Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn Kinder für die Eltern zahlen

Haben Mutter oder Vater kein Geld für Seniorenhe­im oder Pflege, bittet das Sozialamt die Nachkommen zur Kasse. Doch die Forderunge­n sind oft falsch berechnet

- VON BERRIT GRÄBER

Augsburg Werden die eigenen Eltern gebrechlic­h, geht bei den Kindern die Angst um. Viele fürchten, mit Haus und Hof für den Unterhalt der pflegebedü­rftigen Mutter oder des schwer kranken Vaters geradesteh­en zu müssen – und selbst zu verarmen. Pflege ist teuer. Ein Heimplatz in Pflegestuf­e III kostet schnell über 3000 Euro im Monat. Die gesetzlich­e Pflegevers­icherung übernimmt davon aber nur 1612, in Härtefälle­n 1995 Euro. Wer nicht privat pflegevers­ichert ist, muss für den Rest selbst aufkommen. Reichen Vermögen und Renten nicht aus, springt zwar das Sozialamt ein. Doch die Behörde versucht, Geld von den Kindern zurückzuho­len. Die Frage ist nur: Wie viel? „Niemand muss wegen des Elternunte­rhalts um seinen Lebensstan­dard bangen“, betont Jörn Hauß, Duisburger Fachanwalt für Familienre­cht. Kinder sollten allerdings immer nachrechne­n lassen. Die meisten Forderunge­n vom Sozialamt sind nicht korrekt berechnet und schlicht zu hoch. Wir beantworte­n wichtige Fragen:

Was gilt grundsätzl­ich?

Erwachsene Kinder kommen erst dann ins Spiel, wenn ihre pflegebedü­rftigen Eltern die Kosten für die Betreuung im Heim nicht mehr aus eigenem Einkommen und Vermögen aufbringen können. Lebt beispielsw­eise nur die Mutter im Pflegeheim, ist erst der Vater in der Pflicht. Ihr Eigenheim müssen sie nicht verkaufen, solange einer der beiden noch darin wohnt. Sind beide aus dem Haus, müssen sie die Immobilie allerdings für die Heimkosten einset- zen. Reicht das Geld vorn und hinten nicht, springt das Sozialamt ein, wendet sich dann aber an den Nachwuchs des Bedürftige­n. Denn: Verwandte in gerader Linie sind zum Unterhalt verpflicht­et. So sieht es Paragraf 1601 des Bürgerlich­en Gesetzbuch­es (BGB) vor. Im Schnitt zahlen die Sozialämte­r für mittellose Pflegebedü­rftige zwischen 500 und 1000 Euro im Monat. Kinder, die zahlen müssen, werden im Schnitt mit etwa rund 220 Euro im Monat zur Kasse gebeten, so die Erfahrunge­n von Fachanwalt Hauß.

Was, wenn der Kontakt brachliegt?

Spannungen in der Familie ändern nichts an der Unterhalts­verpflicht­ung. Das gilt selbst dann, wenn über viele Jahre keine Verbindung bestand, wie der Bundesgeri­chtshof 2014 urteilte (Az. XII ZB 607/12). Nur wenn Eltern etwa nachweisli­ch ihre Kinder schwer misshandel­t haben oder stets den Unterhalt verweigert­en, muss der Nachwuchs nicht für sie aufkommen. Die Unterhalts­pflicht entfällt auch dann, wenn Mutter oder Vater durch eigenes Wer bereits Elternunte­rhalt zahlt, sollte seine Zahlungen prüfen. Erst 2015 wurde der Mindestsel­bstbehalt auf 1 800 respektive 3 240 Euro angehoben. Die Behörden senken ihre Forderunge­n aber nicht von sich aus ab. Betroffene müssen aktiv werden, zum Sozialamt gehen und eine Korrektur der monatliche­n Beträge einfordern. Erst dann ist eine Entlastung für die Alt-Bescheide möglich. (gra) „sittliches Verschulde­n“verarmten, also etwa durch Spielsucht.

Womit müssen Kinder rechnen?

Betroffene müssen nur so viel für den Unterhalt der Eltern zahlen, wie ihnen zuzumuten ist. Der BGH entschied schon 2002, dass der Lebensstan­dard der Kinder im Fall des Elternunte­rhalts geschützt ist (Az. XII ZR 266/99). Kommt das Schreiben vom Sozialamt, werfe die Geldforder­ung niemanden finanziell aus der Bahn, versichert der Erlanger Fachanwalt für Sozialrech­t Michael Baczko. Für mittlere und kleine Einkommen fällt der Unterhalt meist ganz weg. Ein Durchschni­ttsverdien­er habe nichts zu befürchten, sagt Baczko. Aber: Der Elternunte­rhalt treffe Singles schwerer als Verheirate­te. Vor kurzem hat der BGH den Lebensstan­dard unverheira­teter unterhalts­pflichtige­r Kinder gestärkt, die selbst Eltern sind (Az. XII ZB 693/14). Sie mussten bislang mehr zahlen als Verheirate­te.

Wer muss mitzahlen?

Wie viel sich die Behörde von den Kindern zurückhole­n darf, hängt vom Einzelfall ab. Geschwiste­r müssen anteilig nach ihrer Leistungsf­ähigkeit zahlen. Ist die Tochter beispielsw­eise ohne eigenen Verdienst, der Sohn berufstäti­g, wird nur er für seine Eltern zur Kasse gebeten. Dabei wird jeweils verlangt, dass sie ihre gesamten Finanzen offenlegen – und die des Ehepartner­s gleich mit. Sich weigern geht nicht. Verschweig­en ist strafbar. Das Geld von Schwiegers­öhnen und -töchtern bleibt erst einmal außen vor. Trotzdem können auch sie indirekt in der Haftung sein. Beispiel: Eine Hausfrau ohne Verdienst hat einen gut verdienend­en Mann. Da sie gegen ihn einen Taschengel­danspruch hat, kann das Sozialamt einen Teil davon für den Unterhalt einfordern.

Wie wird gerechnet?

Zum Einkommen zählen neben dem Nettolohn inklusive Weihnachts­und Urlaubsgel­d auch Arbeitslos­engeld, Mieteinnah­men und Steuererst­attungen. Bei Selbststän­digen wird der Verdienst der letzten drei Geschäftsj­ahre als Basis genommen. Kindergeld zählt nicht mit. Als Selbstbeha­lt müssen Alleinsteh­enden 1800 Euro im Monat bleiben, Verheirate­ten 3240 Euro. Zusätzlich muss Geld übrig sein für Kredite, die schon vor der Pflegebedü­rftigkeit von Vater oder Mutter bestanden. Ebenso für den Unterhalts­anspruch der eigenen Kinder. Auch die Altersvors­orge hat Vorfahrt. Arbeitnehm­er und Beamte dürfen dafür monatlich fünf Prozent ihres Bruttolohn­s ausgeben. Wer nicht in der gesetzlich­en Rentenvers­icherung ist, kann bis zu 25 Prozent einzahlen. Auch darüber hinaus ist Vermögen weitgehend als Altersvors­orge geschützt. Wer ein Auto braucht, um zur Arbeit zu kommen, muss es nicht verkaufen. Tabu ist auch das selbst genutzte Häuschen. Was nach den komplizier­ten Berechnung­en bleibt, ist das bereinigte Einkommen. Danach wird beurteilt, ob das Kind zahlen muss. Je mehr Kosten ein Unterhalts­pflichtige­r für sich selbst und seine Familie hat, desto weniger Elternunte­rhalt muss er zahlen.

Zahlung überprüfen

Info Einen Unterhalts­rechner gibt es im Internet unter www.anwaelte-du.de. Einfach den Elternunte­rhalt anklicken und dann die Berechnung­shilfe.

 ?? Foto: drubig-photo, Fotolia ?? Pflege ist teuer. Haben die Eltern keine Mittel mehr, will das Sozialamt häufig Geld von den Kindern. Wie viel sich die Behörde von den Kindern zurückhole­n darf, hängt vom Einzelfall ab. Das Sozialamt rechnet aber nicht immer richtig.
Foto: drubig-photo, Fotolia Pflege ist teuer. Haben die Eltern keine Mittel mehr, will das Sozialamt häufig Geld von den Kindern. Wie viel sich die Behörde von den Kindern zurückhole­n darf, hängt vom Einzelfall ab. Das Sozialamt rechnet aber nicht immer richtig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany