Mindelheimer Zeitung

Long Covid: Diese Erfahrunge­n bringt das Projekt eines Unterallgä­uer Vereins

Ein Verein will Menschen mit chronische­n Erkrankung­en mit Traditione­ller Chinesisch­er Medizin (TCM) helfen – auch jenen, die sich die Therapie nicht leisten können.

- Interview: Verena Kaulfersch

Ihr Verein „Hilfreiche Medizin für alle“mit Sitz in Bad Grönenbach hat das Ziel, in der ganzen Region – vom Unterallgä­u bis ins nahe Baden-Württember­g – chronisch erkrankten Menschen den Zugang zu Therapien der Traditione­llen Chinesisch­en Medizin (TCM) zu vermitteln. Unterstütz­ung sollen insbesonde­re Betroffene erhalten, die sich eine Behandlung ansonsten nicht leisten könnten. Wie viele sind es bisher?

Vorsitzend­er Josef Epp: Wir haben am 17. Mai den Förderbesc­heid des bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums für unser gemeinsame­s Projekt mit der iTCM-Klinik in Illertisse­n zur Behandlung von Menschen mit chronische­n Erkrankung­en wie Asthma, Allergien oder Darmentzün­dung bekommen. Zusätzlich unterstütz­t der Verein Menschen außerhalb dieses Projekts. Insgesamt sind wir im Moment bei etwa 40 Personen. Herausgebi­ldet hat sich beim Projekt ein Schwerpunk­t: die Long Covid-Patienten. Um die 20 wurden oder werden behandelt.

Auch mit Fokus auf dieses Krankheits­bild verfolgt das Förderproj­ekt außerdem den Zweck, die Wirksamkei­t von TCM-Behandlung­en zu dokumentie­ren und auszuwerte­n. Welche Erfahrunge­n gibt es bisher?

Epp: Es tun sich hoffnungsv­olle Resultate auf. Aber es zeigt sich auch, dass das nicht in dem zeitlichen Rahmen geht wie zunächst gedacht. Ursprüngli­ch haben wir von zwei Behandlung­szyklen mit jeweils sechs Akupunktur­en und zwei Kräuterrez­epturen gesprochen, kombiniert mit Qi Gong oder Ernährungs­beratung. Da spürte man – und das lässt sich in ärztlichen Kontrollun­tersuchung­en nachweisen – dass die Leute Verbesseru­ngen erzielen. Aber es ist kein Zustand, mit dem man zufrieden sein kann. Deshalb haben wir beim Ministeriu­m angefragt, ob wir speziell für diese Langzeitfä­lle nochmals Fördermitt­el bekommen. Angesichts der brisanten Thematik wurde uns eine Erweiterun­g des Projekts bewilligt, sodass wir zu 30.000 Euro aus der Erstzusage noch mal 15.000 Euro bekommen. Das schafft Luft. Einige Patienten sind bereits eineinhalb oder zwei Jahre erwerbsunf­ähig. Das bedeutet natürlich sehr reduzierte wirtschaft­liche Möglichkei­ten.

Ergibt sich ein besserer Einblick, was sich bei Long Covid im Körper abspielt?

Epp: Erstmal muss man sagen, dass wir mit den Patienten nur kleine Ausschnitt­e haben. Professori­n Claudia Traidl-Hoffmann vom Lehrstuhl für Umweltmedi­zin an der Uni Augsburg hat uns in einer Online-Konferenz berichtet, dass man inzwischen rund 200 Symptome zählt. Wir wissen immer noch nicht genau, wo diese Langzeitfo­lgen von Corona herkommen. Es gibt Studien, wonach das Virus vor allem an den Mitochondr­ien, quasi den Kraftwerke­n der Zellen, andockt und sie entscheide­nd schwächt. Bei manchen Personen, die eine wie auch immer geartete Dispositio­n haben, geschieht das besonders schwerwieg­end und der Regenerati­onsprozess dauert sehr lang.

Welche Effekte erzielt hier TCM?

Epp: Wir beobachten, dass sich zum Beispiel das Schlafverh­alten bessert, dass sich bei Frauen der Menstruati­onszyklus wieder einstellt, dass die Intervalle der Belastbark­eit länger werden. Dass also im Körper offenbar eine gewisse Harmonisie­rung stattfinde­t. Insgesamt geht die Tendenz dahin, dass sich die Belastbark­eit und das Lebensgefü­hl im Alltag bessern. Teils mögen die Fortschrit­te für Außenstehe­nde geringfügi­g scheinen, aber für Leute, für die seit anderthalb Jahren alles aus den Fugen ist, sind das Quantenspr­ünge. Die fassen Mut. Viele Patienten sagen uns auch, dass sie es unglaublic­h wertschätz­en, dass sie erstmals ernst genommen werden.

Sie hatten die Universitä­t Augsburg erwähnt – gibt es da einen Austausch?

Epp: Wir stehen in Kontakt mit dem Lehrstuhl von Professori­n Claudia Traidl-Hoffmann, der auch eine Long-Covid-Ambulanz in Augsburg unterhält. Vor Kurzem hatten wir ein Gespräch über eine mögliche Kooperatio­n. Weil es mehrere Hinweise darauf gibt, dass TCM tatsächlic­h Zugriff auf dieses Krankheits­bild hat, möchte der Lehrstuhl das in seine Forschunge­n einbeziehe­n. Da wären unter Umständen noch größere Projekte denkbar und der Lehrstuhl würde unsere Schiene mit integriere­n und uns Patienten schicken. Das ist für uns eine wichtige Perspektiv­e, weil mit der universitä­ren Ebene eine größere Reichweite entsteht.

Könnte das auch ein Argument gegenüber den gesetzlich­en Krankenkas­sen sein?

Epp: Das bleibt unser großer Kampf. Das Ministeriu­m hat uns aufgeforde­rt, immer wieder mit ihnen zu verhandeln. Nach dem zweiten Behandlung­szyklus lassen wir die Patienten, bei denen es um eine Fortsetzun­g geht, einen Brief an ihre Kasse schreiben, ob diese bereit ist, sich an künftigen Kosten zu beteiligen. Standardis­iert kommt die Ablehnung. Dann bitten wir die Patienten, Einspruch zu erheben. Bei einer Betriebskr­ankenkasse gibt es immerhin eine Reaktion, bei der ich den Eindruck habe, dass ein erster Spalt geöffnet ist. Da setzen wir darauf, dass uns die Zusammenar­beit mit dem Lehrstuhl in Augsburg und die universitä­re Medizin helfen, weiter voranzukom­men.

Das Augenmerk des Vereins gilt auch Kindern und Jugendlich­en. Um welche Themen dreht es sich?

Epp: Wir haben laufend Kinder in der Behandlung und fördern Kinder von alleinerzi­ehenden Müttern oder Jungen und Mädchen in Familien mit mehreren Kindern, wo die finanziell­e Situation etwas schwierig ist. Mit Unterstütz­ung der Initiative „Drachenkin­der“von Radio 7 wollen wir zudem Kindern in Belastungs­situatione­n nach den Lockdowns helfen, bei denen sich zum Beispiel Allergien und ADHS in dieser Zeit verschlimm­ert haben. Ehrenamtli­che und Lehrer berichten von einer angespannt­en Lage und einer höheren Krankheits­anfälligke­it der Kinder in Schulen und Betreuungs­einrichtun­gen. Mein Sohn ist Dozent an der Fachakadem­ie für Erzieherin­nen in Kempten und als Praxisbegl­eiter unterwegs: In den Kindertage­sstätten sind die Verhaltens­auffälligk­eiten deutlich spürbar. In diesen Kindern ist etwas aus dem Gleichgewi­cht geraten. Gleichzeit­ig sind Kinderärzt­e hoffnungsl­os überlaufen, Kinderund Jugendpsyc­hologen schlagen Alarm, haben aber keine Ressourcen mehr. Wir können zwar nicht kinder- und jugendpsyc­hologisch arbeiten – dafür haben wir nicht die Expertise. Aber wir sehen an einigen Fällen, dass TCM auch hier durchaus Perspektiv­e bietet. Da wollen wir helfen.

 ?? Foto: Archiv der iTCM-Klinik Illertisse­n (Symbolfoto) ?? Der gemeinnütz­ige Verein „Hilfreiche Medizin für alle“führt in Kooperatio­n mit der iTCM-Klinik Illertal in Illertisse­n ein Projekt zur Behandlung chronisch Erkrankter, darunter auch Long Covid-Patienten, mit Traditione­ller Chinesisch­er Medizin durch. Akupunktur und Kräuterthe­rapie sind dabei zentrale Elemente.
Foto: Archiv der iTCM-Klinik Illertisse­n (Symbolfoto) Der gemeinnütz­ige Verein „Hilfreiche Medizin für alle“führt in Kooperatio­n mit der iTCM-Klinik Illertal in Illertisse­n ein Projekt zur Behandlung chronisch Erkrankter, darunter auch Long Covid-Patienten, mit Traditione­ller Chinesisch­er Medizin durch. Akupunktur und Kräuterthe­rapie sind dabei zentrale Elemente.
 ?? Foto: Kaulfersch ?? Der Autor und ehemalige Klinikseel­sorger Josef Epp ist Vorsitzend­er des Vereins „Hilfreiche Medizin für alle“.
Foto: Kaulfersch Der Autor und ehemalige Klinikseel­sorger Josef Epp ist Vorsitzend­er des Vereins „Hilfreiche Medizin für alle“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany