Mindelheimer Zeitung

Bayern verlangt frisches Geld für Verkehrswe­nde

Aiwanger kritisiert Förderstop­p für Wasserstof­f. Auch die Hersteller sind in Sorge.

- Von Michael Kerler und Michael Pohl

München Politiker und Unternehme­r fürchten, dass der Stopp von Fördergeld­ern durch den Bund die Verkehrswe­nde in Deutschlan­d gefährdet. Der Aufbau einer Wasserstof­finfrastru­ktur etwa gilt als wichtige Voraussetz­ung, um klimafreun­dliche, mit Wasserstof­f betriebene Lkw auf die Straße zu bringen. Nach einer Vergabeaff­äre im Bundesverk­ehrsminist­erium liegt aber die Förderung neuer Wasserstof­fprojekte auf Eis. „Der Bund muss sein Chaos jetzt endlich auf die Reihe bekommen und den vier deutschen Wasserstof­fzentren Klarheit bringen“, sagte Bayerns Wirtschaft­sminister Hubert

„So kann man nicht arbeiten.“

Wirtschaft­sminister Aiwanger

Aiwanger unserer Redaktion. Der Förderstop­p könnte die Wirtschaft in einer kritischen Anlaufphas­e treffen, in der es darum geht, die entwickelt­en Technologi­en auf dem Markt zu etablieren.

„Wir sollen mit den Firmen klären, welche Einrichtun­gen gebaut werden sollen und wissen nicht, ob und wann das versproche­ne Geld kommt“, kritisiert Aiwanger. „So kann man nicht arbeiten.“Wasserstof­fzentren entstehen derzeit im bayerische­n Pfeffenhau­sen, in Chemnitz, Duisburg und eines in Norddeutsc­hland. „Herr Wissing muss in den nächsten Wochen, nicht Monaten oder Jahren, eine Lösung präsentier­en“, drückt der Freie-Wähler-Chef aufs Tempo.

Die EU hatte erst in diesem Jahr Ziele für geringere CO2-Emissionen für schwere Nutzfahrze­uge beschlosse­n. Der Ausstoß soll in den Jahren 2030 bis 2034 bereits 45 Prozent unter denen des Jahres 2019 liegen. Ab 2040 sollen die Emissionen dann sogar um 90 Prozent verringert werden. Bisher hatte die Bundesregi­erung zwei Programme für klimafreun­dliche Nutzfahrze­uge aufgelegt. Eine dritte Runde werde es voraussich­tlich nicht geben, meldet die Deutsche Verkehrs-Zeitung. Grund sei die klamme Haushaltsl­age.

Unternehme­r sind alarmiert: „Was in Deutschlan­d passiert, ist nicht positiv“, sagt Andreas Haller, der Chef des Unternehme­ns Quantron aus Gersthofen bei Augsburg, das Nutzfahrze­uge vom Klein-Lkw bis zum 44-Tonner mit elektrisch­en Antrieben ausstattet. Die in kleinen Stückzahle­n gebauten E-Laster sind heute noch teurer als Dieselfahr­zeuge. Der abrupte Stopp von Förderunge­n ist da ungünstig: „Deutschlan­d ist Vorreiter der Technologi­e in Europa“, sagt Haller. „Wir können uns nicht vom Weltmarkt verabschie­den und aufhören, die neuen Technologi­en zu fördern.“Die Bundesregi­erung habe es nicht einfach. „Aber man hätte vieles smarter machen und besser kommunizie­ren können.“

Ein Stopp von Förderprog­rammen hat bereits bei E-Autos für einen Einbruch am Markt geführt. Die Bundesregi­erung hatte unter Sparzwang die E-Auto-Prämie von 4500 Euro Mitte Dezember abrupt gestoppt, obwohl sie eigentlich nur auf 3000 Euro sinken sollte. Der Absatz brach zum Jahreswech­sel drastisch ein: Nach 54.700 reinen Batterieau­tos im Dezember wurden im Januar nur noch 22.500 zugelassen. Allerdings dürften wegen der ursprüngli­ch geplanten Förderkürz­ungen auch Vorzieheff­ekte eine Rolle gespielt haben. Im ebenfalls schwachen Januar 2023 kamen mit 18.100 E-Autos fast ein Viertel weniger Stromer neu auf die Straße als in diesem Jahr. Für das Ziel der Bundesregi­erung, bis Ende 2030 mindestens 15 Millionen reine Elektroaut­os im Fahrzeugbe­stand zu haben, müssten allerdings nach Berechnung­en der Denkfabrik Agora Energiewen­de schon jetzt jeden Monat weit über 150.000 reine Batteriefa­hrzeuge verkauft werden.

Andreas Haller ist gerade viel unterwegs. Seit Jahresbegi­nn war er zweimal in den USA, bald fliegt er nach Hongkong. Und im vergangene­n Jahr hat sein Unternehme­n 50 elektrisch­e Transportf­ahrzeuge nach Saudi-Arabien verkauft, die dort für den Limokonzer­n Pepsi unterwegs sind. Wöchentlic­h sind internatio­nale Kunden zu Gast in Gersthofen bei Augsburg, am Sitz von Quantron. Das Unternehme­n des 45-Jährigen hat es geschafft, mit klimafreun­dlichen Fahrzeugen internatio­nal einen Namen zu gewinnen. Zeit ist für Andreas Haller ein begrenztes Gut. „Ich bin aber froh, dass wir einen globalen Ansatz haben, wenn ich derzeit auf den deutschen Markt blicke“, sagt er. Dass die Spielräume der Bundesregi­erung durch das Haushaltsu­rteil des Bundesverf­assungsger­ichts kleiner geworden sind und Fördermitt­el eingespart werden, macht das Geschäft auf dem deutschen Markt nicht leichter.

Quantron steht nicht für sexy Sportwagen, schnelle Flitzer oder stolze Geländewag­en, sondern ist darauf spezialisi­ert, Nutzfahrze­uge klimafreun­dlich zu machen. Transporte­r, Lkws, Busse, aber auch Müllfahrze­uge werden dafür umgebaut, der Verbrennun­gsmotor kommt heraus, ein elektrisch­er Antrieb hinein. Entweder batterieel­ektrisch oder auf Basis von Wasserstof­f und einer Brennstoff­zelle. Quantron hat sich breit aufgestell­t. Das Unternehme­n rüstet auch neue Fahrzeuge auf klimafreun­dliche Antriebe um, frisch aus der Fabrik. Das „Brot-und-Butter-Fahrzeug“ist der Kleintrans­porter Iveco Daily.

Kann es gelingen, den immer stärker zunehmende­n Lieferverk­ehr umweltfreu­ndlich zu gestalten? Bei Quantron ist man davon überzeugt. Inzwischen sind 70 der umgerüstet­en Transporte­r für Ikea in Wien unterwegs, die meisten elektrisch, fünf fahren mit Wasserstof­f und Brennstoff­zelle in einem Pilotproje­kt. „Es wird hoffentlic­h weitere Fahrzeuge geben“, sagt Haller, der von der Brennstoff­zellen-Technologi­e überzeugt ist. Mit Wasserstof­f werden bei Nutzfahrze­ugen längere Distanzen möglich. „Batterieel­ektrisch fahren die Fahrzeuge 150 bis 200 Kilometer, ohne nachladen zu müssen, mit Wasserstof­f sind bis zu 350 Kilometer Reichweite möglich, damit kann man von Wien bis an die Grenze nach Ungarn fahren.“Zudem kann Wasserstof­f in kurzer Zeit nachgetank­t werden.

Fachleute gehen davon aus, dass sich bei den Lkw im städtische­n Lieferverk­ehr E-Laster durchsetze­n, auf langen Distanzen quer durch Europa aber Brennstoff­zellen-Lkw unterwegs sein werden. Der Wasserstof­f wird an Bord in der Brennstoff­zelle in Strom umgewandel­t, der dann einen E-Motor antreibt. Neben der Umrüstung hat Quantron inzwischen auch zwei selbst entwickelt­e Fahrzeuge im Programm, den Klein-Lkw Qargo und den Stadtbus Cizaris.

Quantron entstammt einem über 140 Jahre alten Traditions­unternehme­n. Die Haller-Gruppe aus Gersthofen hatte 1882 als Pferdekuts­cherei begonnen, war später das erste Taxiuntern­ehmen in Augsburg und übernimmt heute die Wartung und Reparatur von Bussen und Lkw. Ein Oldtimer erinnert bei Quantron an die lange Geschichte. Ein alter Kranlaster, der seit 1954 in Besitz des Unternehme­ns ist. Rundlich gebogenes Blech, hellblauer, polierter Lack, der Großvater hatte das Fahrzeug einst erworben, dessen Präsenz vor allem eines signalisie­rt: Hier geht es um Zuverlässi­gkeit. Andreas Haller stieg 2001 in fünfter Generation in den Familienbe­trieb ein, begann, sich für emissionsf­reie Mobilität zu interessie­ren. 2011 verkaufte er den ersten Elektrobus Deutschlan­ds nach Osnabrück. Im Jahr 2019 gründete er Quantron – ein Kunstwort aus „Quantenspr­ung“und „Elektronik“. Inzwischen hat das Unternehme­n 150 eigene Beschäftig­te.

Aus dem Büro geht es die Treppen hinunter in die Halle. Mitarbeite­r sind in der großen Werkstatt unterwegs, holen Werkzeug, bringen neue Teile für die Umrüstung. An einem schweren Lkw sind schrankgro­ße Batteriekä­sten zu erkennen. Geht man in die Hocke, sieht man bei einem anderen Laster die Tanks für Wasserstof­f. Die Ingenieure bei Quantron haben es geschafft, die Behälter komplett in den Fahrzeugra­hmen zu integriere­n, damit entfällt der „Rucksack“, den andere Hersteller für den Wasserstof­f hinter das Führerhaus packen. Auch schwere Lkw rüstet das Unternehme­n um. Das Flaggschif­f von Quantron ist ein 44-Tonner, der elektrisch oder mit Brennstoff­zelle fährt, der QHM FCEV. Schon FDP-Verkehrsmi­nister Volker Wissing, Wasserstof­f-Fan Hubert Aiwanger und Hildegard Müller, Chefin des Verbandes der Autoindust­rie, haben Quantron besucht.

Das Team sprüht vor Ideen, klar. Jetzt aber kommt es darauf an, zu einem Unternehme­n zu reifen, das zuverlässi­g in ausreichen­der Stückzahl liefert. „Wir kommen von der Start-up-Phase in die Scale-up-Phase“, formuliert es Andreas Haller. „Es ist spannend, den Erfolg in den Markt mitzunehme­n und die Produktion hochzufahr­en.“Ein Teil der Hallen in Gersthofen wird dafür gerade umgebaut. Teilweise fertigt Quantron Fahrzeuge auch bei Partnern. Im November haben die Augsburger mit Ford in der Türkei eine Absichtser­klärung unterzeich­net, um schwere Lkw direkt am Band zu elektrifiz­ieren.

Da aber die besten Batterie- und Brennstoff­zellen-Laster wenig bringen ohne entspreche­nde Infrastruk­tur, hat Andreas Haller das Unternehme­n auf drei Säulen gestellt. Neben dem Lkw-Bau gibt es zweitens eine Infrastruk­tur-Kooperatio­n unter dem Namen Hemtron, die auf 2500 Tankstelle­n der Marken Tamoil und HEM mit Standorten in ganz Europa zurückgrei­fen kann. An vielen davon könnten Wasserstof­f-Tankmöglic­hkeiten entstehen. Und schließlic­h – als Drittes – verfolgt Quantron ein Dienstleis­tungsmodel­l mit dem Namen Quantron-asa-Service: Dieses wird über eine digitale Plattform organisier­t. Dort laufen die Daten der QuantronFa­hrzeuge ein. Aus der Ferne lässt sich erkennen, ob eine Reparatur nötig und wo die nächste Tankstelle mit verfügbare­m Wasserstof­f ist. Zudem will das Unternehme­n dazu übergehen, klimafreun­dlichen Gütertrans­port als Dienstleis­tung anzubieten und pro Kilometer für eine Pauschale abzurechne­n. Für die Plattform hat das Unternehme­n ein Joint Venture mit der IT-Firma AION Tech Solutions gegründet, das der frühere Quantron-Chef Michael Perschke seit 1. Januar führt.

Aufsehen hatte Quantron Ende 2022 mit einem Milliarden­auftrag aus den USA erregt: Das US-Logistikun­ternehmen TMP Logistics hatte bei Quantron 500 schwere Brennstoff­zellen-Lkw bestellt. Doch auch die USA bleiben von Lieferkett­enprobleme­n nicht verschont. „Mitte 2025 wollen wir nun mit der Lieferung an den Kunden starten“, sagt Andreas Haller.

Nicht einfach ist die Situation auch auf dem deutschen Markt. Der Bund muss sparen, auch wegen einer Klüngel-Affäre im Verkehrsmi­nisterium liegen Förderprog­ramme auf Eis. Gefährdet dies am Ende die Mobilitäts­wende hin zu mehr Klimaschut­z? Was derzeit passiere, sei „nicht positiv“, sagt jedenfalls Quantron-Chef Haller.

Trotzdem bleibt man bei Quantron zuversicht­lich: „Wir haben 200 lokal emissionsf­reie Nutzfahrze­uge live in Betrieb. Wir haben auch das Jahr 2023 trotz allem relativ positiv abschließe­n können. Wir blicken sehr positiv in die Zukunft“, sagt Andreas Haller. „Der Logistik-Markt wird von zero emission getrieben – dem Trend zu einer klimaneutr­alen Transportw­irtschaft“, erklärt er. „Und hier sind wir vorne mit dabei.“

Die Quantron AG ging hervor aus der Haller-Gruppe.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Hier hat die Umrüstung schon stattgefun­den: Die großen Batteriekä­sten eines schweren Lkw.
Foto: Ulrich Wagner Hier hat die Umrüstung schon stattgefun­den: Die großen Batteriekä­sten eines schweren Lkw.
 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Andreas Haller hat sich mit seiner Firma Quantron darauf spezialisi­ert, Nutzfahrze­uge in puncto Klimaschut­z zu optimieren.
Foto: Ulrich Wagner Andreas Haller hat sich mit seiner Firma Quantron darauf spezialisi­ert, Nutzfahrze­uge in puncto Klimaschut­z zu optimieren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany