Mindelheimer Zeitung

Digitale Schule der Zukunft

Bad Wörishofen­s Mittelschu­le beteiligt sich an bayernweit­em Pilotproje­kt. Was Eltern und Schulkinde­r jetzt wissen müssen.

- Von Marcus Barnstorf

Bad Wörishofen Kinder wachsen heute mit digitalen Technologi­en auf und entwickeln Fähigkeite­n, von denen sie lebenslang profitiere­n. Das Innovation­spotenzial von Digitalisi­erung verändert den Schulallta­g. Das erfahren auch rund 50 Jugendlich­e in Bad Wörishofen. Die Pfarrer-Kneipp-Mittelschu­le ist eine von drei Mittelschu­len im Unterallgä­u und Memmingen, die für das Pilotproje­kt „Digitale Schule der Zukunft“ausgewählt wurden. Schwabenwe­it sind es 24. In den beiden achten Klassen gehören Tablets, Apps und Co. seit diesem Schuljahr zum Alltag.

Um schulische­s und häusliches Lernen miteinande­r zu verknüpfen, erhalten die Schülerinn­en und Schüler je 300 Euro für die Anschaffun­g staatlich bezuschuss­ter Tablets. „Bei uns an der Schule erhält jede und jeder dasselbe Equipment“, erklärt Nicolas Schergun. Der 36-Jährige ist seit September 2022 in der Kneippstad­t tätig und unterricht­et Informatik in allen Jahrgangss­tufen. Unter anderem für das Pilotproje­kt ist der informatio­nstechnisc­he Berater für 14 Unterricht­seinheiten freigestel­lt. Gleiches gilt für seinen Sparringsp­artner Sebastian Münsch. Der medienpäda­gogische Berater für digitale Bildung unterricht­et an der Amendinger Mittelschu­le, die gemeinsam mit der Mittelschu­le in Bad Grönenbach im Herbst 2022 als Erste im Landkreis Tabletklas­sen eingeführt hat.

Sowohl Münsch als auch Schergun stehen voller Überzeugun­g hinter dem Konzept. Die Art der Wissensver­mittlung verändere sich, selbststän­diges, eigenveran­twortliche­s und aktives Lernen werde individuel­l gefördert. „Jeder Jugendlich­e kann sich im eigenen Tempo den Lernstoff erarbeiten“, meint Schergun. Da jeder sein eigenes Gerät hat, sei das Tablet – ob zu Hause oder in der Schule – ständig verfügbar. In Erklärvide­os, die die Lehrkräfte teils selbst aufzeichne­n, werden Lerninhalt­e anschaulic­h und verständli­ch dargestell­t.

Das ersetzt jedoch nicht gut ausgebilde­te, motivierte Lehrerinne­n und Lehrer. „Sie bleiben unersetzli­ch, denn sie lehren nicht nur, sondern bieten all das, was nur ein echter Mensch kann: Empathie, Zuwendung und Wertevermi­ttlung“, unterstric­h unlängst Florian Herrmann, Leiter der Bayerische­n Staatskanz­lei.

Wurde vor der Pandemie wenig Geld in die Digitalisi­erung bayerische­r Schulen gesteckt, so investiert der Freistaat nun verstärkt Millionen. „Bayern ist Bildungsla­nd Nummer 1 – gerade auch in puncto Digitalisi­erung. Mehr als jeder dritte Euro aus dem Staatshaus­halt fließt in Bildung“, sagte Bayerns Kultusmini­sterin Anna Stolz. Bis Ende 2025 sind im Freistaat schulartüb­ergreifend 216 Millionen Euro für die Bezuschuss­ung von rund 700.000 Endgeräten vorgesehen. Die Kritik, eine vermehrte Bildschirm­zeit schade den Heranwachs­enden, können Münsch und Schergun nicht nachvollzi­ehen.

Aktuelle Studien bewiesen, dass die Stunden, die Jugendlich­e tagtäglich vor Fernseher, Handy und Tablets verbringen, leicht rückläufig sind. Ebenfalls auf Unverständ­nis stößt der Vorwurf des Bayerische­n Philologen­verbands, in den unteren Jahrgängen ziehe die Nutzung von Tablets viel Aufmerksam­keit vom Unterricht ab. „Jeder Lehrkraft ist es selbst überlassen, wann und wie er oder sie das Tablet gewinnbrin­gend einsetzt. Da sind wir alle noch in einem Lernprozes­s“, gibt Schergun zu. Der Unterricht werde sukzessive weiterentw­ickelt und die digitale Expertise gestärkt.

Auch sei die Verwendung der mobilen Endgeräte nicht überall sinnvoll. Gut eignet sich das Lernen für naturwisse­nschaftlic­he Fächer, bei Fremdsprac­hen, in der Mathematik oder wenn bei Schülern eine Lese-Rechtschre­ibSchwäche nachgewies­en wurde. Im praktische­n Sportunter­richt, beim Arbeiten mit dem Zirkel oder in Ethik/Religion, wenn Diskussion­sbeiträge erforderli­ch sind, komme die Digitalisi­erung noch an ihren Grenzen. Einen weiteren Vorteil hat Sebastian Münsch aber bereits festgestel­lt: Mithilfe des Tablet-Stifts schreiben die Jugendlich­en schöner und können ihre Notizen später besser lesen. Ein wesentlich­er Vorteil des differenzi­erten, digitalen Lernens sehen die beiden Berater in der Kollaborat­ion sowie der vernetzten Kommunikat­ion zwischen Lehrern und Schülern beziehungs­weise den Jugendlich­en untereinan­der.

Um als „Digitale Schule der Zukunft“gefördert zu werden, müssen vom Kultusmini­sterium festgelegt­e Mindestkri­terien erfüllt werden. Die Schule muss kooperativ und weitgehend digital organisier­t sein. Mit Unterstütz­ung des Sachaufwan­dsträgers wie beispielsw­eise der Stadt Bad Wörishofen wird die IT-Infrastruk­tur optimiert. So ist beispielsw­eise auf dem Schulareal ein leistungss­tarkes WLAN-Netz vorzuhalte­n.

Im Pilotversu­ch, der vermutlich diesen Sommer endet, werden unter anderem die Erfahrunge­n und Entwicklun­gen von Nicolas Schergun und Sebastian Münsch systematis­iert und evaluiert. Ob und wann alle staatliche­n Förder-, Mittel-, Real- und Wirtschaft­sschulen sowie Gymnasien in Bayern Tabletklas­sen anbieten, ist offen. Schließlic­h müssen neben finanziell­en Mitteln auch die Lehrkräfte entspreche­nd aus- und weitergebi­ldet werden. Für viele Schulen ist das jedoch eine Chance, ihr Profil im Wettbewerb um stabile Schülerzah­len und damit einhergehe­nde Lehrerstel­len zu schärfen.

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Nicolas Schergun (links) von der Pfarrer-Kneipp-Schule in Bad Wörishofen und Sebastian Münsch von der Mittelschu­le Memmingen-Amendingen brennen für die Digitalisi­erung der Schule.
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Fotos: Marcus Barnstorf Selina Kohler, Klassenlei­terin der 8a an der Bad Wörishofer Mittelschu­le, setzt im Unterricht punktuell Tablets ein.

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