„Ich lass mich von niemandem vor sich hertreiben“
Nach den ersten Monaten als Newcomer im Landtag heißt es für den Kaufbeurer Abgeordneten Peter Wachler, eine ehrliche Zwischenbilanz zu ziehen. Was hält er von den Bauernprotesten und vom Westendorfer Asyl-Streit? Und warum sieht er sich nicht als Hinterb
Brennende Autoreifen in Kreisverkehren, Ampel am Galgen, Misthaufen an Autobahnzufahrten – müssen sich die Menschen Sorgen um die Demokratie machen?
Peter Wachler: Ich glaube, die Demokratie ist ein Prozess, deren Weiterentwicklung es immer bedarf. Und man muss tagtäglich an der Demokratie arbeiten. Es schadet nie, wenn man das Bewusstsein für die Demokratie immer wieder mal schärft und den Menschen nahe bringt, was Demokratie überhaupt bedeutet, welche Möglichkeiten man in einer Demokratie hat und was wäre, wenn wir sie nicht mehr hätten.
Die Bauern dürfen mit riesigen Traktoren demonstrieren, blockieren Straßen und sogar Firmen – genießen die Bauern Sonderrechte?
Wachler: Nein, sie genießen definitiv keine Sonderrechte. Es sollten ja auch keine Zuund Abfahrten an den Autobahnen blockiert werden. Dass da der eine oder andere Mal so ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen ist, da brauchen wir jetzt gar nicht reden. Der ursprüngliche Gedanke war, dass sie mit dem Gerät, das sie im Alltag brauchen, auf die Straße gehen und auf sich aufmerksam machen. Ich stehe aber nicht dahinter, irgendwo seinen Mist abzuladen. Dagegen halte ich angemeldete Sternfahrten wie jüngst im Unterallgäu für legitim – auch wenn es dadurch zu Verkehrsbehinderungen kommt. Solche Auszeiten für die breite Bevölkerung braucht es schon, um darauf reflektiert zu werden, was denn da draußen eigentlich passiert.
Und an allem ist die Ampel schuld?
Wachler: Man muss schon so selbstreflektiert sein, dass auch zu Zeiten einer unionsgeführten Regierung nicht immer alles Gold war, was glänzte. Letztendlich war die Streichung von Steuervergünstigungen für den Agrardiesel der berühmte letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Zudem fehlt es den Landwirten an Wertschätzung und der Gesellschaft am Bewusstsein, was die Landwirte tatsächlich leisten.
Die Stimmung ist ja gerade ziemlich aufgeheizt – hat es auch die CSU mit ihrem Ampel-Bashing übertrieben?
Wachler: Es wird immer vom Ampel-Bashing gesprochen, aber wir als Union sind ja jetzt im Bund in der Opposition. Und da ist es natürlich ein gutes Recht, die Regierung zu kritisieren. Das wird ja auch von
Oppositionsparteien erwartet. Es soll natürlich immer fair ablaufen, und es soll eine konstruktive Kritik sein. Als Opposition muss man aber auch klar darlegen, dass es das unter uns nicht gegeben hätte. Ich distanziere mich jedoch ganz entschieden von irgendeiner Galgensymbolik. Das finde ich ganz furchtbar. Das ist nicht der richtige Weg.
Tragen Sie selbst zur Eskalation der Situation bei?
Wachler: Ich versuche, präsent zu sein und auch unabhängig von den Demonstrationen mit den Landwirten ins Gespräch zu kommen. Ich habe immer wieder versucht, deeskalierend zu wirken. Ich sage den Bauern, es ist jetzt so, ihr habt die Möglichkeit, bei der nächsten Wahl zu entscheiden. Und wenn die Union wieder in die Regierungsverpflichtung kommen würde, werden wir das Gesetz mit der Streichung von Steuervergünstigungen für den Agrardiesel auch zurücknehmen.
Sie sind als Newcomer in den Landtag gekommen. Dort gibt es Hinterbänkler, Wasserträger, Zuarbeiter. Wo ordnen Sie sich ein?
Wachler: Nirgendwo. Ich habe meine politische Ausrichtung gefunden. Ich will die Themen beackern, die die Menschen dort draußen am meisten bewegen: Asyl, Flucht, Vertreibung. Danach habe ich meine Aufgaben in den Ausschüssen für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Integration sowie Bundes- und Europaangelegenheiten sowie regionale Beziehungen ausgesucht. Diese Aufgaben sind nicht sonderlich beliebt unter den Abgeordneten, ich habe zugegriffen. Zudem bin ich Entwicklungspolitischer Sprecher der Fraktion – auch das hat mit Flucht und Vertreibung zu tun. Wichtig ist: Wir müssen auch die Ursachen für Flucht verstehen.
In welchen Situationen wünschen Sie sich Ihr Bürgermeisteramt in Markt Wald zurück?
Die gibt es nicht. Ich bin ja nicht aus dem Rathaus geflohen. Ich freue mich über das Privileg, das mir zuteil wird, im Landtag für die Bürgerinnen und Bürger zu arbeiten. Beide Aufgaben sind nicht miteinander vergleichbar. Politische Erfahrung ist schön und gut. Aber ich lerne zurzeit wieder ganz von vorne, wie Politik auch funktioniert. Als Bürgermeister ist der Kontakt mit den Menschen immer unmittelbar, die Entscheidungen mit dem Gemeinderat haben immer direkt gewirkt – pragmatisch und schnell. Die Entscheidungen im Landtag zeigen sich zeitversetzt für ganz Bayern. Wir arbeiten an einem Großen, Ganzen.
Wen trifft man dort eigentlich in der Kantine?
Wachler: Eigentlich ist es eine Gaststätte. Dort trifft man jeden, auch den Ministerpräsidenten und die Opposition. Es gibt keine feste Sitzordnung.
Sie können sich auch neben Innenminister Joachim Herrmann setzen. Das Schöne ist: Sie werden nicht als Neuling behandelt, sondern mit großer Wertschätzung, auch von den erfahrenen Kollegen.
Was war Ihre größte Überraschung, die größte Enttäuschung?
Wachler: Eine Enttäuschung habe ich tatsächlich noch nicht erlebt. Ich habe mich gefreut, dass man mir die Aufgaben in den Ausschüssen anvertraut hat. Das ist ein großer Vorschuss. Ich bin jetzt gespannt auf meine erste Rede im Landtag. Wann das so weit ist, weiß ich nicht. Das entscheide auch nicht ich, sondern die Fraktion. Ich gehe davon aus, dass ich mich thematisch mit Migration und Entwicklungszusammenarbeit befasse. Gerade zu letzterem Thema möchte ich auch für Aufklärung sorgen. Es geht nicht darum, Fahrradwege in Peru zu finanzieren oder unser knappes Geld in der ganzen Welt zu verteilen, sondern dort einzusetzen, wo es wirklich hilft und wo wir letztlich auch etwas zurückerhalten, weil unser Blick nicht an der Landkreis- oder Landesgrenze aufhören darf.
Mit Ihrem Kaufbeurer Kollegen Bernhard Pohl von den Freien Wählern befinden Sie sich in einer Koalition. Gleichzeitig sind Sie bei den nächsten Wahlen Konkurrenten. Wie läuft die Zusammenarbeit?
Wachler: Die CSU und die Freien Wähler haben ganz ähnliche Profile. Wir müssen uns – auch wenn wir in einer Koalition sind – immer wieder voneinander abgrenzen. Da darf man zwischendurch auch mal etwas kantiger werden. Aber die Zusammenarbeit mit Bernhard Pohl ist sehr gut, wir waren auch schon zusammen im Eishockey. Er profitiert von seiner unglaublichen Erfahrung und er hat sehr schnell den Finger auf den Themen. Aber sehen Sie es mir bitte nach: Ich lass’ mich von niemandem vor sich hertreiben. Ich gehe nicht mit ihm in einen Wettlauf, wer mehr Themen bespielt. Ich setze mich für die Region ein und er macht das ganz genauso. Für mich war es zunächst eine große Aufgabe, das Abgeordnetenbüro aufzubauen. Es eröffnet demnächst in Mindelheim. In Kaufbeuren werde ich regelmäßig Bürgersprechstunden abhalten und oft persönlich sein.
Wie halten Sie es mit der AfD und welche Strategie halten Sie für richtig, um deren Wählerinnen und Wähler ins bürgerliche
Lager zurückzuholen?
Wachler: Das überlege ich mir tagtäglich, wenn ich in dieser Herzkammer der Demokratie – dem Maximilianeum – sitze. Es ist eine große Herausforderung. Ich grüße jeden, den ich auf dem Gang sehe, so wurde ich erzogen, aber ich suche jetzt keinen engeren Kontakt zu meinen AfDKollegen. Ich distanziere mich gänzlich von deren Absichten. Ich glaube, je mehr wir auf sie draufhauen, umso mehr suhlen sie sich in ihrer Opferrolle und umso mehr generieren sie dadurch Wählerinnen und Wähler. Wir sollten uns wieder viel mehr auf die Sachthemen konzentrieren und uns nicht von der AfD vom Wesentlichen ablenken lassen.
Welche Sachthemen meinen Sie?
Wachler: Wir als CSU müssen wieder zu unseren Kernkompetenzen zurückkehren. Das ist eine vernünftige Wirtschaftspolitik, und wir müssen das Thema Asyl in den Griff kriegen. Wir brauchen eine geordnete Zuwanderung für die Sozialsysteme und nicht in die Sozialsysteme. Und insgesamt müssen wir die Bürokratie angehen. Wir können nicht um sämtliche Lebensumstände eine Luftpolsterfolie schnallen, wir können nicht jedes Unglück verhindern. Wir sind auf der Welt und da passieren bedauerlicherweise auch immer mal wieder Unglücksfälle.
Wie stehen Sie zu dem Konflikt zwischen dem Gemeinderat Westendorf und der Bürgerinitiative auf der einen Seite und dem Landratsamt auf der anderen, das dort ein Containerdorf für bis zu 50 weitere Geflüchtete errichten möchte?
Wachler: Ich stimme der Mehrheit des Gemeinderates und der Bürgerinitiative zu, dass die Strukturen in Westendorf für weitere Geflüchtete nicht vorhanden sind. Wir dürfen auch unsere Helfer und Helferinnen nicht überfordern. Vielleicht lassen sich 50 Geflüchtete unterbringen, aber was kommt danach – möglicherweise weitere Geflüchtete? Wir brauchen eine vernünftigere Verteilung im Landkreis. Es handelt sich um eine solidarische Aufgabe jeder Gemeinde, die auch verträgliche Kompromisse braucht. Gleichzeitig muss die große Politik an den Voraussetzungen arbeiten, damit es nicht mehr zu solchen Situationen kommt.
Welche Kaufbeurer Telefonnummer steht in Ihrer Anrufliste auf dem Smartphone ganz oben?
Wachler: Die von Oberbürgermeister Stefan Bosse. Wir haben ein großes Vertrauensverhältnis. Er hält mich auf dem Laufenden, was in Kaufbeuren passiert. Das erwarte ich auch von meinen anderen Bürgermeistern. Sie sind die Seismografen, die Schwingungen wahrnehmen und wissen, was wichtig ist.
Welche Schwingungen nehmen Sie denn in Kaufbeuren wahr?
Wachler: Ein großer Erfolg ist es, dass das Behördenzentrum mit bis zu 130 Arbeitsplätzen nun in Kaufbeuren gebaut wird. Wir müssen an einem neuen, barrierefreien Bahnhof dranbleiben. Ich gehe davon aus, dass die Verhandlungen über einen zentralen Hochschul-Campus an der Moosmangstraße kurz vor einem erfolgreichen Ende stehen. An einem vierspurigen B12-Ausbau führt trotz der Klage gegen den Baubeginn für den Abschnitt Buchloe-Obergermaringen kein Weg vorbei. Auch eine B16-Ortsumfahrung ist für die Gemeinde Pforzen alternativlos. Dort muss sich der Gemeinderat nun für die vorgestellte Variante positionieren.