Braucht es den Weltfrauentag noch?
Pro Ich bin mit 16 Feministin geworden und der 8. März ist seitdem für mich einer der wichtigsten Tage im Jahr. Natürlich ist der Internationale Frauentag auch ein symbolischer Tag. Aber zum einen braucht es Tage dieser Art, um auf anhaltende Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen, und zum anderen ist er viel mehr als das. Die vielen Demonstrationen zeigen die Kraft der feministischen Bewegung und machen Mut.
Auf Initiative der Sozialistin Clara Zetkin wurde der Internationale Frauentag in Deutschland erstmals 1911 begangen. Natürlich hat sich die Situation von Frauen seitdem verbessert. Und trotzdem: Erst vor zwei Tagen, am 6. März, war Equal Pay Day. Bis dahin hatten Frauen umsonst gearbeitet. Gleichzeitig übernehmen Frauen sehr viel mehr Care-Arbeit, kümmern sich beispielsweise um Haushalt und Kinder. Pro Woche sind das durchschnittlich neun Stunden Unterschied.
Aber es geht nicht nur um Arbeit und Geld. Knapp 90 Prozent der Frauen gaben 2020 in einer Studie an, sich mindestens einmal schon sexuell belästigt gefühlt zu haben. Für eine nicht-repräsentative Umfrage kann man sich einfach mal in seinem persönlichen Umfeld umhören. Im schlimmsten Fall ist das Patriarchat für Frauen lebensbedrohlich. Fast jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau infolge von Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner.
Am 8. März können all diese Probleme benannt und die Wut darüber auf die Straße getragen werden. Es ist ein Tag, an dem wir gemeinsam laut sind und uns den Platz nehmen, den wir so oft verwehrt bekommen. Auf den Demonstrationen geht es um die politischen Forderungen, aber sie sind auch ein Moment der Verbundenheit. Wir sind nicht allein mit unserer Wut und unserem Frust. Deshalb ist es schade, wenn der Tag zu einem Blumen-Verschenken-Tag und Für-Frauengibt’s-umsonst-Prosecco-Tag verkommt. Clara Zetkin würde sich wahrscheinlich im Grabe umdrehen, wenn sie wüsste, wie kommerzialisiert und weichgespült der Tag heute ist. Es geht nicht um Blumen, nicht um ein individuelles Lob. Es geht um gleiche Rechte.
Contra Aufgemerkt! Heute ist Weltfrauentag. Und falls Sie es vergessen haben sollten: Heute am 8. März ist auch „Tag der Popcornliebhaber“, „Tag des Korrekturlesens“und (Der Hammer!) „Weltnierentag“. Gestern war übrigens Weltgesundheitstag. Am 14. März ist „Internationaler Aktionstag gegen Staudämme“. Und am 21. März ist Welttag der Hauswirtschaft. Unbedingt dick anstreichen in Ihrem persönlichen Welttags-Erinnerungskalender.
Dass der heutige Weltfrauentag in dieser Liste auftaucht, zeigt schon die Bedeutung, die dieses Thema inzwischen hat. Und auch wenn es mir schwerfällt: In diesem Fall muss ich sogar der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer inhaltlich recht geben, die den Weltfrauentag als „gönnerhaft“bezeichnet hat.
Bitte nicht falsch verstehen: Nichts, aber auch gar nichts spricht dagegen, dass der Fokus auf die Gleichberechtigung von Frauen in unserer Gesellschaft gelegt wird. Aber hilft dabei ein verordneter Gedenktag, der – siehe oben – zu einem austauschbaren Ritual und/oder Feigenblatt-Termin verkommt – wie das Frühstück, das man(n) seiner Mama am Muttertag präsentiert, und ihr dann großzügig den Abwasch überlässt?
Selbst wenn der Weltfrauentag im vergangenen Jahrhundert wichtig und richtig gewesen sein mag, um die Rolle und Bedeutung der Frau ebenso deutlich zu machen – was hat sich seither geändert in einem Land wie Deutschland, in dem die Gehaltsschere zwischen Frauen und Männern noch immer weit auseinanderklafft und die Forderung nach Vereinbarkeit von Kindererziehung und Karriere alleine als Frauensache belächelt wird?
Ein Weltfrauentag als ein beliebiger Termin in der Reihe zwischen Tag des Wiegens (1. Januar) und dem Entscheide-dich-endlich-Tag (31. Dezember) ist unsinnig, unnötig und folgenlos – er ist vergessen, kaum dass er stattgefunden hat.
Aber das ist ja auch kein Wunder: Am 13. März ist schließlich „Öffne-drinnen-einen-Regenschirm“-Tag.