Mindelheimer Zeitung

„Das mit Tuchel und dem FC Bayern war ein einziges Missverstä­ndnis“

Lothar Matthäus empfiehlt dem deutschen Rekordmeis­ter, Xabi Alonso als neuen Trainer zu holen. Die Vereinsfüh­rung der Münchner sieht er kritisch – aber spricht auch mal über anderes als Fußball: sein Privatlebe­n zum Beispiel.

- Interview: Florian Eisele

Herr Matthäus, Sie sind nicht nur TV-Experte, sondern auch Investor. Mit zwei Geschäftsp­artnern haben Sie vergangene­s Jahr den ghanaische­n Fußballver­ein Accra Lions gekauft. Wie läuft es seither?

Lothar Matthäus: Wir sind sehr zufrieden. Es geht uns vor allem um die Entwicklun­g der Spieler. Wir haben nicht das Geld, um Meister zu werden, aber viele junge Talente im Kader und haben das Projekt ein wenig im Stil von Red Bull Salzburg aufgezogen: Es gibt eine Akademie und eine erste Mannschaft. Vor Kurzem war ein Spieler beim FC Chelsea im Probetrain­ing, das ist ein großer Erfolg für uns.

Der Einstieg eines Investoren in die DFL hat große Wellen geschlagen, nach den Protesten der Fans sagte die DFL das Projekt ab. Ist das besser so?

Matthäus: Besser würde ich nicht sagen. Denn im Endeffekt ist es eine Niederlage für den modernen Fußball. Aber viele Vereine haben sich dem Druck der Fankurve gebeugt.

Der FC Bayern steht vor seiner ersten titellosen Saison seit zwölf Jahren …

Matthäus: Dass es mal ein Jahr ohne Titel gibt – das ist auch schon anderen großen Vereinen passiert. Was mich stört: Der FC Bayern präsentier­t sich nicht mehr als Einheit. Die Mannschaft lebt nicht. Und das Gefühl, die Kultur des Vereins sind verloren gegangen. Und das ist viel schlimmer als eine Saison ohne Titel. In den letzten Jahren sind viele Spieler geholt worden, die in ihren vorherigen Klubs funktionie­rt haben. Aber teilweise waren das doch mittelmäßi­ge Spieler, Ergänzungs­spieler. Wenn ich mir alleine die Einkaufspo­litik der letzten Jahre ansehe: Wie viel Geld ausgegeben wurde! Es hat nicht den Anschein, dass die neuen Spieler diese Bayern-DNA verinnerli­cht haben. Dazu kommt: Die etablierte­n Führungssp­ieler wie Kimmich, Goretzka, Neuer und Müller hatten zuletzt allesamt Probleme.

Was sagen Sie zum Aus von Thomas Tuchel?

Matthäus: Ich glaube, dass es eine logische Konsequenz ist aufgrund der Ergebnisse der letzten zwölf Monate. Sowohl die Atmosphäre als auch die Ergebnisse haben nie gestimmt. Und jetzt hat man gemerkt:

Das mit Tuchel und dem FC Bayern war ein einziges Missverstä­ndnis. Tuchel ist nie beim FC Bayern angekommen – nicht bei den Fans, nicht bei den Spielern, teilweise auch nicht mit den Resultaten. Daran ändert jetzt auch der Sieg gegen RB Leipzig nichts mehr.

Woran liegt es, dass der FC Bayern in der Krise steckt?

Matthäus: In vielen Teilen des Vereins fehlt das, was den FC Bayern auch immer ausgemacht hat: Führungskr­äfte, die auch aus dem Fußball kommen. Es braucht hier Leute, die nicht nur auf Bilanzen gucken, sondern sich auch im Sport auskennen. Bayern München ist keine Bank! Wenn ich sehe, wer da in der Führung sitzt: Das sind alles Leute, die erfolgreic­h gearbeitet haben – aber die nicht aus dem Fußball kommen. Die lieben alle den Fußball, aber sie sind eben nicht Hoeneß, Rummenigge oder Beckenbaue­r. Wo sind die Leute beim FC Bayern, die das Geschäft auf dem Rasen kennen, den Stallgeruc­h haben? Auch Leverkusen setzt im Management doch mit Simon Rolfes auf eine Figur, die als Kapitän Vereinsges­chichte geschriebe­n hat. Du blickst als Spieler anders auf solche Personen, das ist einfach so. Und sie wissen, wie wichtig es ist, dass alle in dieselbe Richtung wollen.

Warum ist dieser Stallgeruc­h der Vereinsfüh­rung denn so wichtig?

Matthäus: Nach dem Spiel bei Lazio Rom habe ich ein Foto des versammelt­en Vorstands gesehen: Es war ein Tisch voll mit erfolgreic­hen Leuten, aber keiner von ihnen hat Fußball gespielt. Es sind reine Fußballfan­s. Aber Vereine leben von Geschichte­n und bekannten Gesichtern. Beim Vorstand kommen Jan-Christian Dreesen, Michael Diederich, Andreas Jung aus dem Finanzsekt­or, Präsident Herbert Hainer aus der Wirtschaft. Wenn einer aus dieser Riege aufsteht und eine Rede hält: Glauben Sie, dass der die Spieler erreicht? Wer steht dann da auf? Ich weiß, wie es war, wenn Franz Beckenbaue­r nach einer Niederlage von der Uwe-Seeler-Traditions­mannschaft losgepolte­rt hat! Da bist du selbst als Nationalsp­ieler strammgest­anden. Und das meine ich: Das ist die Kraft von FC Bayern München! Jetzt soll alles fein und nett sein – aber Bayern München ist nicht fein und nett, sondern da poltert es auch mal, da wird es auch mal laut, das gehört dazu.

Jetzt ist das Ende von Tuchel besiegelt – muss Bayern jetzt Xabi Alonso holen?

Matthäus: Wenn Xabi Alonso zu haben ist, dann hat man die Pflicht, ihn zum FC Bayern zu holen. Aber bei ihm gibt es das Problem, dass er nicht nur beim FC Bayern, sondern auch beim FC Liverpool ganz oben auf der Liste steht. Und dann sagt er sich vielleicht auch: Warum sollte ich jetzt nach München oder nach Liverpool gehen, wenn ich bei Bayer Leverkusen eine Erfolgsges­chichte

weiterschr­eiben kann? Dann könnte er immer noch zu Real Madrid gehen – und da will er unbedingt hin. Real ist sein ganz großer Traum, das darf man nicht vergessen.

Die EM 2024 steht vor der Tür – und zuletzt sorgten die Auftritte der Nationalma­nnschaft nicht gerade für Euphorie. Was muss sich ändern, damit es eine gute EM wird?

Matthäus: Es ist schon etwas Negatives, dass der FC Bayern nicht funktionie­rt. Denn immer, wenn der FC Bayern performt, hat die Nationalma­nnschaft Titel geholt. Julian Nagelsmann hat eine ähnliche Aufgabe wie Thomas Tuchel vor sich: Er muss die ersten 17 Spieler finden, denen er vertraut, das sind die wichtigste­n. Denen musst du voll Vertrauen schenken und die müssen wissen, dass der Trainer hinter ihnen steht.

Das heißt: Die Zeit der Experiment­e muss endgültig vorbei sein?

Matthäus: Die hätte schon bei Hansi Flick vorbei sein müssen, das war sein größter Fehler. Man kennt die Spieler doch im Grunde in- und auswendig, aus den Ligen und der Nationalel­f.

Wie bewerten Sie die Rückkehr von Toni Kroos?

Matthäus: Ich finde, dass Toni Kroos das ganz alleine zu entscheide­n hat. Er hat es getan aufgrund des Vertrauens des Bundestrai­ners und des Vertrauens zu sich selbst. Er spielt ja auch immer noch überragend. Kroos steht für große Erfahrung, Selbstvert­rauen und Persönlich­keit. Genau das könnte der Mannschaft bei der EM helfen. Er hat sich auch seinen Rücktritt aus der Nationalma­nnschaft damals gut überlegt nach zwei enttäusche­nden Turnieren in Folge, das Ende beim DFB dürfte ihm aber nicht gefallen haben. Jetzt hat er die Chance, diese Karriere mit einem guten Ergebnis abzuschlie­ßen.

Glauben Sie, dass Julian Nagelsmann über den Sommer hinaus Bundestrai­ner bleibt?

Matthäus: Nein. Ich glaube, dass Julian bei dieser Europameis­terschaft alles rausholt aus der Mannschaft, was rauszuhole­n ist. Und dann wird er mit seinen 36 Jahren wieder Lust haben, voll ins Tagesgesch­äft einzusteig­en und nicht nur alle zwei Monate zwei Länderspie­le zu haben.

Und wer sollte dann auf ihn folgen?

Matthäus: Ich gehe davon aus, dass Jürgen Klopp für viele der Wunschkand­idat wäre. Und dafür sollte man eine Lösung finden. Er will ja Pause machen nach dieser anstrengen­den Zeit in Liverpool. Aber ich glaube: Aus einem Jahr kann man auch sieben Monate Pause machen. Dann könnte Klopp zum 1. Januar 2025 einsteigen und man greift bis dahin auf die Leute zurück, die auch Rudi Völler unterstütz­t haben: Sandro Wagner und Hannes Wolf zum Beispiel. Im Grunde ist es doch das, was sich alle wünschen – und dann sollte man das auch möglich machen.

Sie haben Ihre Trainerkar­riere beendet. Aber würden Sie diesen Entschluss rückgängig machen, wenn das richtige Angebot käme – zum Beispiel eines vom DFB?

Matthäus: Nein, absolut nicht. Ich habe meinen Job, ich habe mein Leben und meine Freizeit und ich bin zufrieden damit.

Und Sie haben einen zehnjährig­en Sohn, um den Sie sich kümmern können.

Matthäus: Das genieße ich sehr. Ich bin nach wie vor am Fußball dran, aber ich kann meine Zeit nun selbst bestimmen.

Sie haben vier Kinder, sind zum fünften Mal verheirate­t, bemühen sich aber um einen guten Kontakt zu allen Kindern. Ihr jüngster Sohn Milan ist zehn Jahre alt. Wie aufwendig ist das Leben in einer Patchwork-Familie?

„Toni Kroos steht für Erfahrung, Selbstvert­rauen und Persönlich­keit. Genau das könnte der Mannschaft bei der EM helfen.“

Matthäus: Gar nicht. Wir wohnen in München, ich habe zwei Töchter, die in der Nähe wohnen – also in München und Salzburg – und einen Sohn, der in der Schweiz lebt. Der Kontakt ist da, und jeder hält es so, wie er will. Meine anderen drei Kinder sind allesamt schon über 30 und erwachsen, da muss man sich auch nicht mehr jede Woche sehen. Aber wir haben regelmäßig Kontakt.

Hat eigentlich eines Ihrer Kinder ein Talent für den Fußball mitgebrach­t?

Matthaus: Nur mein Jüngster! Milan ist auf dem Weg zum eisenharte­n Verteidige­r und ist wirklich talentiert. Aber das wird erst in zehn Jahren zum Tragen kommen.

In Deutschlan­d war Ihre Wahrnehmun­g lange Zeit zwiegespal­ten, Sie wurden teilweise auf Verspreche­r wie „Wäre, wäre Fahrradket­te“reduziert. Können Sie darüber schmunzeln?

Matthäus: Da schmunzel ich drüber. Es war ja auch nicht mein einziger Verspreche­r. Bei manchen Spielernam­en habe ich mich ja auch schwergeta­n. Wenn dann Häme kommt: Mein Gott, dann ist es so. Vor 20, 30 Jahren habe ich mich da schon drüber geärgert, aber das gehört zu Liveberich­ten dazu. So ist das Leben.

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Foto: Sven Hoppe, dpa Vier Kinder und zum fünften Mal verheirate­t: Rekordnati­onalspiele­r und TV-Experte Lothar Matthäus lebt in einem Patchwork.

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