Entdeckungen des Jahres
Ein Vernatsch mit Ecken und Kanten, Schaumwein mal ganz anders, ein Gurkengeist und ein Jahrgang, den man schnell noch kaufen sollte: Das sind die Empfehlungen unseres Wein-Experten.
Nein, es sind meistens gar nicht die glanzvollen Abendessen oder die bedeutenden Verkostungen, die das ultimative Erlebnis für einen Weinjournalisten hervorbringen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch keine „Weine des Jahres“ausrufen mit Donnerhall, sondern Ihnen Entdeckungen nahebringen mit der kleinen Geschichte dazu.
Die Reise nach Südtirol im vergangenen Herbst hatte viele Höhepunkte: Der MohnApfelkuchen von Martha im „Alten Fausthof“bei Völs am Schlern, wo es gar keine Speisekarte gibt. Der Speckpfannkuchen in der Rauch-Hütte der Familie Lageder auf der Seiser Alm nach einer Wanderung in dieser, im besten Sinne, aus der Welt gefallenen Gegend. Die Weine von Genossenschaften, die Europas höchste Qualität in dieser Art der Vermarktung produzieren. Und dann erst Wellness auf Südtiroler Art. Eben keine karibischen Badelandschaften mit Hochebenen-großen Swimmingpools und esoterischer Bespaßung, sondern, ganz schlicht, Heubad. Seit über einhundert Jahren gibt es diese Tradition, die im gleichnamigen „Hotel Heubad“noch immer gepflegt wird – auch für Nicht-Hotelgäste übrigens. Man legt sich ins feuchtwarme Heu, wird zugedeckt und schläft im besten Fall ein. Soll gegen Rheuma helfen und Gelenkbeschwerden aller Art.
Das „Hotel Heubad“in Völs hat keine postmoderne Architektur zu bieten, dafür einen sonntäglichen Stammtisch und humane Preise. Auf Thunfisch-Tataki wartet man vergebens, aber genau deshalb wissen die Hotel-Stammgäste, dass man unbedingt, gegen einen lachhaft geringen Aufpreis, die Halbpension buchen sollte. Denn das Essen dort ist substanziell und großartig. Als ich die Weinkarte sehen wollte, nahm mich (die in Bayern gebürtige) Hotelchefin Elisabeth Kompatscher mit in den Keller. Nach der Führung zu den großen Gewächsen drückte sie mir eine Flasche in die Hand mit den Worten „für daheim dann“. Es war ein Vernatsch mit einem Schaf auf dem Etikett der Flasche.
Vernatsch? War das nicht die Rebsorte, die mit dünnen, auf Masse produzierten Wässerchen weiland den Niedergang der Südtiroler Weine prägte? Ein durchsichtiger Wein, dem Laien fast nichts zutrauen? Und dann kam das: Feine Brombeer-Noten in der Nase, danach fleischig im Mund. Alles mit Ecken und Kanten und ein wenig „schmutzig“, was als großes Kompliment zu verstehen ist. Das Ganze mit Südtiroluntypisch niedrigen 12 Prozent Alkohol. Ein Erlebnis. Klaus Schroffenegger hat den Hof seines Vaters in Karneid erst im Jahr 2020 übernommen. Auf nur zwei Hektar Rebfläche baut er seine Reben an. Die Eltern lieferten früher das Traubengut an die Genossenschaften ab.
Der junge Winzer, der nach vielen Jahren der Wein-Wanderschaft (Rhone, Bordelais, Loire) nun zu Hause endlich angekommen ist, hat seine eigene Vorstellung vom Vernatsch verwirklicht: „Diese Rebsorte kann gar nicht opulent und dunkel sein. Sie hat eine ganz eigene Chance, auf andere Art ein eleganter Wein zu werden.“Deshalb arbeitet Schroffenegger im Ausbau mit den Stielgerüsten der Trauben, ehe er den feinen Saft zunächst im Stahltank und dann im alten Holz und in Amphoren ausbaut.
2021 Vernatsch, Hoch Klaus, € 25,00 www.hochklaus-wine
Eine Frage des Jahrgangs
Ein Besuch bei sogenannten „Weinkennern“kann manchmal sehr anstrengend sein. Natürlich hat jeder aus dieser Spezies schon fast alles getrunken, was gut sein soll und auf jeden Fall teuer ist. Egal, ob „Petrus“, „Sassicaia“oder „Egon Müller“auf der Flasche steht – die Namen fliegen nur so hin und her wie Tischtennisbälle auf der Platte. Und dann erst die Jahrgänge: 1945, 1959, 1976, 1982 … Nicht zu vergessen: natürlich immer auch der aktuelle Jahrgang, den uns Winzer und Weinhändler ohnehin schon jedes Jahr als herausragend anpreisen.
Eines ist schon mal klar geworden in den vergangenen Jahren: Die simple Gleichung „Viel Sonne plus warmes Jahr ergibt einen sehr guten Jahrgang“geht nicht mehr auf. Hatte man anfänglich den extrem heißen 2003er noch bejubelt, so kehrte schon bald Ernüchterung ein. Immerhin diente er als Blaupause für die Weinmacher in den weiteren sehr warmen Jahren 2015 und 2018, mit der sie aus der Erfahrung von 2003 lernen konnten.
Dann gibt es noch die „Frösche“unter den Jahrgängen, die erst in der Reife geküsst werden und dann zu ganz großer Form auflaufen. 2008 und 2010 waren kühle und feuchte Jahre, denen man anfänglich nichts zugetraut hatte. Ich erinnere mich gut daran, eine Wein-Kolumne im Folgejahr mit dem Imperativ in der Überschrift „2010 kaufen!“versehen zu haben. Den Vorwurf, für deutschen Wein kritiklos PR zu machen, konnte ich leider damals nicht mit einem 2010er hinunterschwappen. Zu säurelastig und abweisend waren diese Tropfen – und das noch jahrelang.
Jetzt hingegen haben die „Prinzen“der großen deutschen Rieslinge und Spätburgunder genau diese beiden Jahrgänge 2008 und 2010 auf dem Etikett stehen. Die Frucht ist mittlerweile zart balanciert und hat eine Beziehung mit der nicht mehr so krachenden Säure gefunden bei zauberhafter Frische. Ganz großes Kino ist das. Wenn Sie also die Weinkarte durchstöbern auf der Suche nach außergewöhnlichen Tropfen, dann nutzen Sie Ihren Wissensvorsprung gegenüber dem Sommelier oder dem Restaurantbetreiber und leiern
Sie ihm „die alte Flasche“für einen besseren Preis aus dem Bestand.
Diese kühlen, filigranen Jahrgänge werden immer weniger mit der Klimaveränderung. Umso schöner, dass es in jüngerer Vergangenheit einen gibt, der das Zeug zur Weltklasse hat: 2021. Ein kühles Frühjahr, später Austrieb und ein zögerlich einsetzender Sommer mit mäßigen Temperaturen mündeten in einen wunderbaren Herbst, der weder übermäßig warm noch feucht war.
Da die Ertragsmenge vergleichsweise gering war, gibt es nicht allzu viel von diesen feinen Tropfen. Bei den Weingütern sind sie schon größtenteils ausverkauft. Fein, dass ambitionierte Weinhändler die Zeichen der Zeit erkannt und sich einige Paletten des wunderbaren Stoffes gesichert haben und nicht dem Wahn des immer frischen und neuen Weines erlegen sind. Die Rieslinge des Weinguts Peter Jakob Kühn aus Oestrich-Winkel spielen virtuos mit der Reife. In der Jugend noch sperrig, vereint sich die gelbfruchtige Kraft des Rheingaus mit der Filigranität nach den Jahren. Der biodynamische Weinbau und der Ausbau im alten Holz mit langem Hefe-Kontakt spielen dabei eine entscheidende Rolle. Die Nachfolgegeneration, also Sohn Peter Bernhard und seine Frau Viktoria, sind diesem Weg, der um die Jahrtausendwende steinig begann, treu geblieben. Kaufen und im Keller vergessen!
2021 Riesling Oestrich Quarzit, € 21,00, www.gute-weine.de
2021 Riesling Oestrich Doosberg Großes Gewächs, € 59,00
Schäumend anders
Die Qualität der Schaumweine von Volker Raumland und seinem Team habe ich an dieser Stelle schon besungen. In der Tat setzt das Weingut Maßstäbe an Qualität, was deutschen Sekt angeht. Bei meinem letzten Besuch im Weingut in FlörsheimDalsheim verkostete ich das aktuelle Sortiment von einem Höhepunkt zum nächsten. Neben der Top-Cuveé „Triumvirat XIV“beeindruckte die „Rosé Reserve“aus dem Jahr 2014.
Auf der Weinliste entdeckte ich dann noch einen Posten, der „Ancestrale Fleur“heißt, also so etwas wie „Blume der Vorfahren“. Am Gaumen dann fuhr die Achterbahn los mit Anklängen nach Litschi durch die Stationen Cassis und Holunderblüten. Am Ende stand eine erfrischende Säure und ja, eine fein hingehauchte Süße. „Demi-Sec“, also halbtrocken, nennt man diese Ausrichtung in der Weinsprache. Wenn so ein Ausdruck dann dick auf dem Etikett steht, ist dieser Schaumwein nahezu unverkäuflich. Vielleicht verbleibt er auch deshalb im Kleingedruckten auf der Flasche. „Den wollten damals unsere Auszubildenden unbedingt machen aus einer Lage, die mit der Aroma-Rebsorte „Scheurebe“bestockt ist“, erzählt Volker Raumland. Die „Méthode Ancestrale“(auch „Méthode Rurale“genannt) ist wohl die älteste der Schaumwein-Herstellung: Man füllt den gärenden Most im richtigen Moment, also in der perfekten Balance von Süße und Säure, auf die Flasche – ohne eine zweite Gärung wie beim Champagner-Verfahren. Die feine Gärungskohlensäure wird gleich natürlich mitgeliefert. Eine Offenbarung zur scharfen Asia-Küche, aber auch die Penne all’ arrabbiata wird glücklich davon.
2021 Ancestrale Fleur, € 19,00, Rheinhessen www.raumland.de
Feine Abwege im Schwabenland
Dr. Katharina Zott schätzt einen „trockenfruchtigen Riesling von der Nahe“. Ihr Weingeschmack ist fachlich begründet. Und trotzdem steht die promovierte Weinbau-Technikerin beruflich nicht in einer Steillage an der Mosel oder einem feinen Clos, der mit Chardonnay bestockt ist im Burgund, sondern in Ustersbach, unweit von Augsburg, an einer Brennblase.
Den Landwirtschaftsbetrieb der Familie gibt es seit 1530. Obst steht seit vielen Jahren im Mittelpunkt. Himbeeren, Aprikosen, Zwetschgen, Äpfel – all das kann man selbst pflücken oder im Hofladen kaufen. Da liegt die gebrannte Aggregatsform dieser Früchte natürlich nicht fern. Man erwartet wunderbare Schnäpse von der Williamsbirne, der Quitte, der Schlehe – und bekommt sie. In den Blickpunkt der Freaks gelangte Katharina Zott allerdings mit Flaschen, auf denen „Gurke“steht und „Rote Beete“oder auch „Pomeranze“. „Eine Gurke in ein Digestif-Glas zu bekommen – das ist schön“, sagt die junge Frau, und man fragt sich, wie das wohl funktionieren mag.
Gurke, Rote Bete und die Schalen der Pomeranze werden dabei für einige Tage in Reinalkohol eingelegt, weil sie selbst kaum vergärbaren Zucker haben. Mazeration nennt man das. So holt Katharina Zott den vollen Geschmack aus der Frucht. Danach destilliert sie das Mazerat in einer Qualität, dass die szenigen Craft-Brenner in der Republik in Wallung geraten ob der schwäbischen Qualität und der Gault&Millau ihr Projekt als „Kollektion des Jahres“ausgezeichnet hat.
Was die Speisen-Empfehlungen angeht, so gibt Katharina Zott auf die Mousse au Chocolat nur einige Tropfen der Pomeranze, also des BitterorangenGeistes. Was die Verwendung des Gurkengeistes außerhalb von abgedrehten Cocktails angeht, bleibt sie ganz bodenständig: „Nur ein bissl und schon hat man einen Kartoffel-Gurken-Salat für Erwachsene.“