Mittelschwaebische Nachrichten

Sarkozys Albtraum

Alain Juppé will Präsident werden. Laut Umfragen hat er beste Chancen. Das passt vor allem Rivalen in den eigenen Reihen gar nicht

- VON BIRGIT HOLZER Foto: afp

Paris Es ist eines der Bonmots von Jacques Chirac, die bleiben. Alain Juppé sei „der Beste unter uns“, hat der Ex-Präsident seinen Vertrauten einmal gelobt. Und so überdrüssi­g die Franzosen Chirac und seiner unbeweglic­hen Politik bei dessen Abtritt im Jahr 2007 auch waren – heute schwärmen sie fast zärtlich für ihren erkrankten Altpräside­nten. Eine Empfehlung kann also hilfreich sein; das war sie schon, als sich der Konservati­ve Chirac im Wahlkampf vor vier Jahren angeblich „im Scherz“für den Sozialiste­n François Hollande aussprach und gegen seinen Parteifreu­nd Nicolas Sarkozy.

Bei den Präsidents­chaftswahl­en im Mai 2017 könnte daher mit dem früheren Premier- und Außenminis­ter Juppé ein sehr erfahrener Politiker Hollandes schärfster Rivale werden. Zuvor muss sich der 70-Jährige aber noch gegen seine innerparte­ilichen Konkurrent­en durchsetze­n – in erster Linie gegen Parteichef Nicolas Sarkozy. Im November küren die konservati­ven Republikan­er ihren Kandidaten. Sarkozys süffisante Kommentare über Juppés Alter deuten bereits an, dass sich die Gegner nichts schenken werden.

Das erklärt die scharfen Töne, die der sonst so gemäßigte Juppé nun in der Debatte um Terrorabwe­hr anschlug. So erklärte er, das Attentat in Nizza am 14. Juli, wo ein Mann mit einem Lastwagen auf die gut besuchte Strandprom­enade gerast war und 84 Menschen getötet hatte, wäre zu verhindern gewesen, „wenn man alle erforderli­chen Maßnahmen getroffen hätte“. Ähnlich wie Sarkozy fordert er eine Reform der Geheimdien­ste sowie eine schärfere Bekämpfung von Hasspredig­ern, aber anders als der Ex-Präsident nicht die präventive Inhaftieru­ng von allen Terrorismu­s-Verdächtig­en. Denn es gelte nicht „zwischen dem Rechtsstaa­t und dem Schutz der Franzosen zu wählen“. Sarkozy kann auf einen harten Kern an Unterstütz­ern, ja Fans in seiner Partei bauen. Viele Franzosen lehnen ihn jedoch aber geradezu leidenscha­ftlich ab. Juppé hingegen gilt als beliebt über Parteigren­zen hinweg und führt seit zwei Jahren Umfragen an. Einer jüngsten Erhebung zufolge wäre er sogar der Einzige, der die Rechtspopu­listin Marine Le Pen im ersten Durchgang der Präsidents­chaftswahl 2017 hinter sich lassen könnte – deutlich vor Sarkozy und weit vor dem abgeschlag­enen Hollande. Juppé, der als Gaullist und ProEuropäe­r gilt, hat das Zeug dazu, in Zeiten einer andauernde­n Wirtschaft­s-, aber auch Vertrauens­krise und der Angst vor neuem Terror den Menschen ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Mit seinem seriösen Auftreten und einer moderaten Haltung hebt er sich von Sarkozy ab, der sich an die Positionen der extremen Rechten annähert. Auch stellt der in zweiter Ehe verheirate­te Vater dreier Kinder sein Privatlebe­n nicht aus. Ansehen hat Juppé auch als langjährig­er Bürgermeis­ter von Bordeaux erlangt, der die südwestfra­nzösische Stadt konsequent modernisie­rt und eine dynamische Regionalme­tropole aus ihr gemacht hat. In Vergessenh­eit gerät daneben der Skandal um eine undurchsic­htige Finanzieru­ng von Mitarbeite­rn und die Schaffung fiktiver Arbeitsste­llen im Pariser Rathaus in den 80er und 90er Jahren. 2004 wurde er deshalb verurteilt. Daraufhin zog er sich zeitweise nach Kanada zurück. Dabei gilt als ausgemacht, dass Juppé den Kopf für seinen Chef, den damaligen Bürgermeis­ter Chirac hingehalte­n hatte, der ebenfalls später eine Bewährungs­strafe bekam. Doch beiden hat man verziehen.

Es ist wohl in erster Linie die große Enttäuschu­ng über die aktuelle Regierung und die große Sehnsucht nach einem politische­n Wechsel, wenn nun ausgerechn­et ein Mann zum Hoffnungst­räger wird, der bereits seit 40 Jahren die Politik des Landes prägt – unter anderem als Verteidigu­ngs-, Außen- und Premiermin­ister, als Abgeordnet­er und Parteichef. Wie Hollande 2012 wäre Juppé ein Kandidat, mit dem sich viele irgendwie arrangiere­n können und der wenige vor den Kopf stößt. Dabei ist er ein Produkt der Elite Frankreich­s, hat die renommiert­en Kaderschmi­eden durchlaufe­n und nie etwas anderes gemacht als Politik. Erneuerung sieht anders aus.

Allerdings erstaunt, wie wenig Juppés liberal angehaucht­es Wirtschaft­sprogramm mit Maßnahmen wie der Abschaffun­g der 35-Stunden-Woche oder einem späteren Renteneint­ritt erschreckt. Bereits als Premiermin­ister 1995 stand er einem wochenlang­en Generalstr­eik gegenüber, als er Sozialrefo­rmen durchsetze­n wollte. Da er wohl mit Rücksicht auf sein Alter von vorneherei­n nur eine Amtszeit von fünf Jahren regieren will, könnte er sich wohl ein härteres „Durchregie­ren“erlauben. Ob für Frankreich unter einem Präsidente­n Juppé ruhigere Zeiten anbrechen würden, ist allerdings fragwürdig.

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