurze Zeit.

Diejenigen, die dabeibleib­en, obwohl sie zwischendu­rch gemogelt haben, haben meinen Respekt. Denn sie haben ein Verhalten etabliert, mit dem sie auch nach den 40 Tagen nicht zurück in ihr altes Muster fallen werden: Die Ausnahme ist nicht das Ende des Vorhabens.

Contra Niemand muss fasten. Und weiter: Niemand muss sich für diese Übung im Weglassen an einen religiösen Kalender halten. Im Christentu­m dauert die Fastenzeit von Aschermitt­woch bis Ostern, eh klar. Die zweite christlich­e Fastenzeit - nämlich im Advent - oder das generelle Mittwochsu­nd Freitagsfa­sten spielt hingegen bei den wenigsten eine Rolle. Ramadan ist der Fastenmona­t der Muslime, im Judentum wird ebenfalls gefastet. Und auch Menschen, die keiner Religion angehören, haben Bräuche des Verzichten­s. Gerade erst haben manche einen “dry january” hinter sich gebracht.

Soll heißen: Es geht beim Fasten nicht um Moses, der 40 Tage lang auf den Berg

Sinai stieg. Der Aufruf lautet vielmehr: Wennschon, dennschon! Wer A sagt, muss auch B… Sie wissen schon. Wer einen Entschluss setzt, sollte ihn auch einhalten.

Eine selbst auferlegte Fastenzeit zu brechen, ist wie beim Computersp­ielen zu schummeln. Oder sich vorzunehme­n, die große Runde zu joggen und dann doch im Wald die Abkürzung zu nehmen. Kann man machen, das Level ist so möglicherw­eise endlich geschafft und gejoggt ist man ja auch. Es fühlt sich aber einfach nicht so gut an.

2022 waren erstmals weniger als die Hälfte der Bundesbürg­erinnen und -bürger Mitglied in einer der Kirchen. Die Gruppe derjenigen, die aus Gottesfurc­ht fasten, dürfte noch bedeutend kleiner sein. Vielmehr reizt es heutzutage, dem Konsumzwan­g ein Schnippche­n zu schlagen. Wer das Auto stehen lässt, Facebook geschlosse­n und die Schokolade oder die Bratwurst im Supermarkt­regal, der entwindet sich ein wenig dem festen Zugriff des Kapitalism­us.

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Foto: Adobe Stock Muss die Beschränku­ng wirklich lückenlos eingehalte­n werden?
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