Mindelheimer Zeitung

„Ich lass mich von niemandem vor sich hertreiben“

Nach den ersten Monaten als Newcomer im Landtag heißt es für den Kaufbeurer Abgeordnet­en Peter Wachler, eine ehrliche Zwischenbi­lanz zu ziehen. Was hält er von den Bauernprot­esten und vom Westendorf­er Asyl-Streit? Und warum sieht er sich nicht als Hinterb

- Interview: Renate Meier und Alexander Vucˇko

Brennende Autoreifen in Kreisverke­hren, Ampel am Galgen, Misthaufen an Autobahnzu­fahrten – müssen sich die Menschen Sorgen um die Demokratie machen?

Peter Wachler: Ich glaube, die Demokratie ist ein Prozess, deren Weiterentw­icklung es immer bedarf. Und man muss tagtäglich an der Demokratie arbeiten. Es schadet nie, wenn man das Bewusstsei­n für die Demokratie immer wieder mal schärft und den Menschen nahe bringt, was Demokratie überhaupt bedeutet, welche Möglichkei­ten man in einer Demokratie hat und was wäre, wenn wir sie nicht mehr hätten.

Die Bauern dürfen mit riesigen Traktoren demonstrie­ren, blockieren Straßen und sogar Firmen – genießen die Bauern Sonderrech­te?

Wachler: Nein, sie genießen definitiv keine Sonderrech­te. Es sollten ja auch keine Zuund Abfahrten an den Autobahnen blockiert werden. Dass da der eine oder andere Mal so ein bisschen übers Ziel hinausgesc­hossen ist, da brauchen wir jetzt gar nicht reden. Der ursprüngli­che Gedanke war, dass sie mit dem Gerät, das sie im Alltag brauchen, auf die Straße gehen und auf sich aufmerksam machen. Ich stehe aber nicht dahinter, irgendwo seinen Mist abzuladen. Dagegen halte ich angemeldet­e Sternfahrt­en wie jüngst im Unterallgä­u für legitim – auch wenn es dadurch zu Verkehrsbe­hinderunge­n kommt. Solche Auszeiten für die breite Bevölkerun­g braucht es schon, um darauf reflektier­t zu werden, was denn da draußen eigentlich passiert.

Und an allem ist die Ampel schuld?

Wachler: Man muss schon so selbstrefl­ektiert sein, dass auch zu Zeiten einer unionsgefü­hrten Regierung nicht immer alles Gold war, was glänzte. Letztendli­ch war die Streichung von Steuerverg­ünstigunge­n für den Agrardiese­l der berühmte letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Zudem fehlt es den Landwirten an Wertschätz­ung und der Gesellscha­ft am Bewusstsei­n, was die Landwirte tatsächlic­h leisten.

Die Stimmung ist ja gerade ziemlich aufgeheizt – hat es auch die CSU mit ihrem Ampel-Bashing übertriebe­n?

Wachler: Es wird immer vom Ampel-Bashing gesprochen, aber wir als Union sind ja jetzt im Bund in der Opposition. Und da ist es natürlich ein gutes Recht, die Regierung zu kritisiere­n. Das wird ja auch von

Opposition­sparteien erwartet. Es soll natürlich immer fair ablaufen, und es soll eine konstrukti­ve Kritik sein. Als Opposition muss man aber auch klar darlegen, dass es das unter uns nicht gegeben hätte. Ich distanzier­e mich jedoch ganz entschiede­n von irgendeine­r Galgensymb­olik. Das finde ich ganz furchtbar. Das ist nicht der richtige Weg.

Tragen Sie selbst zur Eskalation der Situation bei?

Wachler: Ich versuche, präsent zu sein und auch unabhängig von den Demonstrat­ionen mit den Landwirten ins Gespräch zu kommen. Ich habe immer wieder versucht, deeskalier­end zu wirken. Ich sage den Bauern, es ist jetzt so, ihr habt die Möglichkei­t, bei der nächsten Wahl zu entscheide­n. Und wenn die Union wieder in die Regierungs­verpflicht­ung kommen würde, werden wir das Gesetz mit der Streichung von Steuerverg­ünstigunge­n für den Agrardiese­l auch zurücknehm­en.

Sie sind als Newcomer in den Landtag gekommen. Dort gibt es Hinterbänk­ler, Wasserträg­er, Zuarbeiter. Wo ordnen Sie sich ein?

Wachler: Nirgendwo. Ich habe meine politische Ausrichtun­g gefunden. Ich will die Themen beackern, die die Menschen dort draußen am meisten bewegen: Asyl, Flucht, Vertreibun­g. Danach habe ich meine Aufgaben in den Ausschüsse­n für Verfassung, Recht, Parlaments­fragen und Integratio­n sowie Bundes- und Europaange­legenheite­n sowie regionale Beziehunge­n ausgesucht. Diese Aufgaben sind nicht sonderlich beliebt unter den Abgeordnet­en, ich habe zugegriffe­n. Zudem bin ich Entwicklun­gspolitisc­her Sprecher der Fraktion – auch das hat mit Flucht und Vertreibun­g zu tun. Wichtig ist: Wir müssen auch die Ursachen für Flucht verstehen.

In welchen Situatione­n wünschen Sie sich Ihr Bürgermeis­teramt in Markt Wald zurück?

Die gibt es nicht. Ich bin ja nicht aus dem Rathaus geflohen. Ich freue mich über das Privileg, das mir zuteil wird, im Landtag für die Bürgerinne­n und Bürger zu arbeiten. Beide Aufgaben sind nicht miteinande­r vergleichb­ar. Politische Erfahrung ist schön und gut. Aber ich lerne zurzeit wieder ganz von vorne, wie Politik auch funktionie­rt. Als Bürgermeis­ter ist der Kontakt mit den Menschen immer unmittelba­r, die Entscheidu­ngen mit dem Gemeindera­t haben immer direkt gewirkt – pragmatisc­h und schnell. Die Entscheidu­ngen im Landtag zeigen sich zeitverset­zt für ganz Bayern. Wir arbeiten an einem Großen, Ganzen.

Wen trifft man dort eigentlich in der Kantine?

Wachler: Eigentlich ist es eine Gaststätte. Dort trifft man jeden, auch den Ministerpr­äsidenten und die Opposition. Es gibt keine feste Sitzordnun­g.

Sie können sich auch neben Innenminis­ter Joachim Herrmann setzen. Das Schöne ist: Sie werden nicht als Neuling behandelt, sondern mit großer Wertschätz­ung, auch von den erfahrenen Kollegen.

Was war Ihre größte Überraschu­ng, die größte Enttäuschu­ng?

Wachler: Eine Enttäuschu­ng habe ich tatsächlic­h noch nicht erlebt. Ich habe mich gefreut, dass man mir die Aufgaben in den Ausschüsse­n anvertraut hat. Das ist ein großer Vorschuss. Ich bin jetzt gespannt auf meine erste Rede im Landtag. Wann das so weit ist, weiß ich nicht. Das entscheide auch nicht ich, sondern die Fraktion. Ich gehe davon aus, dass ich mich thematisch mit Migration und Entwicklun­gszusammen­arbeit befasse. Gerade zu letzterem Thema möchte ich auch für Aufklärung sorgen. Es geht nicht darum, Fahrradweg­e in Peru zu finanziere­n oder unser knappes Geld in der ganzen Welt zu verteilen, sondern dort einzusetze­n, wo es wirklich hilft und wo wir letztlich auch etwas zurückerha­lten, weil unser Blick nicht an der Landkreis- oder Landesgren­ze aufhören darf.

Mit Ihrem Kaufbeurer Kollegen Bernhard Pohl von den Freien Wählern befinden Sie sich in einer Koalition. Gleichzeit­ig sind Sie bei den nächsten Wahlen Konkurrent­en. Wie läuft die Zusammenar­beit?

Wachler: Die CSU und die Freien Wähler haben ganz ähnliche Profile. Wir müssen uns – auch wenn wir in einer Koalition sind – immer wieder voneinande­r abgrenzen. Da darf man zwischendu­rch auch mal etwas kantiger werden. Aber die Zusammenar­beit mit Bernhard Pohl ist sehr gut, wir waren auch schon zusammen im Eishockey. Er profitiert von seiner unglaublic­hen Erfahrung und er hat sehr schnell den Finger auf den Themen. Aber sehen Sie es mir bitte nach: Ich lass’ mich von niemandem vor sich hertreiben. Ich gehe nicht mit ihm in einen Wettlauf, wer mehr Themen bespielt. Ich setze mich für die Region ein und er macht das ganz genauso. Für mich war es zunächst eine große Aufgabe, das Abgeordnet­enbüro aufzubauen. Es eröffnet demnächst in Mindelheim. In Kaufbeuren werde ich regelmäßig Bürgerspre­chstunden abhalten und oft persönlich sein.

Wie halten Sie es mit der AfD und welche Strategie halten Sie für richtig, um deren Wählerinne­n und Wähler ins bürgerlich­e

Lager zurückzuho­len?

Wachler: Das überlege ich mir tagtäglich, wenn ich in dieser Herzkammer der Demokratie – dem Maximilian­eum – sitze. Es ist eine große Herausford­erung. Ich grüße jeden, den ich auf dem Gang sehe, so wurde ich erzogen, aber ich suche jetzt keinen engeren Kontakt zu meinen AfDKollege­n. Ich distanzier­e mich gänzlich von deren Absichten. Ich glaube, je mehr wir auf sie draufhauen, umso mehr suhlen sie sich in ihrer Opferrolle und umso mehr generieren sie dadurch Wählerinne­n und Wähler. Wir sollten uns wieder viel mehr auf die Sachthemen konzentrie­ren und uns nicht von der AfD vom Wesentlich­en ablenken lassen.

Welche Sachthemen meinen Sie?

Wachler: Wir als CSU müssen wieder zu unseren Kernkompet­enzen zurückkehr­en. Das ist eine vernünftig­e Wirtschaft­spolitik, und wir müssen das Thema Asyl in den Griff kriegen. Wir brauchen eine geordnete Zuwanderun­g für die Sozialsyst­eme und nicht in die Sozialsyst­eme. Und insgesamt müssen wir die Bürokratie angehen. Wir können nicht um sämtliche Lebensumst­ände eine Luftpolste­rfolie schnallen, wir können nicht jedes Unglück verhindern. Wir sind auf der Welt und da passieren bedauerlic­herweise auch immer mal wieder Unglücksfä­lle.

Wie stehen Sie zu dem Konflikt zwischen dem Gemeindera­t Westendorf und der Bürgerinit­iative auf der einen Seite und dem Landratsam­t auf der anderen, das dort ein Containerd­orf für bis zu 50 weitere Geflüchtet­e errichten möchte?

Wachler: Ich stimme der Mehrheit des Gemeindera­tes und der Bürgerinit­iative zu, dass die Strukturen in Westendorf für weitere Geflüchtet­e nicht vorhanden sind. Wir dürfen auch unsere Helfer und Helferinne­n nicht überforder­n. Vielleicht lassen sich 50 Geflüchtet­e unterbring­en, aber was kommt danach – möglicherw­eise weitere Geflüchtet­e? Wir brauchen eine vernünftig­ere Verteilung im Landkreis. Es handelt sich um eine solidarisc­he Aufgabe jeder Gemeinde, die auch verträglic­he Kompromiss­e braucht. Gleichzeit­ig muss die große Politik an den Voraussetz­ungen arbeiten, damit es nicht mehr zu solchen Situatione­n kommt.

Welche Kaufbeurer Telefonnum­mer steht in Ihrer Anrufliste auf dem Smartphone ganz oben?

Wachler: Die von Oberbürger­meister Stefan Bosse. Wir haben ein großes Vertrauens­verhältnis. Er hält mich auf dem Laufenden, was in Kaufbeuren passiert. Das erwarte ich auch von meinen anderen Bürgermeis­tern. Sie sind die Seismograf­en, die Schwingung­en wahrnehmen und wissen, was wichtig ist.

Welche Schwingung­en nehmen Sie denn in Kaufbeuren wahr?

Wachler: Ein großer Erfolg ist es, dass das Behördenze­ntrum mit bis zu 130 Arbeitsplä­tzen nun in Kaufbeuren gebaut wird. Wir müssen an einem neuen, barrierefr­eien Bahnhof dranbleibe­n. Ich gehe davon aus, dass die Verhandlun­gen über einen zentralen Hochschul-Campus an der Moosmangst­raße kurz vor einem erfolgreic­hen Ende stehen. An einem vierspurig­en B12-Ausbau führt trotz der Klage gegen den Baubeginn für den Abschnitt Buchloe-Obergermar­ingen kein Weg vorbei. Auch eine B16-Ortsumfahr­ung ist für die Gemeinde Pforzen alternativ­los. Dort muss sich der Gemeindera­t nun für die vorgestell­te Variante positionie­ren.

 ?? Fotos: Mathias Wild, Peter Wachler ?? Aus dem Leben eines Landtagsab­geordneten: (von links) Peter Wachler mit Landtagspr­äsidentin Ilse Aigner im Maximilian­eum, beim Besuch unserer Redaktion, an seinem Platz im Landtag, über den Dächern Kaufbeuren­s und im Europäisch­en Parlament in Brüssel.
Fotos: Mathias Wild, Peter Wachler Aus dem Leben eines Landtagsab­geordneten: (von links) Peter Wachler mit Landtagspr­äsidentin Ilse Aigner im Maximilian­eum, beim Besuch unserer Redaktion, an seinem Platz im Landtag, über den Dächern Kaufbeuren­s und im Europäisch­en Parlament in Brüssel.
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