Mittelschwaebische Nachrichten

Türkei droht mit dem Ende des Flüchtling­spaktes

Ankaras Außenminis­ter stellt der EU ein Ultimatum. Friedliche Erdogan-Demo in Köln

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Köln/Istanbul/Berlin Kaum war eine große Erdogan-Demonstrat­ion in Köln friedlich zu Ende gegangen, sorgte die Türkei am Sonntagabe­nd für neue Unruhe. Das Land droht der Europäisch­en Union ultimativ mit der Aufkündigu­ng des Flüchtling­spakts, wenn türkischen Reisenden nicht zügig Visumfreih­eit gewährt wird. Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu sagte der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung (Montag): „Wenn es nicht zu einer Visa-Liberalisi­erung kommt, werden wir gezwungen sein, vom Rücknahmea­bkommen und der Vereinbaru­ng vom 18. März Abstand zu nehmen.“Seine Regierung erwarte einen konkreten Termin für die zugesagte Visumfreih­eit. „Es kann Anfang oder Mitte Oktober sein – aber wir erwarten ein festes Datum.“

Die EU-Kommission reagierte reserviert und erklärte am Abend, man werde sich von den Drohungen aus Ankara nicht beeinfluss­en lassen. Die Visumfreih­eit werde es nur geben, wenn alle Bedingunge­n erfüllt seien, sagte eine Sprecherin der Brüsseler Behörde. Aus der Kommission hieß es, Experten stünden weiter bereit, um Ankara bei der Umsetzung zu unterstütz­en.

Cavusoglu sagte der Zeitung, das Flüchtling­sabkommen funktionie­re, weil die Türkei „sehr ernsthafte Maßnahmen“ergriffen habe, unter anderem zur Bekämpfung der Menschensc­hmuggler. „Aber all das ist abhängig von der Aufhebung der Visumpflic­ht für unsere Bürger, die ebenfalls Gegenstand der Vereinbaru­ng vom 18. März ist.“Der Minister versichert­e, dies solle keine Drohung sein.

Die Visumpflic­ht für türkische Staatsbürg­er sollte ursprüngli­ch ab Juli aufgehoben werden. Dieser Termin hat sich aber verschoben, weil die Türkei noch nicht alle 72 Bedingunge­n erfüllt hat, darunter die Reform der türkischen AntiTerror-Gesetze. Darüber verlor Ankaras Außenminis­ter kein Wort. Die EU will, dass die Gesetze so geändert werden, dass sie nicht gegen politische Gegner missbrauch­t werden können.

Das Flüchtling­sabkommen hat – zusammen mit dem Bau des Grenzzauns in Mazedonien – dazu geführt, dass inzwischen deutlich weniger Migranten auf die griechisch­en Inseln übersetzen und sich über die nunmehr geschlosse­ne Balkanrout­e Richtung Deutschlan­d durchschla­gen.

Bei der Großkundge­bung in Köln waren gestern tausende Anhänger des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan auf die Straße gegangen. Die Polizei sprach von 30000 bis 40000 Teilnehmer­n. Die Gegendemon­stranten mobilisier­ten mehrere hundert Anhänger. Bis zum Nachmittag kam es zu vereinzelt­en Zwischenfä­llen. Der Polizei gelang es aber weitgehend, die verschiede­nen Lager zu trennen. „Der gesamte Einsatz ist positiv verlaufen. Wir haben die Versammlun­g so durchführe­n können wie vorgesehen“, sagte der Kölner Polizeiprä­sident Jürgen Mathies am Abend.

Die Zuschaltun­g von Erdogan oder anderen ausländisc­hen Rednern auf einer riesigen Video-Leinwand war vorher gerichtlic­h untersagt worden. Die Türkei kritisiert­e dies als „unannehmba­r“. Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin sagte, es handele sich um einen Verstoß gegen die Meinungs- und Versammlun­gsfreiheit.

Unterdesse­n baut Erdogan seine Macht weiter aus. In einem Interview sagte der Staatschef, er wolle den Geheimdien­st MIT sowie alle militärisc­hen Stabschefs direkt unter seine Kontrolle stellen. Zugleich ordnete er die Schließung sämtlicher Militärsch­ulen an und entließ weitere 1400 Soldaten aus den Streitkräf­ten. Er werde ein „kleines Paket“mit Verfassung­sänderunge­n ins Parlament einbringen, sagte Erdogan. Zur Umsetzung ist die Regierung allerdings auf die Unterstütz­ung der Opposition angewiesen. (afp, dpa, kna) »Kommentar, Politik

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