Gefängnispsychologe schreibt Romane
Der Memminger JVA-Psychologe Maximilian Glaser schreibt unter einem Pseudonym Fantasy-Romane. Wie ihm das auch durch Krisenzeiten half.
Memmingen Die Heldenreise beginnt an einem Tiefpunkt: Maximilian Glaser fühlt sich wertlos, ganz unten. Nach seiner Ausbildung im Einzelhandel wird er nicht übernommen, die Jobsuche bringt keinen Erfolg. Weil er nichts mit sich anzufangen weiß, ist er tage- und nächtelang auf der Straße unterwegs, rutscht in die Punker-Szene ab. Passanten spucken ihn an.
„Ich hab’ mich verloren gefühlt“, erzählt der heute 39-Jährige. Damals erfindet er einen Gefährten, bei dem er all das loswerden kann. Es ist die Geburtsstunde von „Krayac“, der Glasers Lebensweg 20 Jahre lang begleiten wird: als Hauptfigur seiner Romantrilogie „Die Meuchelmörder Chroniken“.
„Das ist wie ein innerlicher Freund, zu dem du flüchten kannst“, sagt Glaser. Den braucht er seinerzeit: Er hat einen Hauptschulabschluss ohne Quali, ist arbeitslos, sieht sich am Rand der Gesellschaft und ohne Perspektiven. Ein Teil von ihm glaubt denen, die sagen: „Bleib in deinem Eck, betrink’ dich. Aus dir wird eh nichts.“Etwas anderes in ihm wehrt sich.
Glaser, der bereits als Kind schreiben wollte, schickt „Krayac“auf die Reise: einen jungen Mann, aufgewachsen im Elendsviertel einer Stadt, in der eine Mauer Arm und Reich trennt. Sie bringt mit „Krayac“eine verzweifelte, dunkle Figur hervor. Hass und Rachedurst treiben diesen Ausgestoßenen. Nach einem verlorenen Krieg als Deserteur gebrandmarkt, schließt er sich einer Gilde von Meuchelmördern an.
Im rauen, oft feindlichen Umfeld einer mittelalterlichen Fantasy-Welt muss er sich behaupten, er kämpft gegen Widersacher und um seinen Platz – auch, indem er mordet. Doch er entwickelt sich – ebenso wie sein Autor, der sich den Namen Max Varûn gibt. Gleich seiner Figur schlägt er einen Weg voller Bewährungsproben, Rückschläge und hinein ins Unbekannte ein. „Ich wusste damals nicht, dass das, was ich gemacht habe, eigentlich eine psychologische Behandlungsform ist“, sagt er rückblickend und spricht über therapeutisches Schreiben.
„Das muss kein Roman sein, es können auch Zeilen für einen Song oder ein Raptext sein“: Durchzuatmen und hineinzutauchen hilft, Stress oder Krisen zu bewältigen und sich selbst zu stärken. Für Glaser ist es schlicht eine Leidenschaft, die viel damit zu tun hat, wer er heute ist: Psychologe in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Memmingen, Romanautor und Familienvater.
Davor macht er üble Erfahrungen – wie Schikanen, denen er als Hilfesuchender im Jobcenter ausgesetzt ist. Bei Prüfungen steht er kurz vor dem Scheitern: Glaser ergreift die Chance, auch ohne Abitur ein Probe-Studium der Psychologie anzugehen. Übersteht er diese Phase, darf er weitermachen. „Da ging nach der Einschreibung die Party richtig los: Du hast kein Geld mehr, die Miete ist fällig und am Anfang hält dich nur das BAföG über Wasser.“
Später tun das mehrere Jobs, Glaser arbeitet nachts in Clubs und nutzt Pausen zum Lernen. Ebenso Zugfahrten und nahezu jede freie Minute. Trotzdem: In den ersten drei Prüfungen fällt er durch. Die komplexe Mathematik bleibt ein Buch mit sieben Siegeln. Erst die letzte Prüfung bringt den Wendepunkt – dass Glaser sie meistert, liegt nicht zuletzt an einer Person: „Meine Frau ist Wirtschaftsmathematikerin. Sie hat mich damals gerettet.“
Mit Bachelor und Master in der Tasche will er in einem sozialen Beruf etwas aus diesem Wissen und seinen Erfahrungen machen, „Jugendliche aus demselben Sumpf holen, in dem ich selber war“. Was folgt, ist Ernüchterung: „Ich bin ausgebeutet worden, wie es nur ging.“Weitere berufliche Stationen zeigen ihm, dass Studium und akademischer Grad ihn nicht davor bewahren, bezahlt zu werden „wie eine Hilfskraft“.
Am meisten trifft Glaser die fehlende Wertschätzung angesichts dessen, was er erreicht und überwunden hat. Gerade das und die Tatsache, dass er mit dem Klischee-Bild eines Beamten nichts gemein hat, geben ihm nach dem Wechsel zum Staat das Gefühl, dort richtig zu sein – auch wenn er als Psychologe in der Abschiebehaft und später in der JVA mit krassen Eindrücken konfrontiert wird: „Leute, die am Ausrasten sind. Oder blutüberströmt. Und wenn du hörst, was Gefangene alles gemacht haben, musst du damit erst mal fertig werden.“
Auch dabei hilft das Schreiben. Doch der Blick in reale Abgründe führt auch hier in düstere Ecken, braucht ein anderes Ventil als etwa eine harmlose Diebesgeschichte. Darum ist „Krayac“ein Mörder. Vor einigen krassen Szenen schreckt sein Autor später selbst zurück, streicht sie wieder. Das Schreiben ist auch deshalb ein Kraftakt, weil nicht nur „Krayac“sich entwickeln und der werden muss, der er eigentlich ist.
Über Jahre hinweg schreibt Glaser den ersten Band dreimal um. Dass er sich als Anfänger an eine Trilogie gewagt hat, macht es nicht besser. Handlungsfäden müssen stetig weitergesponnen werden – „und die Zeit spielt gegen dich“. Von der fremden Welt des Literaturbetriebs ganz zu schweigen. Hundert Bewerbungen schickt Varûn an Verlage. „Alle lassen dich abblitzen und von den meisten hörst du gar nichts.“
„Krayacs“Erfinder bleibt hartnäckig, erkundet die Messen in Leipzig und Frankfurt, knüpft bei Gesprächen Kontakte. So stößt er auf einen polnischen Zeichner, der für einen erschwinglichen Preis seinen Romanen die Cover im Comic-Stil verpassen wird, den der Autor sich wünscht. Wie die Lektorin, spezielle Schreibsoftware und alles andere bezahlt Varûn ihn selbst, kratzt dafür alles Geld zusammen, das er erübrigen kann. Auch wenn „Die Meuchelmörder Chroniken“bei Amazon veröffentlicht werden: Goldene Taler regnet es nicht – eher komme das Ganze laut Glaser einem „Nullsummenspiel“gleich: „Das Harry-PotterDenken darf man nicht haben. So ist die Realität halt nicht.“
Den Traum von einem Hörbuch – eigentlich viel zu teuer – hat er sich durch Einfallsreichtum trotzdem erfüllt. „Ich habe bei Youtube geschaut und jemanden mit angenehmer Stimme und vielen Followern gefunden. Ich habe ihn angeschrieben und gefragt, ob er Lust darauf hätte.“Kurz darauf hatte Glaser seinen Sprecher, der Youtuber neuen Inhalt. Inzwischen ist die Hörbuch-Variante bei großen Anbietern und Portalen zu finden, die Trilogie ist außerdem jüngst bei Amazon als Hardcover-Ausgabe erschienen.
„Krayacs“Geschichte ist auserzählt, auch für Maximilian Glaser alias Max Varûn beschließt das ein großes Wegstück: „Als ich das Ende des dritten Teils geschrieben habe, habe ich echt geheult“, erzählt er. Die Welt, die er in seiner Trilogie geschaffen hat – „ein riesiges System mit Göttern und Zwergen“– will er darum nicht völlig aufgeben, weiter aus ihr erzählen. Auf seiner eigenen Reise warten neue Abenteuer: „Ich will promovieren und meinen Doktor machen“– auch das Ziel, vielleicht doch einen Verlag zu finden, hat er noch nicht abgeschrieben.