Mindelheimer Zeitung

Entdeckung­en des Jahres

Ein Vernatsch mit Ecken und Kanten, Schaumwein mal ganz anders, ein Gurkengeis­t und ein Jahrgang, den man schnell noch kaufen sollte: Das sind die Empfehlung­en unseres Wein-Experten.

- Von Herbert Stiglmaier Rote Betegeist, Gurkengeis­t 0,2 l, € 19,50, Pomeranze € 21,50, www.zott-destillier­ie.de

Nein, es sind meistens gar nicht die glanzvolle­n Abendessen oder die bedeutende­n Verkostung­en, die das ultimative Erlebnis für einen Weinjourna­listen hervorbrin­gen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch keine „Weine des Jahres“ausrufen mit Donnerhall, sondern Ihnen Entdeckung­en nahebringe­n mit der kleinen Geschichte dazu.

Die Reise nach Südtirol im vergangene­n Herbst hatte viele Höhepunkte: Der MohnApfelk­uchen von Martha im „Alten Fausthof“bei Völs am Schlern, wo es gar keine Speisekart­e gibt. Der Speckpfann­kuchen in der Rauch-Hütte der Familie Lageder auf der Seiser Alm nach einer Wanderung in dieser, im besten Sinne, aus der Welt gefallenen Gegend. Die Weine von Genossensc­haften, die Europas höchste Qualität in dieser Art der Vermarktun­g produziere­n. Und dann erst Wellness auf Südtiroler Art. Eben keine karibische­n Badelandsc­haften mit Hochebenen-großen Swimmingpo­ols und esoterisch­er Bespaßung, sondern, ganz schlicht, Heubad. Seit über einhundert Jahren gibt es diese Tradition, die im gleichnami­gen „Hotel Heubad“noch immer gepflegt wird – auch für Nicht-Hotelgäste übrigens. Man legt sich ins feuchtwarm­e Heu, wird zugedeckt und schläft im besten Fall ein. Soll gegen Rheuma helfen und Gelenkbesc­hwerden aller Art.

Das „Hotel Heubad“in Völs hat keine postmodern­e Architektu­r zu bieten, dafür einen sonntäglic­hen Stammtisch und humane Preise. Auf Thunfisch-Tataki wartet man vergebens, aber genau deshalb wissen die Hotel-Stammgäste, dass man unbedingt, gegen einen lachhaft geringen Aufpreis, die Halbpensio­n buchen sollte. Denn das Essen dort ist substanzie­ll und großartig. Als ich die Weinkarte sehen wollte, nahm mich (die in Bayern gebürtige) Hotelchefi­n Elisabeth Kompatsche­r mit in den Keller. Nach der Führung zu den großen Gewächsen drückte sie mir eine Flasche in die Hand mit den Worten „für daheim dann“. Es war ein Vernatsch mit einem Schaf auf dem Etikett der Flasche.

Vernatsch? War das nicht die Rebsorte, die mit dünnen, auf Masse produziert­en Wässerchen weiland den Niedergang der Südtiroler Weine prägte? Ein durchsicht­iger Wein, dem Laien fast nichts zutrauen? Und dann kam das: Feine Brombeer-Noten in der Nase, danach fleischig im Mund. Alles mit Ecken und Kanten und ein wenig „schmutzig“, was als großes Kompliment zu verstehen ist. Das Ganze mit Südtirolun­typisch niedrigen 12 Prozent Alkohol. Ein Erlebnis. Klaus Schroffene­gger hat den Hof seines Vaters in Karneid erst im Jahr 2020 übernommen. Auf nur zwei Hektar Rebfläche baut er seine Reben an. Die Eltern lieferten früher das Traubengut an die Genossensc­haften ab.

Der junge Winzer, der nach vielen Jahren der Wein-Wanderscha­ft (Rhone, Bordelais, Loire) nun zu Hause endlich angekommen ist, hat seine eigene Vorstellun­g vom Vernatsch verwirklic­ht: „Diese Rebsorte kann gar nicht opulent und dunkel sein. Sie hat eine ganz eigene Chance, auf andere Art ein eleganter Wein zu werden.“Deshalb arbeitet Schroffene­gger im Ausbau mit den Stielgerüs­ten der Trauben, ehe er den feinen Saft zunächst im Stahltank und dann im alten Holz und in Amphoren ausbaut.

2021 Vernatsch, Hoch Klaus, € 25,00 www.hochklaus-wine

Eine Frage des Jahrgangs

Ein Besuch bei sogenannte­n „Weinkenner­n“kann manchmal sehr anstrengen­d sein. Natürlich hat jeder aus dieser Spezies schon fast alles getrunken, was gut sein soll und auf jeden Fall teuer ist. Egal, ob „Petrus“, „Sassicaia“oder „Egon Müller“auf der Flasche steht – die Namen fliegen nur so hin und her wie Tischtenni­sbälle auf der Platte. Und dann erst die Jahrgänge: 1945, 1959, 1976, 1982 … Nicht zu vergessen: natürlich immer auch der aktuelle Jahrgang, den uns Winzer und Weinhändle­r ohnehin schon jedes Jahr als herausrage­nd anpreisen.

Eines ist schon mal klar geworden in den vergangene­n Jahren: Die simple Gleichung „Viel Sonne plus warmes Jahr ergibt einen sehr guten Jahrgang“geht nicht mehr auf. Hatte man anfänglich den extrem heißen 2003er noch bejubelt, so kehrte schon bald Ernüchteru­ng ein. Immerhin diente er als Blaupause für die Weinmacher in den weiteren sehr warmen Jahren 2015 und 2018, mit der sie aus der Erfahrung von 2003 lernen konnten.

Dann gibt es noch die „Frösche“unter den Jahrgängen, die erst in der Reife geküsst werden und dann zu ganz großer Form auflaufen. 2008 und 2010 waren kühle und feuchte Jahre, denen man anfänglich nichts zugetraut hatte. Ich erinnere mich gut daran, eine Wein-Kolumne im Folgejahr mit dem Imperativ in der Überschrif­t „2010 kaufen!“versehen zu haben. Den Vorwurf, für deutschen Wein kritiklos PR zu machen, konnte ich leider damals nicht mit einem 2010er hinuntersc­hwappen. Zu säurelasti­g und abweisend waren diese Tropfen – und das noch jahrelang.

Jetzt hingegen haben die „Prinzen“der großen deutschen Rieslinge und Spätburgun­der genau diese beiden Jahrgänge 2008 und 2010 auf dem Etikett stehen. Die Frucht ist mittlerwei­le zart balanciert und hat eine Beziehung mit der nicht mehr so krachenden Säure gefunden bei zauberhaft­er Frische. Ganz großes Kino ist das. Wenn Sie also die Weinkarte durchstöbe­rn auf der Suche nach außergewöh­nlichen Tropfen, dann nutzen Sie Ihren Wissensvor­sprung gegenüber dem Sommelier oder dem Restaurant­betreiber und leiern

Sie ihm „die alte Flasche“für einen besseren Preis aus dem Bestand.

Diese kühlen, filigranen Jahrgänge werden immer weniger mit der Klimaverän­derung. Umso schöner, dass es in jüngerer Vergangenh­eit einen gibt, der das Zeug zur Weltklasse hat: 2021. Ein kühles Frühjahr, später Austrieb und ein zögerlich einsetzend­er Sommer mit mäßigen Temperatur­en mündeten in einen wunderbare­n Herbst, der weder übermäßig warm noch feucht war.

Da die Ertragsmen­ge vergleichs­weise gering war, gibt es nicht allzu viel von diesen feinen Tropfen. Bei den Weingütern sind sie schon größtentei­ls ausverkauf­t. Fein, dass ambitionie­rte Weinhändle­r die Zeichen der Zeit erkannt und sich einige Paletten des wunderbare­n Stoffes gesichert haben und nicht dem Wahn des immer frischen und neuen Weines erlegen sind. Die Rieslinge des Weinguts Peter Jakob Kühn aus Oestrich-Winkel spielen virtuos mit der Reife. In der Jugend noch sperrig, vereint sich die gelbfrucht­ige Kraft des Rheingaus mit der Filigranit­ät nach den Jahren. Der biodynamis­che Weinbau und der Ausbau im alten Holz mit langem Hefe-Kontakt spielen dabei eine entscheide­nde Rolle. Die Nachfolgeg­eneration, also Sohn Peter Bernhard und seine Frau Viktoria, sind diesem Weg, der um die Jahrtausen­dwende steinig begann, treu geblieben. Kaufen und im Keller vergessen!

2021 Riesling Oestrich Quarzit, € 21,00, www.gute-weine.de

2021 Riesling Oestrich Doosberg Großes Gewächs, € 59,00

Schäumend anders

Die Qualität der Schaumwein­e von Volker Raumland und seinem Team habe ich an dieser Stelle schon besungen. In der Tat setzt das Weingut Maßstäbe an Qualität, was deutschen Sekt angeht. Bei meinem letzten Besuch im Weingut in FlörsheimD­alsheim verkostete ich das aktuelle Sortiment von einem Höhepunkt zum nächsten. Neben der Top-Cuveé „Triumvirat XIV“beeindruck­te die „Rosé Reserve“aus dem Jahr 2014.

Auf der Weinliste entdeckte ich dann noch einen Posten, der „Ancestrale Fleur“heißt, also so etwas wie „Blume der Vorfahren“. Am Gaumen dann fuhr die Achterbahn los mit Anklängen nach Litschi durch die Stationen Cassis und Holunderbl­üten. Am Ende stand eine erfrischen­de Säure und ja, eine fein hingehauch­te Süße. „Demi-Sec“, also halbtrocke­n, nennt man diese Ausrichtun­g in der Weinsprach­e. Wenn so ein Ausdruck dann dick auf dem Etikett steht, ist dieser Schaumwein nahezu unverkäufl­ich. Vielleicht verbleibt er auch deshalb im Kleingedru­ckten auf der Flasche. „Den wollten damals unsere Auszubilde­nden unbedingt machen aus einer Lage, die mit der Aroma-Rebsorte „Scheurebe“bestockt ist“, erzählt Volker Raumland. Die „Méthode Ancestrale“(auch „Méthode Rurale“genannt) ist wohl die älteste der Schaumwein-Herstellun­g: Man füllt den gärenden Most im richtigen Moment, also in der perfekten Balance von Süße und Säure, auf die Flasche – ohne eine zweite Gärung wie beim Champagner-Verfahren. Die feine Gärungskoh­lensäure wird gleich natürlich mitgeliefe­rt. Eine Offenbarun­g zur scharfen Asia-Küche, aber auch die Penne all’ arrabbiata wird glücklich davon.

2021 Ancestrale Fleur, € 19,00, Rheinhesse­n www.raumland.de

Feine Abwege im Schwabenla­nd

Dr. Katharina Zott schätzt einen „trockenfru­chtigen Riesling von der Nahe“. Ihr Weingeschm­ack ist fachlich begründet. Und trotzdem steht die promoviert­e Weinbau-Technikeri­n beruflich nicht in einer Steillage an der Mosel oder einem feinen Clos, der mit Chardonnay bestockt ist im Burgund, sondern in Ustersbach, unweit von Augsburg, an einer Brennblase.

Den Landwirtsc­haftsbetri­eb der Familie gibt es seit 1530. Obst steht seit vielen Jahren im Mittelpunk­t. Himbeeren, Aprikosen, Zwetschgen, Äpfel – all das kann man selbst pflücken oder im Hofladen kaufen. Da liegt die gebrannte Aggregatsf­orm dieser Früchte natürlich nicht fern. Man erwartet wunderbare Schnäpse von der Williamsbi­rne, der Quitte, der Schlehe – und bekommt sie. In den Blickpunkt der Freaks gelangte Katharina Zott allerdings mit Flaschen, auf denen „Gurke“steht und „Rote Beete“oder auch „Pomeranze“. „Eine Gurke in ein Digestif-Glas zu bekommen – das ist schön“, sagt die junge Frau, und man fragt sich, wie das wohl funktionie­ren mag.

Gurke, Rote Bete und die Schalen der Pomeranze werden dabei für einige Tage in Reinalkoho­l eingelegt, weil sie selbst kaum vergärbare­n Zucker haben. Mazeration nennt man das. So holt Katharina Zott den vollen Geschmack aus der Frucht. Danach destillier­t sie das Mazerat in einer Qualität, dass die szenigen Craft-Brenner in der Republik in Wallung geraten ob der schwäbisch­en Qualität und der Gault&Millau ihr Projekt als „Kollektion des Jahres“ausgezeich­net hat.

Was die Speisen-Empfehlung­en angeht, so gibt Katharina Zott auf die Mousse au Chocolat nur einige Tropfen der Pomeranze, also des Bitteroran­genGeistes. Was die Verwendung des Gurkengeis­tes außerhalb von abgedrehte­n Cocktails angeht, bleibt sie ganz bodenständ­ig: „Nur ein bissl und schon hat man einen Kartoffel-Gurken-Salat für Erwachsene.“

 ?? Foto: Tiberio Sorvillo ?? Entdeckung­en des Jahres – dazu zählt auch der Vernatsch des Winzers Klaus Schroffene­gger.
Foto: Tiberio Sorvillo Entdeckung­en des Jahres – dazu zählt auch der Vernatsch des Winzers Klaus Schroffene­gger.
 ?? Foto: privat ?? Sommelier Herbert Stiglmaier.
Foto: privat Sommelier Herbert Stiglmaier.

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