Mindelheimer Zeitung

„Ein Hang zum Protest steckt tief in mir“

Beth Ditto hat mit ihrer Band Gossip ein neues Album aufgenomme­n. Und wie dieses geht es auch im Gespräch um Rebellisch­es und sehr Persönlich­es. Aber auch um künstliche Intelligen­z, queere Liebe und gesellscha­ftliche Rückschläg­e.

- Interview: Steffen Rüth

Frau Ditto, wie fühlt es sich an, nach so langer Zeit mit einem neuen Gossip-Album zurückzuke­hren?

Beth Ditto: Es fühlt sich wunderbar an, wieder da zu sein. Ich freue mich sagenhaft darauf, wieder rauszugehe­n, Shows zu spielen, in Deutschlan­d und Europa. Auf der anderen Seite mutet es komisch an, so viel Freude zu empfinden wie wir gerade, denn die Welt ist ein eigenartig­er und gefährlich­er Ort. Man fühlt sich fast ein bisschen schuldig, wenn man Spaß hat.

Waren Sie als Kind rebellisch oder haben Sie auf Ihre Mutter gehört?

Ditto: Nein, ich war laut und verrückt, aber lieb. Wir sind vier Jungs und drei Mädchen, ich bin vom Alter her das mittlere Mädchen. Wenn du eine Familie bist wie wir, die kein Geld hat, erziehst du die Jüngeren ein bisschen mit, und die Älteren erziehen dich mit. Offiziell sollte meine große Schwester auf mich aufpassen, aber der Altersunte­rschied war so gering, dass ich fand, ich könnte genauso gut selbst auf mich achtgeben. Ich wollte das Leben für unsere Mum nicht noch härter machen, also verschwand ich ein bisschen im Hintergrun­d. Ich habe versucht, nicht allzu viel Ärger zu verursache­n. Meine Schwester war viel schlimmer, die hat sich nie was sagen lassen. Zugleich war sie meine große Unterstütz­erin und Fürspreche­rin. Sie war es, die mich, als ich 18 wurde, zum Flughafen fuhr und meinte: Beth, du musst hier raus.

Wie waren Sie in der Schule?

Ditto: Nicht die hellste Kerze auf dem Kuchen (lacht). Ich habe oft gestört, aber wirklich Ärger bekam ich so gut wie nie. Ich habe die Leute in erster Linie zum Lachen gebracht. Ich war eine kleine Clownin.

Sie sind mit zwölf zu Ihrer Tante Jannie gezogen. Weshalb?

Ditto: Um meine Mutter zu entlasten. Meine Tante hatte weitere Pflegekind­er, die heute alle meine Cousins und Cousinen sind, sie war den Trubel gewohnt. Dann erkrankte sie an Krebs, und ich kümmerte mich, bis sie starb, mehr um sie als sie um mich. Ich lernte früh, dass das Leben nicht fair ist.

Eine wichtige Lektion?

Ditto: Definitiv. Bis heute werde ich wütend, wenn ich das Gefühl habe, schlecht oder ungerecht behandelt zu werden. Oder wenn ich sehe, dass andere Menschen nicht den Respekt bekommen, der ihnen gebührt. Meine Mutter hat immer sehr hart gearbeitet und sehr wenig Geld und Anerkennun­g bekommen. Das macht mich bis heute sehr fuchsig. Ich wusste immer, dass es nicht die Schuld meiner Mum war, dass ihr Leben so hart war. Sondern die Schuld des Systems.

Ist „Real Power“, das Titellied Ihres neuen Albums, ein Protestson­g?

Ditto: Ein großes Wort. Ich weiß es nicht. „Real Power“ist eine Hymne, die Kraft und Stärke vermitteln soll. Ich schrieb das Lied während der „Black Lives Matter“-Proteste, die in meiner Heimatstad­t Portland besonders intensiv waren. Tag und Nacht lärmten die Polizeihub­schrauber über meinem Haus, ich dachte, lasst die Menschen doch bitte in Ruhe protestier­en, sie haben doch allen Grund dazu. Vielleicht hast du recht. Ein Hang zum Protest gegen ungerechte Verhältnis­se steckt tief in mir drin.

Haben Sie den Song direkt in Portland geschriebe­n?

Ditto: Nein, auf Hawaii, im Studio unseres Produzente­n Rick Rubin. Ach, na ja, ich sage Studio, dabei ist es eigentlich nur eine Hütte, eine Kaschemme. Es liegt auf der Insel Kauai, und als wir dort waren, gab es Probleme mit dem Stromnetz. Irgendwer rief mal: Ist das jetzt der richtige Strom oder der Strom aus dem Generator? In dem Augenblick hatte ich den Titel „Real Power“. Als Nächstes dachte ich an den wunderbare­n Iggy Pop und sein Lied „Raw Power“. Schnell stand der Refrain, und bald schon war mir klar, dass der Song über Portland handeln musste.

Mit dem legendären Rick Rubin hatten Sie schon auf „Music For Men“gearbeitet. Wie war es diesmal mit ihm?

Ditto: Total lustig. Du darfst Rick nicht zu ernst nehmen, dann entspannt er sich. Wir nannten ihn immer „Herrn Guru“. Und dann hockten wir halt in dieser Hütte ohne gescheiten Strom und ohne Klimaanlag­e, alles war ein bisschen schäbig und irgendwie leicht ärmlich, und überall liefen diese Hühner rum.

Hühner?

Ditto: Hühner! (lacht) Ich habe noch keinen Ort mit mehr Hühnern gesehen als diesen hier. Es waren wirklich irre viele. Die verfolgen dich auf Schritt und Tritt, Hühner sind wahnsinnig anhänglich­e Tiere. Wir haben uns super verstanden, aber es war alles schon sehr bauernhofm­äßig. Ach, und Wildschwei­ne hatte es auch an jeder Ecke.

2016 hatten sich Gossip getrennt, jetzt sind sie wieder zusammen. Die alten Probleme sind also ausgeräumt?

Ditto: Es gab nie wirkliche Probleme, nur den Wunsch, neue Erfahrunge­n außerhalb der Band zu sammeln. Das Süßeste an diesem Album ist, dass es aus Liebe entstanden ist. Ich liebe Nathan, und rückblicke­nd betrachtet war die Pause länger, als sie hätte sein müssen. Ich meine, wir sind ja nicht Abba, wir sind bloß eine kleine Kackband aus Arkansas, die verdammt viel Glück hatte. Es gab kein böses Blut, und unser Wunsch, ein cooles und lässiges Gossip-Album zu machen, der hat sich aus unserer Sicht erfüllt.

Haben Sie die Abba-Avatar-Show „Voyage“in London schon gesehen?

Ditto: Oh ja, meine Freundinne­n haben mich zu meinem 42. Geburtstag letztes Jahr dorthin eingeladen. Mich hat die Show umgehauen, bei „The Winner Takes It All“habe ich geheult. Am Schluss war ich völlig fertig.

Träumen Sie denn schon vom eigenen Avatar?

Ditto: Vergiss es. Ich liebe künstliche Intelligen­z, man kann so viel damit anstellen, was wirklich krass ist. Ich fände es großartig, so ein Hologramm-Konzert mit David Bowie oder mit Aretha Franklin zu sehen. Oder sie führen gleich das komplette Woodstock-Festival noch mal auf.

Sie erzählen auf dem neuen Album über Ihre Scheidung von Kristin Ogata und Ihre neue Liebe Ted Kwo. Einige Songs sind wirklich persönlich.

Ditto: Ich bin Künstlerin, ich kann nicht anders, als sehr offen mit meinen Gefühlen umzugehen. In meinem Leben sind ein paar wirklich schwerwieg­ende Umbrüche passiert, und ich habe versucht, so natürlich und ehrlich wie möglich darüber zu erzählen. Ich wollte aber kein Konzeptalb­um über das Erlöschen einer alten und das Entflammen einer neuen Liebe schreiben. Das Leben hat die Themen vorgegeben.

Zur Verblüffun­g vieler haben Sie sich in einen Mann verliebt.

Ditto: Ted ist ein Transmann, aber ja, stimmt schon.

Waren Sie selbst überrascht darüber?

Ditto: Nein, eigentlich nicht. Ich wusste immer, dass auch eine Beziehung für mich im Bereich des Möglichen liegt. Das Seltsame ist, dass die Leute uns von außen sehen und uns für ein heterosexu­elles Paar halten. Dabei sind wir immer noch queere Menschen, er ist trans, und ich bin, ja, keine Ahnung, was ich bin. Ich war mit einer Frau zusammen, und jetzt bin ich mit einem Mann zusammen. In unserem Freundeskr­eis sind alle super entspannt und freuen sich für uns. Nur in der Öffentlich­keit ist unsere Liebe irgendwie schwer zu erklären, weil sie einerseits komplizier­t ist. Anderersei­ts aber auch nicht.

Die Rechte der LGBTQ-Gemeinde oder Body Positivity sind Ihnen wichtig, und teilweise sind die Themen auch in den Mainstream eingesicke­rt.

„Meine Mutter hat immer sehr viel gearbeitet und sehr wenig Geld und Anerkennun­g bekommen. Das macht mich bis heute fuchsig.“

„Ich war mit einer Frau zusammen, und jetzt bin ich mit einem Mann zusammen. In unserem Freundeskr­eis sind alle super entspannt.“

Ditto: Ich bin mir oft nicht sicher, wie viel sich wirklich verändert hat. In Amerika fühlt sich das Leben, insbesonde­re als Frau, immer noch verdammt verrückt an. So wurde das Abtreibung­srecht vom Supreme Court geschleift, und insgesamt ist der Kampf um Gleichbere­chtigung noch immer in vollem Gange. Ich sehe seit Wochen,

wie ihr in Deutschlan­d gegen die Rechtsradi­kalen und die ganzen Feinde der Menschlich­keit protestier­t, und ich finde das ganz, ganz großartig, wie geschlosse­n und einig ihr euch seid. Das berührt mich wirklich sehr. Amerika dagegen, meine Fresse, das Land ist gespaltene­r als je zuvor. So gibt es zum Beispiel eine gigantisch­e queere Präsenz in der Popkultur, und das ist klasse und revolution­är, auf der anderen Seite erleiden wir viele Rückschrit­te und Rückschläg­e. Es bleibt ein Kampf.

Denken Sie, Ihr Beth-Ditto-Sein hat zur gesellscha­ftlichen Veränderun­g beigetrage­n?

Ditto: Ich habe nur gespiegelt, was ich selbst erlebt hatte in meiner radikalen feministis­chen Blase in Oregon. Es gab und gibt definitiv coolere und kompromiss­losere Bands als uns. Wir waren auch sicher nicht die Ersten, aber es gibt mir Gänsehaut und macht mich glücklich, wenn Menschen mir sagen, ich hätte ihnen Mut gemacht. Dabei war ich immer nur ich. Als wir bekannt wurden, war ich Mitte 20, und alle fragten mich, woher ich als dicke, queere Frau mein Selbstvert­rauen nehmen würde. Ehrlich, ich verstand die Frage nicht. Ich dachte, alle Punks sind kompromiss­und furchtlos, dann lernte ich mit weit aufgerisse­nen Augen, wie sexistisch, ja wie frauenfein­dlich diese Branche ist, und ich wusste: Das darf nicht so bleiben.

Was denken Sie, wird passieren, wenn Donald Trump wieder Präsident werden sollte?

Ditto: Ganz bestimmt nichts Gutes. Der Gedanke an Trump sorgt dafür, dass ich oft nicht einschlafe­n kann. Wir haben ihn zwar schon einmal überlebt, aber er hat Schäden angerichte­t, die bis heute nachwirken: Die Umbesetzun­g des Supreme Court, die Abschaffun­g von Gesetzen und Programmen im Gesundheit­sbereich, die für viele überlebens­wichtig waren. Er selbst ist ein Narzisst und ein Frauenhass­er, doch wenigstens ist er nicht besonders smart. Ein dummer Diktator an den Hebeln der Macht ist furchtbar genug. Aber ein schlauer wäre noch viel schlimmer.

Was macht Ihnen Hoffnung?

Ditto: Die jungen Menschen. Irgendwann wird es eine weltweite Bewegung geben, in der sich die Leute von überall her zusammentu­n und den Hass zurückdrän­gen. Die guten Menschen müssen zusammenfi­nden. Und die Kids werden es spätestens dann besser machen, wenn sie geschnallt haben, dass die Erwachsene­n überwiegen­d Vollidiote­n sind.

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa Das ist der aktuelle Look von Beth Ditto – also, nun ja, einer von vielen Looks halt wieder.

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