Mittelschwaebische Nachrichten
Merkel und Seehofer – kracht es jetzt wieder?
Der CSU-Chef gibt sich Mühe, aber er kann nicht verbergen, dass er unzufrieden mit der Kanzlerin ist. Und wieder geht es um die eine große Frage: Schaffen wir das?
St. Quirin Natürlich weiß Horst Seehofer, dass diese Frage kommt, ja kommen muss: Wie er denn die Pressekonferenz der Bundeskanzlerin bewerte, wird er am Samstag beim offiziellen Abschluss der bayerischen Kabinettsklausur am Tegernsee gefragt. Der CSU-Chef macht ein Gesicht, als sei ihm Angela Merkel in diesem Moment persönlich auf den Fuß getreten: Der erste öffentliche Auftritt der Kanzlerin nach der Anschlagserie in Bayern sei während der Tagung seiner Ministerrunde „gar kein Thema“gewesen, antwortet Seehofer dann treuherzig. Und er selbst habe die Pressekonferenz gar nicht gesehen. Doch damit ist die Sache für Seehofer noch nicht erledigt.
Ein paar Worte zum Thema hat er sich offenbar doch zurechtgelegt. Vor allem zu dem von Merkel wiederholten Satz: „Wir schaffen das.“Merkel habe den Satz ja wohl erst auf Nachfrage von Journalisten wiederholt, leitet Seehofer vorsichtig ein. Trotzdem: „Ich kann mir diesen Satz beim besten Willen nicht zu eigen machen“, sagt er dann. Dafür seien „die Probleme zu groß und die Lösungsansätze bisher zu unbefriedigend“.
Mehr an fernsehtauglicher Merkel-Kritik lässt sich Seehofer auch auf beharrliches Nachfragen nicht entlocken. Offensichtlich ist: Er will jetzt keinen offenen Streit mit Merkel, auch wenn die Unterschiede zwischen CDU-Chefin und CSUChef in der Bewertung der Situation und den daraus abzuleitenden Konsequenzen mit Händen zu greifen sind.
Die Vereinbarung mit Merkel von Ende Juni in Potsdam, wonach Meinungsverschiedenheiten unter vier Augen geklärt werden sollen, gelte nach wie vor, beteuert Seehofer. „Wir wollen fair miteinander umgehen“, sagt er und fügt fast entschuldigend hinzu: „Aber ich kann der Öffentlichkeit auch nicht die Unwahrheit sagen.“Dass der Burgfrieden nicht erst nach dem MerkelAuftritt bröckelt, ist in St. Quirin allerdings nicht nur beim gerne eruptiven Finanzminister Markus Söder („Hätte mir mehr erwartet“) zu spüren. Vor allem die in der CSUSpitze verbreitete Auffassung, auch maßgebliche CDU-Spitzenpolitiker unterschätzten das Ausmaß der Aufgabe, macht vielen CSU-Leuten schwer zu schaffen.
Er werde „Relativierungen der Probleme“nicht mehr akzeptieren, hatte Seehofer bereits am Dienstag gesagt. Vier Tage später berichtet er vor Journalisten davon, dass bayerische Schleierfahnder auch tief im Land noch immer Flüchtlinge aufgriffen, die an der Grenze von der Bundespolizei offenbar überhaupt nicht kontrolliert worden seien. Eine Sicherheitslücke, die Seehofer fast sprachlos macht. „Noch immer unbefriedigend“, nennt der CSUChef die Grenzsicherung. „So wie bisher schaffen wir das nicht.“
Weil es vor diesem Hintergrund eher unwahrscheinlich ist, mit der Merkel-CDU in der Flüchtlingspolitik bald auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, versucht Seehofer in anderen Themenfeldern eine gemeinsame Wahlkampfbasis mit der großen Schwesterpartei zu schaffen. Gestern Abend verteidigte er Merkel sogar im ZDF-Sommer- interview: Natürlich treffe die Kanzlerin „keine Schuld an der Terrorgefahr durch islamistisch beeinflusste Flüchtlinge“, betonte Seehofer und fügte hinzu: „Das hat von uns niemand behauptet.“Und als die Sprache dann schon wieder auf Merkels „Wir schaffen das“kam, gab sich Seehofer ganz diplomatisch.
Er antworte auf neue Herausforderungen immer mit neuen Inhalten und Instrumenten, erklärte der CSU-Chef. „Wenn die in der Praxis wirken, dann kann ich guten Gewissens gegenüber der Bevölkerung sagen: Wir haben alle Voraussetzungen geschaffen, dass wir es schaffen.“Und: Er sei von Natur aus ein optimistischer Mensch.
Trotz aller Bemühungen, nicht wieder als Obernörgler der Nation dazustehen, schlägt Seehofers Kritik an Merkel umgehend bundespolitische Wellen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière rief – ohne den Unions-Konflikt zu nennen – die Parteien angesichts der terroristischen Bedrohung zur Einigkeit auf. „Die Lage ist ernst, und die Politik ist gefordert, ohne klein karierten Parteienstreit“, schrieb der CDUPolitiker in der Bild am Sonntag. Und er betonte vorsorglich: „Wir bekämpfen den Terror – hart, entschlossen und besonnen. Alle gemeinsam.“SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann bezeichnete Seehofers Distanzierung von der Kanzlerin als „völlig deplatziert“.
Eine aktuelle Emnid-Umfrage ergab übrigens, dass eine knappe Mehrheit von 53 Prozent der Bürger glaubt, dass Deutschland die Flüchtlingskrise bewältigen wird. 44 Prozent sagten: „Deutschland schafft das nicht“. (mit dpa)