Nachbarschaftsstreit zwischen zwei Ettringer Großunternehmen
Die Papierfabrik Lang/UPM klagt gegen den Neubau eines Ölkraftwerks der Nachbarfirma Aviretta. Jetzt stehen sich beide Firmen vor dem Verwaltungsgericht Augsburg gegenüber.
Hinter den bürokratischen Begriffen verbirgt sich ein handfester Nachbarschaftsstreit: Das Ettringer Unternehmen Papierfabrik Lang (UPM) klagt gegen den Freistaat Bayern wegen „immissionsschutzrechtlicher Genehmigung“und „Vollzug des Bundesimmissionsschutzgesetzes“. Zur Verhandlung beigeladen ist die Firma Aviretta, der direkte Nachbar von UPM. Warum beharken sich die beiden Unternehmen vor dem Verwaltungsgericht Augsburg, dessen 9. Kammer am Montag, 18. März, um 9 Uhr, in mündlicher und öffentlicher Verhandlung über diesen Vorgang entscheiden soll? Hintergrund ist die Genehmigung des von Aviretta geplanten Ölkraftwerkes – und offenbar wirtschaftliche Interessen beider Unternehmen. Die beiden Firmenchefs Carl Pawlowsky (Aviretta) und Wolfgang Ohnesorg (UPM) waren auf Anfrage unserer Redaktion nicht zu einer Stellungnahme bereit.
Gleich drei Aktenzeichen muss die 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Augsburg an diesem Verhandlungstag abhandeln – doch im Grunde handelt es sich um ein einziges Verfahren, wie ein Sprecher des Verwaltungsgerichts auf Anfrage unserer Redaktion erläuterte. Geklagt hat das Ettringer Unternehmen Papierfabrik Lang GmbH (UPM) gegen den Freistaat Bayern und damit indirekt auch gegen das Landratsamt Unterallgäu, das als Aufsichtsbehörde einen entsprechenden Beschluss des Ettringer Gemeinderates geprüft und genehmigt hatte. Der Ettringer Gemeinderat hat im Som- mer 2023 grünes Licht für den Bau eines Ölheizkraftwerks durch Aviretta gegeben.
Aviretta wolle seine Energieversorgung auf eine „breitere Basis stellen“, erklärte Allein-Gesellschafter Carl Pawlowsky damals dem Ettringer Gemeinderat. Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sei der Gaspreis zeitweise um bis das Zehnfache gestiegen, was die Herstellung von Wellpappe bei Aviretta zum Verlustgeschäft gemacht habe, so Pawlowsky damals. Eine preiswertere Alternative zum Gas sei leichtes Heizöl, die dafür benötigten Tanks mit insgesamt 300 Kubikmetern Fassungsvermögen wurden in eine der Hallen von Aviretta eingebaut, mit dem neuen Ölkraftwerk soll
dann der enorme Energiebedarf für die Prozessdampferzeugung bei Aviretta gedeckt werden.
Dabei verfügt das Unternehmen Aviretta über Gas im Überfluss, das als Biogas bei der Aufbereitung des Abwassers in der fabrikeigenen Kläranlage anfalle, so Pawlowski im Ettringer Gemeinderat. Dieses „Biogas“stellt Aviretta dem Nachbarunternehmen UPM als zusätzlichen Brennstoff für dessen Gaskraftwerk zur Verfügung. Allerdings übersteigt das Angebot den Bedarf von UPM, sodass Aviretta den Rest abfackeln muss. Diese Restgasfackel war zunächst nur für den Notbetrieb ausgelegt. Inzwischen hat das Landratsamt (Immissionsschutz) auf Antrag der Firma Aviretta dem Betrieb an 2000 Stunden im Jahr zugestimmt. Auch über den Reinheitsgehalt des Biogases von Aviretta wurde schon gestritten, das sich offenbar nicht zur Verbrennung im UPM-Kessel eigne.
Aus der Genehmigung gehen die Gründe für diese nun großzügige
Nutzungserweiterung nicht hervor, auch nicht, welche Mengen CO2 und beispielsweise Partikel bei der Verbrennung freigesetzt werden. Allerdings weist das Landratsamt in seinem Bescheid vom 3. Februar 2022 auf die grundsätzliche Genehmigungspflicht von Gasfackeln hin. Lediglich auf eine öffentliche Auslegung des Vorhabens könne auf Wunsch des Antragstellers Aviretta verzichtet werden, hieß es bei der Sitzung im Sommer 2023. Zum Bedauern der Ettringer Markträte kam auch eine Nutzung der Abwärme der beiden Papierfabriken zur Beheizung des benachbarten Raiffeisenmarktes nicht wie erhofft zustande.
Eine komplizierte Ausgangslage, auf die sich die Verwaltungsrichter jetzt einstellen müssen, denn die Papierfabrik Lang/UPM hat gegen das Okay des Gemeinderates und daran anschließende Okay des Landratsamtes als Vertreter des Freistaates Bayern vor Ort Klage eingereicht. Wie ein Sprecher des Verwaltungsgerichts unserer Redaktion auf Anfrage erklärte, gehe es um die Sorge der Firma Lang/UPM, dass durch den
Neubau des Aviretta-Kraftwerkes mögliche Schäden am UPM-Kraftwerk entstehen könnten, so der Gerichtssprecher. Welche Schäden das sein könnten und welche Auswirkungen der Bau eines zusätzlichen Kraftwerks auf die Umweltbelastungen durch die Heizkraftwerke haben werde, sei dann ebenfalls Bestandteil des Verfahrens. Die Kammer des Verwaltungsgerichts werde letztlich darüber entscheiden müssen, ob und wenn ja, welche Rechte des Klägers UPM durch die Pläne von Aviretta berührt werden – oder eben nicht. Ob dazu noch Gutachten eingeholt werden müssen, werde sich erst in der mündlichen Verhandlung zeigen.
Seit Jahren liegen sich die Nachbarunternehmen über die Nutzung der Energie aus dem UPM-Gasheizkraftwerk und den Einsatz von Aviretta-Biogas in den Haaren, der Streit blieb aber meist hinter den Kulissen. Knackpunkt sei die Verwertung des bei der Klärung des Abwassers anfallenden Biogases, das eigentlich zur Befeuerung eines Heizkessels bei UPM verwendet werden sollte. Dieser Heizkessel liefert dann wieder Dampf an Aviretta zurück, das dort zur Produktion von hochwertigem Verpackungspapier verwendet wird. Stimmen aber die vorgeschriebenen Grenzwerte des Biogases nicht, dann kann das Biogas nicht wie geplant in dem empfindlichen Heizkessel verbrannt werden, der sonst Schaden nehmen würde. Anstatt das Biogas also zu verwerten, werde das Gas nutzlos durch den Schornstein gejagt, wundern sich Kritiker.
Beide Unternehmen haben eine gemeinsame Entstehungsgeschichte und gingen aus der im Jahr 1897 gegründeten HolzstoffFabrik der Gebrüder Lang hervor. Aviretta wurde von Carl Pawlowsky gegründet und hat im Jahr 2013 die Papiermaschine 4 gekauft, die von UPM stillgelegt worden war.
Diese Papiermaschine produziert pro Jahr rund 150.000 Tonnen sogenanntes Wellpappen-Rohpapier, das in Deutschland und dem benachbarten Ausland zur Herstellung von Verpackungen und Kartonagen verwendet wird. Aviretta investierte kräftig, damit an der früheren UPM-Maschine das „braune Papier“produziert werden kann, mit dem der boomende Verpackungsmittelmarkt beliefert wird. Um eine maximale Belastbarkeit zu garantieren, wird das ausschließlich aus Altpapier recycelte Verpackungspapier mit einer hauchdünnen Stärkeschicht überzogen. Um dann jedoch wieder den geforderten Trocknungsgrad zu erreichen, ist hoher Dampfdruck nötig, der im Heizkessel der UPM hergestellt und wieder an Aviretta geliefert wird.
Wolfgang Ohnesorg leitet seit 2026 das Ettringer Werk der Ettringer Papierfabrik Lang, die ein Teil des finnischen UPM-Konzerns ist und am Standort Ettringen jährlich bis zu 300.000 Tonnen grafische Papiere produziert.
Mit Betrieb der Papiermaschine 5 beschäftigt die Firma rund 250 Mitarbeiter und gehört damit noch immer zu den größten Industriebetrieben in der Umgebung. Die Papiermaschine 5 der Gebrüder Lang GmbH Papierfabrik in Ettringen, die Magazin- und Zeitungsdruckpapiere mit einer Jahreskapazität von 300.000 Tonnen produziert, feierte 2019 ihre 20-jährige Inbetriebnahme.