Wie eine Frau auf Callcenter-Betrug hereinfiel
Immer wieder hatte sich eine 63-Jährige aus dem Unterallgäu gefragt, wie man nur auf Telefonbetrüger hereinfallen kann. Bis sie selbst zum Opfer wurde.
Diesen Tag wird Sieglinde Maier (Name von der Redaktion geändert) garantiert nicht so schnell vergessen. Als sie am Vormittag ihre Mutter besucht, erzählt ihr die von einem Infonachmittag der Polizei zum Thema Betrug. „Und ich sag’ noch: Wie kann man bloß auf so was reinfallen?“, erinnert sich die 63-Jährige und schüttelt den Kopf. Denn nur wenige Stunden später wurde sie selbst zum Opfer.
„Hallo Mama, mein Handy ist kaputt“, steht in der SMS, der im Laufe des Tages viele weitere folgen werden. Sieglinde Maier stutzt kurz, dann fragt sie nach: „Thomas, bist du’s?“Der Schreiber bejaht, obwohl es sich mitnichten um Maiers Sohn Thomas handelt, sondern um einen Betrüger. Der behauptet, sich ein Laptop bestellt zu haben – was bei Maiers Sohn tatsächlich der Fall war. Das Gerät müsse er nun sofort bezahlen, so der Unbekannte. Weil er dazu aber während der Arbeit keine Gelegenheit habe und sie deshalb auch nicht anrufen könne, bittet er Maier, die 2300 Euro umgehend für ihn zu überweisen.
Die Nachrichten des vermeintlichen Sohns werden immer drängender. „Ich bitte dich sonst ja nie um etwas, aber dieses eine Mal brauche ich deine Hilfe“, schreibt der Betrüger. „Der hat mir keine Ruhe mehr gelassen. Der hat die ganze Zeit geschrieben“, erzählt Maier. Der Unbekannte setzt sie derart unter Druck, dass sie in der Mittagspause tatsächlich von der Arbeit nach Hause fährt und die verlangten 2300 Euro per Online-Banking überweist. „Ich war wie in Trance, da denkt man nicht mehr normal“, erzählt Maier. „Ich hab’ nur noch gesehen, dass ich das jetzt unbedingt machen muss.“In dem Moment, als sie die Überweisung abgeschickt hat, wird ihr schlagartig klar, dass sie einen großen Fehler gemacht hat. Sie ruft sofort bei ihrer Bank an und kann die Überweisung noch stoppen. Danach informiert sie postwendend die Polizei.
Der Beamte bittet sie, weiter mit dem Unbekannten in Kontakt zu bleiben. Dazu ist Maier nach dem ersten Schock gerne bereit. „Das hat fast Spaß gemacht, den hinzuhalten“, sagt sie. Schließlich hatte sie das Glück, dass ihr kein finanzieller Schaden entstanden ist. Bei vielen anderen sieht das anders aus: 220 Unterallgäuerinnen und Unterallgäuer haben sich im vergangenen Jahr bei der Polizei gemeldet, weil sie per WhatsApp oder Telefonanruf von Betrügern kontaktiert wurden, die sich als Kinder, Enkel oder auch falsche Polizisten ausgegeben oder vermeintliche Gewinne in Aussicht gestellt haben. In 30 Fällen waren sie erfolgreich und ergaunerten insgesamt fast 433.000 Euro.
Am höchsten war der Schaden im Bereich der sogenannten Schockanrufe: Die Betrüger brachten sieben Unterallgäuerinnen und Unterallgäuer um insgesamt mehr als 369.000 Euro, das entspricht pro Fall einem durchschnittlichen Schaden von fast 53.000 Euro. Allein in den vergangenen Tagen haben Telefonbetrüger im Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West eine mittlere sechsstellige Summe erbeutet. Die Anrufer gaben sich dabei als Kind oder Enkel aus und behaupteten beispielsweise, nach einem schweren Unfall sofort eine hohe Summe zahlen zu müssen, um nicht ins Gefängnis zu kommen. Auch vermeintliche Polizisten und Staatsanwälte haben schon ähnliche Geschichten erzählt, stets mit dem Ziel, den Angerufenen so zu überrumpeln, dass er nicht mehr klar denken kann.
„Das Bewusstsein wird dann vom Unterbewusstsein überlagert“, erklärt Dagmar Bethke, die Leiterin der Polizeiinspektion Mindelheim. Sie rät, sich detailliert auszumalen, wie man reagieren würde, wenn man einen solchen Anruf bekommen würde. Denn dann ist das Gehirn auf die Situation vorbereitet und schaltet im Fall des Falles nicht so schnell in den Panik-Modus. Wer auf Nummer sicher gehen will, lässt Gespräche zunächst immer von einem Anrufbeantworter entgegennehmen oder vereinbart mit seinen Angehörigen ein Kennwort, an dem er sie eindeutig erkennen kann. Auch ein Zettel, der in der Nähe des Telefons angebracht ist und daran erinnert, vorsichtig zu sein und etwaige Hiobsbotschaften nicht gleich zu glauben, kann hilfreich sein. Wer sich von den schnellen Informationen und Anweisungen der Betrüger nicht unter Druck setzen lassen will, hat eigentlich nur eine Wahl: auflegen.
Eine weitere Masche der Betrüger ist es, misstrauische Opfer ausdrücklich für ihre Vorsicht zu loben. Die Täter wollen ihr Opfer so einlullen und Vertrauen schaffen. Auch hier ist auflegen die sicherste Wahl. Gleiches gilt, wenn die Täter behaupten, echte Helfer – wie etwa die wahre Polizei oder kritische Bankmitarbeiter – seien Teil eines kriminellen Netzwerks. Um nicht in Versuchung zu geraten, Fremden größere Geldbeträge oder Schmuckstücke zu übergeben, rät Bethke, zu Hause nur eine begrenzte Summe an Bargeld aufzubewahren, ein Abhebelimit festzusetzen und die eigene Bank zu berechtigen, im Verdachtsfall nachzufragen. Auch ein Zettel im Schmuckkästchen oder Tresor kann im besten Fall eine Übergabe verhindern.
Denn die kann schwerwiegende Folgen haben: Neben dem finanziellen und oft auch ideellen Verlust ist die Scham bei vielen Opfern groß. Auch Maier hat sich nur ihrem Mann und ihrem Sohn anvertraut – und glücklicherweise der Polizei.
Die vermutet eine hohe Dunkelziffer. Viele Opfer seien regelrecht traumatisiert, sagt Bethke. Manche entwickeln eine posttraumatische Belastungsstörung und benötigen therapeutische Hilfe, um nicht bei jedem Telefonklingeln ängstlich zusammenzuzucken.
„Bei mir ist das ja alles noch gnädig ausgegangen“, sagt Maier. Trotzdem hätte sie dem Unbekannten, der sie im Laufe des Tages auffordert, weitere 3200 Euro zu überweisen, am Ende am liebsten geschrieben: „Du Betrüger, schämst du dich nicht!“Das hat sie sich dann zwar doch nicht getraut, aber weil sie ihn so lange hingehalten hat, konnte die Polizei zwei Täter ermitteln – immerhin etwas. Und heilsam sei der Vorfall auch gewesen: Auf ähnliche Nachrichten, die sie danach erreicht haben, hat sie einfach nicht mehr reagiert.