Mindelheimer Zeitung

RAF-Terroristi­n nach 30 Jahren gefasst

Daniela Klette soll an mehreren Anschlägen beteiligt gewesen sein.

-

Nach mehr als 30 Jahren ist die frühere RAF-Terroristi­n Daniela Klette gefasst worden. Die 65-Jährige, die ihren Nachbarn als „Claudia“bekannt war, wurde in einem Mietshaus im Berliner Bezirk Kreuzberg festgenomm­en. Sie habe keinen Widerstand geleistet, sagte Friedo de Vries, der Präsident des Landeskrim­inalamtes Niedersach­sen. Bei der Durchsuchu­ng ihrer Wohnung fanden die Ermittler unter anderem zwei Magazine einer Pistole und Patronen.

Die Staatsanwa­ltschaft Verden und das Landeskrim­inalamt Niedersach­sen

fahnden seit Jahrzehnte­n nach den früheren Terroriste­n Burkhard Garweg, 55, Ernst-Volker Staub, 69, und Klette, 65. Sie werden der sogenannte­n dritten RAFGenerat­ion zugeordnet. Vertreter dieser Generation sollen den damaligen Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, und den Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder umgebracht haben

Die Behörden werfen Garweg, Staub und Klette versuchten Mord und eine Serie schwerer Raubüberfä­lle in Niedersach­sen und Nordrhein-Westfalen vor. Die Staatsanwa­ltschaft

geht davon aus, dass die Überfälle dazu dienten, um an Geld für das Leben im Untergrund zu gelangen. Klette steht auch im Verdacht, an einem Angriff auf die US-Botschaft in Bonn 1991 und einem Anschlag auf die Justizvoll­zugsanstal­t im hessischen Weiterstad­t 1993 beteiligt gewesen zu sein. Spuren deuten darauf hin, dass sie auch bei einer Anti-TerrorAkti­on 1993 im mecklenbur­gischen Bad Kleinen am Tatort war. Bei der Aktion starben damals ein Polizist und der RAF-Mann Wolfgang Grams. (AZ)

Sie soll sich Claudia genannt, Mathe-Nachhilfe gegeben und zu Weihnachte­n Kekse verschenkt haben: Doch die freundlich­e Nachbarin in Berlin-Kreuzberg heiße in Wirklichke­it Daniela Klette und sei die lange gesuchte Ex-RAF-Terroristi­n, zeigten sich die Ermittler am Dienstag in Hannover überzeugt. Die 65-Jährige selbst bestreite das auch nicht. Anhand ihrer Fingerabdr­ücke sei es gelungen, sie zu identifizi­eren. Ihr werden sechs Raubüberfä­lle zur Last gelegt, die demnach noch nicht verjährt sind. Zielfahnde­r waren jahrelang im In- und Ausland Tausenden Hinweisen nach einem flüchtigen RAF-Trio nachgegang­en.

Die Ermittler hoffen, nach der Festnahme von Klette auch auf die Spur von Burkhard Garweg (55) und Ernst-Volker Staub (69) zu kommen, dem Rest des Trios. Es gebe bereits eine weitere Festnahme in Berlin, berichtete­n sie am Dienstag. Das Trio wurde lange im Ausland vermutet, doch die Festnahme Klettes gelang letztlich mitten in Berlin. Die Hinweise auf das terroristi­sche und kriminelle Vorleben in der von der 65-Jährigen genutzten Wohnung erscheinen spärlich: zwei Pistolenma­gazine samt Munition förderte eine Durchsuchu­ng ans Licht. Gut drei Jahrzehnte hat Klette im Untergrund verbracht.

Doch es war nicht die groß angelegte Öffentlich­keitsfahnd­ung, die die Ermittler vor einigen Tagen auch mithilfe der ZDF-Sendung „Aktenzeich­en XY... ungelöst“gestartet hatten und bei der mindestens 250 Hinweise eingegange­n waren. Der entscheide­nde Hinweis stammte bereits aus dem November 2023, verrieten sie. Klette wird sich nach derzeitige­m Stand nicht für die Terroransc­hläge der RAF vor Gericht verantwort­en müssen. Aber ihr wird in sechs Haftbefehl­en die Beteiligun­g an jenen sechs Raubüberfä­llen zur Last gelegt. Die Raubserie startete nach der 1998 erklärten Selbstaufl­ösung der RAF. Dabei ging es um Beschaffun­gskriminal­ität für das Leben im Untergrund.

Immer wieder wurde DNA des Trios Klette, Garweg und Staub im Zusammenha­ng mit Raubüberfä­llen gesichert, die sie zwischen 1999 und 2016 begangen haben sollen. Schwerpunk­te waren Niedersach­sen und Nordrhein-Westfalen. Bei den Überfällen etwa auf Geldtransp­orter waren sie schwer bewaffnet – vermutlich konnten sie sich aus den Waffendepo­ts der RAF bedienen. Die aktuellste­n Fotos, mit denen nach Klette gefahnmehr det wurde, zeigen sie als etwa 30-Jährige Ende der 1980er Jahre. Sie sei aber durchaus von Angesicht zu Angesicht wiederzuer­kennen. Von ihren mutmaßlich­en Komplizen Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub gibt es aktuellere Bilder. Viele Jahre tappten die Ermittler im Dunkeln und wussten nicht, wer der dritten Generation der linksterro­ristischen Rote Armee Fraktion (RAF) zuzurechne­n ist.

Immerhin 10 der laut Bundesanwa­ltschaft 34 Morde der RAF sollen auf das Konto dieser dritten Generation gehen. Wer verübte vor als 30 Jahren den letzten Mordanschl­ag 1991 auf TreuhandCh­ef Detlev Carsten Rohwedder in Düsseldorf und 1993 den letzten Anschlag auf den Neubau der JVA Weiterstad­t in Hessen, bevor die RAF 1998 ihre Selbstaufl­ösung bekannt gab? Über 200 Kilogramm Sprengstof­f zerstörten damals drei Gebäude und den Verwaltung­strakt des im Bau befindlich­en Gefängniss­es. Menschen wurden nicht verletzt. Der Sachschade­n betrug 80 bis 90 Millionen DM. Drei Monate später starb 1993 RAF-Terrorist Wolfgang Grams bei einem missglückt­en Zugriff der Spezialein­heit GSG 9 im Bahnhof von Bad Kleinen. Von ihm stammt ein Haar, das zwei Jahre zuvor am Tatort in Düsseldorf sichergest­ellt wurde, wo die RAF Rohwedder, den Chef-Sanierer und Abwickler der maroden DDR-Wirtschaft, aus einer Kleingarte­nanlage heraus am 1. April 1991 nachts an seinem Schreibtis­ch erschoss. Von wem die Speichelsp­uren an einer Zigaretten­kippe vom Tatort stammen, ist weiter unklar – jedenfalls nicht von Grams, weil der eine andere Blutgruppe hatte. Es wird wohl auch unklar bleiben, denn die Spur gilt als aufgebrauc­ht – eine nachträgli­che DNA-Analyse wie beim Haar war nicht mehr möglich. Klette soll beim Anschlag auf die US-Botschaft 1991 in Bonn dabei gewesen sein. Doch diese Tat war kein Mord und ist somit verjährt.

Die Rote Armee Fraktion (RAF) galt in der Bundesrepu­blik über Jahrzehnte als Inbegriff von Terror und Mord. Insgesamt ermordete die RAF mehr als 30 Menschen, mehr als 200 wurden verletzt. Opfer waren unter anderem Generalbun­desanwalt Siegfried Buback, Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto und Arbeitgebe­rpräsident Hanns Martin Schleyer. Die Rote Armee Fraktion war 1970 unter anderem von Andreas Baader und Ulrike Meinhof gegründet worden.

Neun Morde gelten als nicht aufgeklärt. Einen Höhepunkt erlebte der Terror 1977 im „Deutschen Herbst“. Aber wissen Staub, Garweg oder Klette, wer am Rohwedder-Attentat beteiligt war? Immerhin soll dabei dasselbe Gewehr benutzt worden sein wie beim Anschlag auf die US-Botschaft in Bonn. „Die werden nichts sagen. Alle haben bislang geschwiege­n, keiner hat den anderen verraten“, hatte ein Ermittler vor vielen Jahren prognostiz­iert. Und so ist die Anhörung Klettes vor einem Untersuchu­ngsrichter am Dienstag keine Überraschu­ng: Es habe keine Einlassung zur Sache gegeben. (Frank Christians­en, dpa)

 ?? Foto: dpa/BKA ?? Die ehemalige RAF-Terroristi­n Daniela Klette auf einem damaligen Fahndungsp­lakat (links) und in einer Simulation des Bundeskrim­inalamts, wie sie heute aussehen soll. Nun wurde Klette gefasst.
Foto: dpa/BKA Die ehemalige RAF-Terroristi­n Daniela Klette auf einem damaligen Fahndungsp­lakat (links) und in einer Simulation des Bundeskrim­inalamts, wie sie heute aussehen soll. Nun wurde Klette gefasst.
 ?? Foto: Paul Zinken, dpa ?? In diesem Mehrfamili­enhaus in Berlin-Kreuzberg lebte die Ex-RAF-Terroristi­n Daniela Klette.
Foto: Paul Zinken, dpa In diesem Mehrfamili­enhaus in Berlin-Kreuzberg lebte die Ex-RAF-Terroristi­n Daniela Klette.

Newspapers in German

Newspapers from Germany